Cevennen und Provence

 

Farbenpracht und kalte Nächte

 

Vorbemerkung:

 

Der Herbstanfang ist ein untrügliches Zeichen: die schönen Sonnentage auf dem Rad in unseren Breiten sind vorbei! Mit Wehmut denke ich an die heißen Tage, an denen ich schwitzend im Juli die Pyrenäenklassiker beradelt habe. Mit der Drohkulisse eines halben Jahres norddeutschen Schmuddelwetters entscheide ich mich, vorher noch ein bisschen Sonne zu tanken.

 

Es ist schon spät im Jahr, verdammt spät! Die Tage sind kurz, die Temperaturen in den Nächten frisch. Aber im gelobten Radlerland Frankreich dürften zumindest im Süden einige schöne Herbsttouren drin sein. Der Fahrradbus von Natours ist noch unterwegs, bevor auch er in den Winterschlaf fällt. Also buche ich für Oktober die Mitfahrt im Bus nach Avignon. Grandiose Landschaften, einsame Bergsträßchen und bunte Herbstwälder locken…  

 

 

Freitag, 30.09.: Busfahrt Oldenburg – Avignon

 

Der Natours-Bus startet Freitagnachmittag in Osnabrück. Die Räder sind schnell auf dem Dach verstaut. Der Start gestaltet sich dennoch zäh, es herrscht starker Wochenendverkehr. Es dauert eine ganze Weile, bis wir alle Fahrtteilnehmer in Dortmund, Köln und Trier eingesammelt haben. Der Bus ist zum Glück nicht ganz voll, so dass ich mit meinen langen Beinen angenehm Platz habe.

 

Ab Luxemburg rauscht der Bus bei wenig Verkehr zügig durch die Nacht. Als es im Rhonetal schließlich wieder hell wird, lacht auch schon der „König der Provence“, der unverwechselbare Mt. Ventoux herüber. Der Frühdunst im Tal weicht der aufgehenden Sonne. Früher als geplant erreichen wir Avignon.  

 

 

Samstag, 01.10.: Avignon – St. Jean du Gard

 

In Avignon steige ich mit zwei weiteren Mitreisenden am Ufer der Rhone aus dem Bus, der Rest der Truppe fährt weiter nach Herault. Es ist trotz Sonne nicht gerade warm an diesem Morgen, was mich etwas irritiert. Mit Südfrankreich assoziiere ich aufgrund meiner bisherigen Erfahrungen immer auch Wärme. Nun denn, es ist Oktober, da muss ich durch!

 

Ich bereite Rad und Gepäck vor, eine halbe Stunde später sitze ich bereits im Sattel und strampele mir die lange Busfahrt aus den Beinen. Früh am Samstag ist es im Rhônetal noch ruhig. Auf der sonst so stark befahrenen Strasse sind heute glücklicherweise kaum Lastwagen unterwegs. Erst entlang der Rhône, dann durch hügeliges Gelände komme ich zügig voran und erreiche am späten Vormittag den alten Aquädukt Pont du Gard.

 

Mittlerweile ist die Kühle des Morgens einer wohltuenden mittäglichen Wärme gewichen, so dass Radeln zum Genus wird. Nach einem kurzen Verpflegungsstopp in der Boulangerie folge ich dem Verlauf des Flusses Gardon, ohne das Gewässer jedoch überhaupt zu Gesicht zu bekommen. Die eigentliche Schlucht des Flusses ist nur zu Fuß passierbar. Die Strecke verläuft auf wenig befahrenen Nebenstrassen durch kleine Dörfer, abgeerntete Äcker und Weinfelder. Das Streckenprofil ist nicht sehr anspruchsvoll und ich komme zügig voran.

 

Ich erreiche am Nachmittag Anduze, das Tor zu den Cevennen. Steile Felsen und Wald kündigen die nahen Berge an. Ab hier folge ich direkt dem Flusslauf des Gardon bis ich schließlich in St. Jean du Gard ankomme. Bei der Suche nach einem Campingplatz wird mir allerdings schnell klar, dass die Saison vorbei ist: Die Plätze hier sind dicht! Da muss ich wohl improvisieren…

 

Ich radele weiter flussaufwärts und halte Ausschau nach einem geeigneten Platz für die Nacht. An der Abzweigung zur Höhenstrasse finde ich überraschenderweise doch einen einfachen Zeltplatz. Der ist zwar auch nicht mehr bewirtschaftet, aber das Gelände ist noch zugänglich. Dort baue ich mein Zelt auf. Die abendliche Dusche fällt etwas kürzer aus als sonst, denn der Strom ist bereits abgeschaltet, das Wasser ist demzufolge rattenkalt. Was uns nicht tötet, härtet ab!

 

 

Sonntag, 02.10.: St. Jean du Gard – Florac

 

Ich bin allein hier, es ist herrlich ruhig, aber die Nacht war kalt. Ich habe mir den Wecker gestellt, damit ich bei den bereits sehr kurzen Tagen überhaupt vorankomme. Um acht Uhr wird es plötzlich unruhig auf dem Zeltplatz: wie auf Kommando rollen etliche Lieferwagen auf den Platz, verschlafene und fröstelnde Franzosen steigen laut schnatternd aus ihren Autos und begrüßen sich gegenseitig freudig.

 

Etwas irritiert werde ich mit meinem Rad und meinem Zelt gemustert. Man klärt mich auch gleich über die Aktion auf: heute findet hier ein überregionaler Bauernmarkt statt. Da fühle ich mich dann doch etwas fehl am Platze. Ich packe zügig meine Klamotten zusammen und mache mich auf die Reise, bevor es hier richtig turbulent wird.

 

Im Tal bläst mir ein ungemütlich kalter Wind aus den Bergen entgegen. Über den Bergen sieht der Himmel nicht sehr vielversprechend aus. Ein Regenbogen ist untrügliches Zeichen, dass sich in der Luft nicht nur Tau befindet. In St. André mache ich fröstelnd eine kurze Pause. Mittlerweile hat es sich völlig eingetrübt. Hinter St. Andre verlasse ich den Talgrund.

 

Auf einsamer Strasse geht es jetzt zunächst durch Wald, dann durch offenes Weideland immer weiter aufwärts. Ich überquere mit dem Col Salides einen ersten kleinen Pass und blicke ich ein schönes Hochtal unweit des „Wetterberges“ der Cevennen, des 1567m hohen Mt. Aigoual.

 

In Cabrillac erreiche ich die Hauptstrasse und habe von hier oben freien Blick auf die Hochfläche des Causse Méjean. Was sich mir von dort nähert, sieht allerdings alles andere als vertrauenerweckend aus. Eine dunkle Wolkenwand treibt schnell auf mich zu. Schutz oder Unterstellmöglichkeiten gibt’s hier nicht. Ich radele weiter aufwärts in Richtung Gipfel des Mt. Aigoual. Oben gibt’s das Observatorium und folglich auch Wetterschutz.

 

Kurz vor dem Gipfel erwischt es mich eiskalt: Ein Schneesturm allererster Güte pustet mich fast vom Rad. In meiner kurzen Hose fühle ich mich hier reichlich fehlplaziert. Das Rad auf Kurs zu halten wird äußerst schwierig, meine Finger sind taub von der plötzlichen Kälte. Nebel und beschlagene Brille erschweren die Orientierung.

 

Irgendwann erreiche ich irgendwie das Observatorium und flüchte mich ins Innere des Gebäudes. Hier wechsle ich meine nassen Klamotten und ziehe alles Warme und Trockene an, was ich im Gepäck habe. Dennoch bin ich so ausgekühlt, dass ich schlottere wie ein Schneider. Die Satellitenaufnahmen auf den Monitoren zeigen erbarmungslos und wissenschaftlich nüchtern an, in welcher Situation ich mich zur Zeit befinde: im Herzen eines ausgedehnten Sturmtiefes bei kuscheligen Temperaturen um die 2°C, schöne Sch…!  

 

Irgendwann lässt der Schneeregen nach, und ich stecke vorsichtig wieder die Nase nach draußen. Immer noch schlotternd steige ich auf mein Rad und beginne die Abfahrt. Der Sturm auf dem Gipfelplateau ist immer noch äußerst ungemütlich. Mit tauben Fingern verlasse ich Meter für Meter diese Wetterküche. Erst als ich die 1000-Meter-Höhenmarke unterschreite, wird es zögernd wieder erträglicher. Ganz unten im Tal des Tarnon schäle ich mich Schicht für Schicht aus meinen warmen Regenklamotten. Bei der nächsten Tour nehme ich ganz gewiss auch warme Handschuhe mit – auch nach Südfrankreich!

 

Am Abend erreiche ich das Städtchen Florac am Tarn. Hier ist der Campingplatz sogar noch geöffnet, so dass ich an diesem Abend eine warme Dusche genießen kann. Dennoch kommt bei Temperaturen um die 8-9°C keine rechte Freude beim Campen auf.

 

 

Montag, 03.10.: Florac – La Maléne – Florac

 

In der Nacht hat es heftig gestürmt. Der Himmel sieht am Morgen wolkenzerfetzt aus. Gemütlich ist etwas anderes. Nach kurzer Überlegung, was zu tun ist, entscheide ich mich für eine Tagestour ohne Gepäck in die Tarnschlucht.

 

Ich ziehe mir warme Klamotten an und folge zunächst ein kleines Stück der Route Nationale. Durch die eigentliche Schlucht führt nur eine schmale Strasse. Im Sommer reiht sich hier Wohnmobil an Wohnmobil, aber jetzt bin ich hier nahezu allein. In den wenigen kleinen Dörfern ist alles dicht, die Saison ist vorbei.

 

Landschaftlich ist die Schlucht ein Genuss, der Wald beginnt sich herbstlich zu verfärben. Ein wolkenverhangener Himmel und diverse Regenschauer wollen aber keine rechte Urlaubsstimmung bei mir aufkommen lassen. Ich folge der Tarnschlucht bis La Maléne.

 

Hier verlässt eine schmale steile Serpentinenpiste das Tal und führt mich hinauf zur Hochfläche des Causse Méjean. Die aussichtsreiche Serpentinenpiste macht Spaß. Oben auf der Hochfläche herrscht ein völlig anderes Landschaftsbild: Eine weite offene Fläche mit steinigen Äckern und kleinen Nadelwäldern prägt die Szene. Ein eisiger Wind lässt mich frösteln. Die Wälder sind im Jahr 2003 von ausgedehnten Bränden zerstört worden. Die verkohlten Stümpfe verstärken den trostlosen Eindruck erheblich. Große Forstmaschinen sind zur Zeit damit beschäftigt, die verkohlten Waldreste zu roden und zu schreddern.

 

Einige kalte Regenschauern später erreiche ich den Rand der Hochfläche. Der Blick hinunter nach Florac lässt mich auf eine schöne Abfahrt hoffen. Der Hauptkamm der Cevennen ist in den dichten Wolkenpaketen allerdings kaum auszumachen. Die Abfahrt entpuppt sich dann auch als schöne Strecke. Kurvenreich und steil geht es durch Wäldchen und Weideland abwärts.

 

Unten in Florac ist es aber kaum nennenswert angenehmer als oben auf der Hochfläche – es ist kalt und regnerisch! Etwas gefrustet frische ich meine Nahrungsvorräte auf und ziehe mich früh in den Schlafsack zurück. Selbst das Bier will bei diesen Temperaturen nicht so recht schmecken.

 

 

Dienstag, 04.10.: Florac – Vallon Pont d’ Arc

 

Nachts regnet es reichlich. Am Morgen sieht es wieder äußerst trostlos aus. Es wird nun Zeit, dass ich auf die windabgeweiste Ostseite der Cevennen komme. Die Leeseite ist hoffentlich trockener.

 

Ich packe alles zusammen und radele das Tarntal auf moderater Steigung aufwärts. Die Strecke ist sehr schön – das Laub der Esskastanien leuchtet gelb im Wald und es gibt kaum Verkehr. Je höher ich komme, umso kälter wird es allerdings auch.

 

Gegen Mittag erreiche ich mit tauben Zehen die Passhöhe vom Col de la Croix de Berthel. Ich ziehe mir alles Warme an, was ich finden kann und beginne die Abfahrt. Siehe da: auf der Leeseite der Berge tauchen erste Wolkenlücken auf, und die Sonne blinzelt stellenweise hervor.

 

Ab Genolac führt die Strasse aussichtsreich auf halber Höhe am Hang entlang. Hier heizt die Sonne zum ersten Mal richtig durch, das tut gut! Ab Villefort führt die Strasse durch Wald über einen kleinen Pass, bevor mich eine lange und kurvenreiche Abfahrt hinunter bringt nach Le Vans. Hier wärme ich mich in der schönen Nachmittagssonne am Dorfplatz erst einmal auf.

 

Es ist noch früh am Tag und die Sonne motiviert mich. Daher fahre ich weiter über ein traumhaftes Sträßchen durch den Wald von Paiolive. Kalkfelsen und Steineichen säumen die Strasse. Kurze Stichwege führen zu Aussichtspunkten an der Schlucht. Die restliche Strecke bis Vallon ist eher etwas zum „abmetern“: Das Land ist platt, viel Verkehr und Ackerbau prägen das Bild.

 

Vallon, Hochburg des Kanutourismus in der Ardècheschlucht, befindet sich bereits im Winterschlaf. Der einzige Campingplatz, der hier noch in Betrieb ist, hat vier Sterne und kostet mich trotz Feilschen immer noch unverschämte 17,50€ für die Nacht – Kehrseite des Tourismus. Wenigstens stimmt das Wetter, und ich nehme mangels geeigneter Alternativen die Abzocke in Kauf.

  

 

Mittwoch, 05.10.: Vallon Pont d’ Arc – Pierrelatte

 

In der Nacht hat sich über alles der Tau gelegt, das Zelt ist klatschnass. Heute habe ich es nicht weit, so kann ich mir den Luxus leisten, alles etwas lockerer angehen zu lassen. Die Sonne lacht und das ist gut so.

 

Kurz nach dem Start erreiche ich die natürliche Brücke über die Ardèche, die Pont d´Arc. Im Sommer sieht man hier vor lauter Kanus das Wasser nicht, heute bin ich bei bestem Licht mutterseelenallein. Ich bin einmal mehr beeindruckt, wie das Wasser jahrtausendelang an dem ehemaligen Prallhang genagt hat und ihn schließlich so formvollendet durchbrechen konnte.

 

Ein Stück begleite ich noch die Ardèche im Tal, dann zieht die Strasse steil nach oben auf die Hochfläche hinauf. Die Höhenstrasse folgt der Ardèche im gebührenden Abstand. Zahlreiche Aussichtspunkte sorgen immer wieder für atemberaubende Blicke tief hinein in die Schlucht. Die Strasse ist nicht ohne: im Laufe des Vormittages kommen einige Höhenmeter zusammen, es geht beständig rauf und runter.

 

Da auch hier die Saison vorbei ist, habe ich meine Ruhe auf der ansonsten sehr stark befahrenen Aussichtsstrasse. Da das Wetter jetzt gut ist, macht die Tour doppelt Spaß. An einem der vielen Aussichtspunkte treffe ich Sebastiane. Sebastiane kommt aus Pierrelatte im Rhônetal und macht heute mit seinem Liegerad eine Tagestour entlang der Ardéche. Wir kommen ins Gespräch und verabreden uns für den Abend in Pierrelatte, das ist auch meine Richtung heute.

 

Sebastiane macht sich mit seinem schnellen Renner bald wieder auf den Weg. Ich habe es heute nicht so eilig und auch nicht so weit, daher raste ich häufig in der Sonne an den Belvederes, den Aussichtsterrassen. Irgendwann geht es wieder abwärts, und ich erreiche St. Martin am Ende der Schlucht. Über kleine Nebenstrassen arbeite ich mich am Westrand des Rhônetales nach Pierrelatte voran. Die letzten Kilometer durch das offene Tal werden allerdings etwas zäh, denn mir bläst ein ordentlicher Mistral ins Gesicht.

 

Ich treffe Sebastiane im Ort, und er lädt mich zu sich nach Hause ein. Dort verbringen wir gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Laetitia einen lustigen Abend mit Pasta, Wein und Radlerlatein.  

 

 

Donnerstag, 06.10.: Pierrelatte – le Colombier

 

Die Nacht im Gästebett war zur Abwechslung mal wieder ganz angenehm. Sebastiane hat heute frei, so haben wir genügend Zeit für ein ausgiebiges Frühstück. Heute habe ich es auch nicht sehr weit, Sebastiane begleitet mich mit seinem Liegerad ein Stück aus der Stadt heraus auf Nebenwegen, die ich alleine vermutlich nicht gefunden hätte.

 

An der Rhônestaustufe trennen sich unsere Wege. Ich radele alleine am Fluss weiter und erreiche bald das Städtchen Viviers. Schön und beschaulich liegt es am Fusse eines Berges an der Rhône. Ich nehme mir Zeit für eine kleine Stadtrundfahrt und lande auf dem Hügel, auf dem die Kirche thront. Hier habe ich eine prima Aussicht auf die Dachlandschaft der alten Stadt und auf das Tal der Rhône.

 

Gegen Mittag erreiche die Nougathauptstadt Montelimar. Mit steht allerdings nicht der Sinn nach jener Süßspeise. Ich brauche einen neuen Reifen, mein Schwalbe Marathon hat verdächtig tiefe Risse im Profil und hört sich gar nicht mehr so vertrauenerweckend an. Der südliche Speckgürtel der Stadt besteht aus einem riesigen Gewerbegebiet mit allerhand Shoppingcentern. Dort bekomme ich einen passenden Reifen. Ich verlasse die Stadt bald wieder und fahre in die Wälder hinauf nach le Colombier. Dort gibt es einen kleinen Campingplatz am Bauernhof, an dem ich mich morgen mit Philippe verabredet habe.

 

Der Platz liegt idyllisch am Bach, hier ist nichts los. Ich wasche mich und meine verschwitzten Klamotten und vertrödele den Rest des Tages in der Sonne.         

 

Freitag, 07.10.: le Colombier – Saou – Montelimar

 

Hier in der Weltabgeschiedenheit der Wälder ist es himmlisch ruhig. Am Morgen ist es recht kühl, und die Sonne braucht eine ganze Weile, um etwas einzuheizen. Meine am Vortag gewaschenen Klamotten sind leider immer noch nass, die Sonne hat einfach nicht mehr genug Kraft.

 

Gegen elf Uhr rollt Philippe auf seinem museumsreifen Renner ein. Ich freue mich, ihn nach zwei Jahren wieder zu sehen. Wir schwatzen und albern erst eine ganze Weile herum, dann überlegen wir, was wir Gutes anstellen können. Philippe ist in Montelimar aufgewachsen und kennt die Gegend bestens. Ich verlasse mich blind auf seine Ortskenntnisse und folge ihm einfach. Es wird ein wunderbarer Radeltag ohne Gepäck.

 

Zunächst folgen wir auf verkehrsarmen Nebenstrassen einem waldreichen Höhenzug. Hinter Soyans passieren wir eine auf dem Bergrücken thronende Burgruine und radeln durch ein enges bewaldetes Tal. Wir erreichen Saou und damit ein Kletterparadies in Drôme. Das Dörfchen ist umgeben von beeindruckenden Felsplatten und –türmen. Hier gönnen wir uns eine Pause in der Sonne.

 

Ziel unserer heutigen Tour ist der Wald von Saou. Im Felszirkus dieses Hochtales hat sich ein wohlhabender Zeitgenosse seinen Traum erfüllt und kurzerhand den gesamten Wald nebst Immobilien und Jagd erworben. Da uns das nötige Kleingeld für derartige Extravaganzen fehlt, beschränken wir uns auf’s neidische Staunen und fahren weiter nach Bourdeaux.

 

Nach kurzer Pause müssen wir hinauf auf den Berg. Oben angekommen zweigt eine herrlich aussichtsreiche Nebenstrasse ab nach Rochebaudin. Für den Rückweg nach le Colombier nehmen wir die gleiche Strecke wie am Morgen für den Hinweg.

 

Philippe fährt schon mal zurück nach Montelimar, er hat kein Licht am Rad und es beginnt dunkel zu werden. Ich baue im letzten Licht des Tages mein Zelt ab, verstaue alle Sachen am Rad und radele ebenfalls nach Montelimar. Hier treffe ich Philippe in seinem Elternhaus wieder.

 

 

Samstag, 08.10.: Montelimar – Espenel

 

Als ich am Morgen wach werde, herrscht im Rhônetal dichter Nebel. Philippe geht’s heute leider gar nicht gut, ein Infekt macht ihm zu schaffen. Folglich gehe ich alleine auf Tour und lasse Philippe in Ruhe genesen.

 

Nachdem sich der Nebel gelichtet hat, besorge ich mir Proviant und verlasse Montelimar. Zunächst fahre ich auf Nebenstrassen durch Ackerland bis ich Pont de Barret erreiche. Ab hier wird’s spannend: Im einsamen Wald zieht das Sträßchen aufwärts und passiert hinter Felines die große Obstplantage. In le Poët Celard, einem wunderschön gelegenen Dorf am Hang, mache ich kurz Pause bevor ich abwärts fahre bis Bourdeaux.

 

Hoch über dem Tal grüßt in einer Bergscharte die Passhöhe des Col de la Chaudiére. Der Anstieg erfolgt in der warmen Nachmittagssonne und ist ein wahrer Genuss. Oben leuchtet der herbstlich bunte Wald, Verkehr gibt’s kaum.

 

Am späten Nachmittag erreiche ich die Passhöhe. Die Aussicht an diesem klaren Herbsttag reicht bis weit hinüber zu den hohen Bergen des Vercors. Ungünstigerweise liegt die Abfahrt vom Pass ins Tal des Drôme leider bereits im Schatten, so dass es dort ziemlich kalt wird.

 

Unten in Saillans angekommen folge ich der Route Nationale noch ein paar Kilometer bis Espenel. Dort gibt’s einen Campingplatz, der allerdings leider auch bereits geschlossen hat. Eine freundliche Nachfrage bei der Bäuerin reicht allerdings aus, dass ich dort doch zelten kann. Allerdings gibt’s kein heißes Wasser, so dass die abendliche Dusche wenig gemütlich wird. Als die Sonne dann noch verschwindet, wird es rattenkalt.

 

Auf dem Gelände des Zeltplatzes stehen einige beeindruckende Walnussbäume. Unter diesen Bäumen liegt eine dicke Schicht herabgefallener Walnüsse. Meine abendliche Beschäftigung besteht darin, die besten Nüsse einzusammeln und zu knacken. So horte ich einen guten Vorrat an energiereichem Trockenfutter für die kommenden Passstrecken.

 

 

Sonntag, 09.10.: Espenel – Buis les Baronnies

 

Die Nacht war kalt, der Morgen bleibt eisig. Das Tal liegt lange im Schatten, ich vermisse meine Handschuhe. Schon bald verlasse ich das Drômetal und zweige ab in das Seitental der Roanne. Dieses Tal gehört mit zu den feinsten Radelrevieren in Drôme. Die einsame Strasse schlängelt sich durch Wald und Wiesen stetig aufwärts vorbei an einigen verschlafenen Dörfern. Das gelb verfärbte herbstliche Laub prägt jetzt den Charakter des Tales. Auf der Passhöhe vom Col de Pré Guittard verlasse ich schließlich das Roannetal.

 

Die Abfahrt vom Pass verläuft im unteren Bereich durch die enge von steilen Felsplatten gesäumte Schlucht von Arnayon. Am frühen Nachmittag erreiche ich Rémuzat. Über dem hoch aufragenden Felsen kreisen diverse Geier, die im Rahmen eines Wiederansiedlungsprojektes hier wieder heimisch werden sollen. In der warmen Mittagssonne mache ich vor dem Geierzentrum Pause.

 

Als nächstes steht der Pass vom Col de Soubeyrand auf meinem Programm. Hinter Rémuzat zieht die einsame Strasse steil aufwärts. Urplötzlich steht Philippe mit seinem Motorrad vor mir. Er wusste ungefähr, wo ich fahren würde und hat den schönen Tag zu einer ausgedehnten Motorradtour genutzt. Seinen Infekt hat er überstanden. Wir unterhalten uns eine ganze Weile, bevor jeder wieder seines Weges zieht.

 

Die Passhöhe selbst ist mangels Aussicht wenig spektakulär. Ein Stück unterhalb wird allerdings erstmals der Mt. Ventoux in der Ferne sichtbar. Nach der Abfahrt durchquere ich das Tal der Ennuye und nehme mir sogleich den letzten kleinen Pass für heute vor, den Col d´Ey. Insbesondere die abschließende Abfahrt ins Tal der Ouvéze führt kurvenreich durch einen lichten Wald.

 

Buis, mein heutiges Etappenziel, liegt spektakulär umgeben von steilen Felsen, der Mt. Ventoux rückt in greifbare Nähe. Der komfortable Campingplatz ist noch geöffnet, ich bin der einzige Gast heute Nacht. 

 

 

Montag, 10.10.: Buis les Baronnies – Sault

 

Die Taubildung in der Nacht war enorm, am Morgen ist alles durchnässt. Nachdem ich Proviant besorgt habe, folge ich dem Tal der Ouvéze aufwärts. Auf wenig befahrener Strecke wird mir in der Sonne bei leichter Steigung schnell warm. Erst in Montauban am Ende des Tales zieht die Steigung etwas auf 6% an. In langen Serpentinen erreiche ich schließlich die Passhöhe des Col de Perty. Die Aussicht schweift weit hinüber in die Hochprovence.

 

Bei der Abfahrt nach Laborel passiere ich zahlreiche abgeerntete Lavendelfelder. Oberhalb des kleinen verschlafenen Dorfes wartet der nächste Pass, der Col St. Jean. Die Auffahrt ist kurz aber steil. Nach der kurvenreichen Abfahrt und einigen Kilometern gegen den Wind erreiche ich Sederon. Es ist schon spät, und ich habe noch einen letzten kleinen Pass vor mir, bis ich mein heutiges Etappenziel erreiche. Die Steigung hinauf zum Col de Macuégne und weiter zum Col de l’ Homme Mort ist moderat. Allerdings ist es oben im Schatten des Waldes zu später Stunde bereits sehr kalt.

 

Die Abfahrt führt mich in flotter Schussfahrt hinunter auf das Plateau von Sault. Der Campingplatz ist offiziell bereits geschlossen. Das Tor ist jedoch ebenso geöffnet wie die sanitären Anlagen. Es sind auch noch vereinzelte Camper auf dem weitläufigen Gelände zu sehen. Daher beschließe ich, hier zu bleiben.

 

 

Dienstag, 11.10.: Sault – Mt. Ventoux – Sault

 

Heute lockt der Berg! Ich bin mir allerdings nicht so sicher, ob es eine gute Idee ist, Mitte Oktober noch auf knapp 2000 Meter Höhe hinaufzufahren. Ich zerstreue meine Zweifel, ein Versuch ist es mir wert. Wenn’s zu ungemütlich wird, drehe ich einfach wieder um.

 

Über dem Mt. Ventoux sieht es jetzt am Morgen allerdings alles andere als einladend aus: Dicke Wolkenpakete hüllen den Gipfel vollständig ein, und selbst hier unten ist es ziemlich frisch. Der Weg ist das Ziel! So arbeite ich mich mit gleichmäßigem Tritt die mit 5% eher harmlose Steigung hinauf. Die Felder lasse ich bald hinter mir, und ich tauche ein in einen zauberhaften Herbstwald.

 

Je weiter ich durch den Wald hinaufkomme, umso mehr ziehen sich die dicken Wolken vom Gipfel zurück. Überraschenderweise wird das Wetter prächtig. Die farbigen Herbstbäume heben sich kontrastreich vor dem dunkelblauen Himmel ab – eine Farborgie, wie ich sie kaum eindrucksvoller erleben kann.

 

Es gibt nur wenige Autos heute, und radeln ist die pure Lust. Im Wald folgen sogar ein paar ebene Kilometer bis zur Abzweigung nach Bedoin. Erst hier ist Schluss mit lustig: vom Chalét Reynard geht es 500 Höhenmeter aufwärts mit stetig zunehmender Steigung. Der letzte Kilometer haut mit 11 % schon ziemlich rein! Aber auch diese Hürde schaffe ich im gleichmäßigen Tritt.

 

Oben am Sender bläst ein heftiger und eisiger Wind. Als erstes wechsele ich die verschwitzten Klamotten gegen wärmeres Equipment. Ich bin doch etwas überrascht, wie viele Radler den Berg der Winde auch so spät im Jahr noch bezwingen. Der „Tour de France-Mythos“ ist allgegenwärtig. Ich genieße das erhabene Gefühl, zum dritten Mal hier oben zu stehen und erfreue mich an der Sonne, die ich hier oben allerdings zum ersten Mal sehe.

 

Die Abfahrt lasse ich locker angehen. 30 Kilometer bergab sind jetzt keine wirkliche Herausforderung mehr. Ich genieße den Herbstwald und die Aussichtspunkte. Am frühen Nachmittag bin ich wieder zurück in Sault. Auf der Aussichtsterrasse des Städtchens über der Nesqueniederung genieße ich die letzten Sonnenstrahlen des Tages.   

 

 

Mittwoch, 12.10.: Sault – Apt

 

In der Nacht hat sich der Himmel zugezogen. Am Morgen sieht es etwas trübe aus. Heute führt mich der Weg weiter runter vom Plateau de Vaucluse. Auf einsamer Straße folge ich zunächst der Nesqueniederung, überquere einen kleinen Höhenrücken und erfreue mich an der langen Abfahrt durch Eichenwald. In Javon taucht unvermittelt ein ausgewachsenes Schloss mitten im Wald auf. Ein Stück weiter öffnet sich die Südkante des Plateaus von Vaucluse in einer spannenden von Felsen gesäumten Schlucht.

 

Ich erreiche St. Saturnin und besorge mir beim Bäcker köstliche Backwaren. Zahlreiche Immobilienhändler und ein trendiges Dorfbild zeugen von der großen Nachfrage besser betuchter Zeitgenossen nach Zweitwohnsitzen in diesem begnadeten Teil Europas. Das äußert sich auch auf unangenehme Weise im vergleichsweise starken Autoverkehr.

 

Ich leiste mir einen Abstecher ins „Colorado der Provence“ zu den Ockerbrüchen von Rustrel. Hier lande ich in der „Sahara“, einem ehemaligen Pigmentabbaugebiet, welches sich in den unterschiedlichsten Ockertönen präsentiert. Leider kommt heute die Sonne nicht durch, sonst wäre es ein wahrer Farbrausch.  

 

Ich radele noch einige Kilometer talabwärts und erreiche Apt. Hier gibt es am Rande der Altstadt den sehr guten Camping Municipal, wo ich für die Nacht einchecke. Zu meiner Überraschung ist dieser Campingplatz im Gegensatz zu meinen bisherigen Erlebnissen sehr gut von Reisenden besucht.

 

 

Donnerstag, 13.10.: Apt – St. Remy de Provence

 

Hier unten bleibt es nun auch in der Nacht recht mild. Ich verlasse Apt und es geht sogleich aufwärts auf den Höhenzug des Luberon. Die Strasse ist verkehrsarm und aussichtsreich, der Blick reicht bis weit hinüber zum Plateau von Vaucluse. Die Sonne heizt angenehm ein. Auf der Höhe des Luberon öffnet sich der Blick in das Tal oberhalb von Buoux. Einiger Lavendelfelder und der eher unspektakuläre Ort repräsentieren eine unverfälschte Provence.

 

Spektakulär wird die Szenerie aber unterhalb von Buoux: Die kleine Strasse führt durch den Wald steil abwärts und wird beiderseits begleitet von hoch aufragenden massiven Felswänden. Das Tal im Luberon wird mit abnehmender Höhe weiter und flacher bis ich schließlich bei Loumarin den Höhenzug verlasse. In Cadenet gönne ich mir beim Boulanger köstlichen Kaloriennachschub. Von hier ist es nicht mehr weit bis zum Fluss Durance.

 

Entlang des Canal de Marseille folge ich ein Stück dem Tal der Durance. Dieser Abschnitt ist eher öde und geprägt von starkem Verkehr und Gewerbergebieten. Interessanter wird es aber bald wieder ab Lamanon. Über Eyguieres erreiche ich den letzten Höhenrücken vor dem Mittelmeer, die Chaine des Alpilles. Die einsame Strasse entlang einer Kiefernallee macht Spass. Auf leichter Steigung erreiche ich schnell durch Niederwald die Höhe der Alpilles. Weiße Kalkfelsen säumen den Weg, über allem strahlt der blaue Himmel.

 

Mangels Alternativen muss ich für ein kurzes Stück auf der stark befahrenen D 99 in Richtung St. Remy radeln. Ab Romarin gibt es aber mit der historischen Via Aurelia eine buckelige aber verkehrsarme und schöne Ausweichstrecke.

 

Am frühen Nachmittag erreiche ich das gemütliche Provencestädtchen St. Remy, das vor allem auch durch Vincent van Gogh berühmt wurde. Der holländische Maler verbrachte hier ein Jahr in der Psychiatrie und schuf während dieser Zeit  einige bemerkenswerte Werke. Der Campingplatz ist noch geöffnet und zu meiner Überraschung auch noch gut besucht.

 

 

Freitag, 14.10.: St. Remy – la Capeliére – St. Remy

 

Mein geplantes „Pflichtprogramm“ habe ich absolviert, heute ist Lustradeln ohne Gepäck angesagt. Ich bin gut im Training, die hohen Berge liegen hinter mir und die schöne Rhonestadt Arles lockt. Allerdings liegt der Höhenzug der Alpilles zwischen St.Remy und Arles.

 

Auf schöner waldreicher Nebenstrecke radle ich aufwärts, bis ich oben die bizarre Felslandschaft von les Baux vor mir liegen habe. Die Lage auf dem Bergsporn und die Szenerie der Alpilles sind sehr eindrucksvoll. Allerdings wissen das auch andere und so ist les Baux fest in Touristenhand. Große kostenpflichtige Besucherparkplätze, ein fast schon zu perfekt saniertes Ortsbild, jede Menge Restaurants und Andenkenläden prägen das Dorf. Zum Glück hält sich der Besucheransturm jetzt in der Nebensaison in Grenzen. Nach kurzem Aufenthalt radle ich weiter und erreiche in ebenem Gelände schnell die Stadt Arles.

 

Es ist noch früh am Tag und mich juckt es in den Waden. Ein kurzer Blick auf die Karte genügt, und ich entscheide mich für einen Abstecher in die Camargue. Dort war ich noch nie, das macht mich neugierig. Hinter Arles wird es schlagartig einsam: flaches Land, großflächige Äcker und einzelne Höfe charakterisieren diesen Landstrich. Ich komme zügig in dem ebenen Gelände voran und erreiche schließlich das Naturschutzgebiet am Binnensee Etang de Vaccarès.

 

Dort liegt am Ostufer das Informationszentrum la Capeliére. In anschaulicher Weise werden entlang eines Lehrpfades die naturkundlichen Besonderheiten dieses einmaligen Lebensraumes präsentiert. Gut getarnte Stationen laden ein, die Vogelwelt ungestört zu beobachten. Allerdings gibt’s hier nicht nur Vögel, sondern auch jede Menge anderer fliegender Individuen. Die kleinen Mosquitos sind selbst am helllichten Tage äußerst hungrig und nach kurzer Zeit sehe ich aus wie ein Streuselkuchen. Da hört der Spaß schnell auf.

 

Ich trete den Rückzug an. Am Nordufer des Etang lädt ein Beobachtungsturm direkt an der Strasse zu einem Rundumblick über die flache Salzwiesenlandschaft ein. Der Rückweg nach Arles führt mich wieder durch Stier- und Pferdeweiden. Auf den Äckern werden im grossen Umfang Ernterückstände verbrannt, so dass es überall qualmt.

 

Zurück in Arles mache ich nur noch eine kurze Pause, um mich an kalorienreichen  Backwaren zu laben. Dann radele ich auf gleicher Strecke zurück nach les Baux. Oberhalb des Dorfes führt ein kleiner Stichweg hinauf auf den höchsten Buckel der Umgebung. Die Fernsicht ist allerdings mittlerweile nicht mehr so gut, sonst könnte man vermutlich von hier oben vom Mt. Ventoux bis zum Meer einen Großteil der Provence überblicken.

 

Am späten Nachmittag bin ich wieder in St. Remy und denke mit etwas Wehmut daran, dass ich morgen in den unwirtlichen Norden zurück muss, wo mich ein ungemütlicher Winter erwartet.

 

 

Samstag, 15.10.: St. Remy – Avignon

 

Heute ist mein letzter Tag hier. Ich lasse mir Zeit, bringe alle Sachen in Ordnung, mache das Zelt für die nächste Reise sauber und packe dann in Ruhe alles zusammen. Der Weg nach Avignon ist nicht weit und führt durch eine unspektakuläre intensiv genutzte Landschaft mit viel Verkehr. Das Wetter ist bescheiden, dunkle Wolken verheißen nichts Gutes.

 

Ich erreiche Avignon, aber von der sommerlichen Heiterkeit ist jetzt nichts mehr zu spüren. Es regnet immer wieder, in der Stadt umherstreunen macht nicht wirklich Spaß. Ich habe noch viel Zeit, denn der Bus fährt erst am Abend zurück.

 

Beim Besuch der Rhoneinsel erwischt mich ein umfangreiches Regengebiet. Ich schaffe es gerade noch unter dem Vordach des örtlichen Rudervereines Unterschlupf zu finden, dann regnet es sich richtig ein. Das Ambiente ist trist. Drei lange Stunden halte ich mich mit den restlichen Keksen und einigen Schnitzereien bei Laune, dann hört der Regen endlich auf.

 

In der Stadt besorge ich mir Proviant für die Fahrt und verbringe den Rest des Abends auf einer Bank am Rhoneufer. Irgendwann taucht Reinhard aus Belm auf. Er ist ebenfalls mit seinem beladenen Rad unterwegs und wartet wie ich auf den Bus zurück in die Heimat. Wir haben eine Menge zu erzählen, und so geht die Wartezeit bis zur Abfahrt schnell rum.

 

 

Sonntag, 16.10.: Busfahrt Avignon – Oldenburg

 

Den Rücktransport der Frankreichradler übernimmt der gelbe Bus der Oldenburger Firma Sausewind. Nach einer langen und wie immer wenig bequemen Nacht erreichen wir im Morgengrauen Deutschland und sind überrascht, dass das Wetter hier besser ist als am Vortag in Südfrankreich.

 

Dem Bus ist die Tour allerdings weniger gut bekommen, denn ab Köln macht der Motor seltsame Geräusche. In Dortmund ist das Geschepper aus dem Antriebsaggregat so stark geworden, dass der Busfahrer schweren Herzens beschließt, die Leiden des Busses zu beenden. Die meisten Fahrgäste sind ohnehin schon in Köln und Dortmund ausgestiegen, so dass wir nur noch neun Personen sind, die weiter müssen nach Osnabrück. Kurzerhand wird ein Kleinbus organisiert, so dass wir nach langer Fahrt dennoch heile wieder zu Hause landen. 

 

 

Zusammenfassung:

 

Die späte Herbsttour in klimatisch begünstigte Gefilde soll meinen „gefühlten“ Sommer noch ein wenig verlängern. Anfang Oktober starte ich von Avignon aus eine Radtour, die mich zunächst dem Flüsschen Gardon folgend hoch hinauf in die Cevennen bringt. Dort ist es allerdings alles andere als spätsommerlich, Schnee- und Graupelschauern lassen am Mt. Aigoual das Blut in den Adern gefrieren.

 

Auch die anschließende Tour durch die eindrucksvolle Schlucht des Tarn ist geprägt von kaltem und regnerischem Wetter. Ich verlasse die Cevennen und folge der Ardècheschlucht zurück ins Rhônetal. Hier stabilisiert sich das Wetter, die beginnende Herbstfärbung der Wälder, der blaue Himmel und angenehme Temperaturen motivieren mich.

 

In Montelimar treffe ich meinen Freund Philippe, der mir per Rad einige wunderschöne Ecken im Departement Drôme zeigt. Ich folge Philippe’s Empfehlungen und radle auf einsamen Strassen durch herbstliche Wälder über zahlreiche kleine Pässe. Ich erreiche schließlich Sault und wage bei gutem Wetter eine späte Tour hinauf auf den „Riesen der Provence“, den 1909 m hohen Mt. Ventoux. Hier erlebe ich den Herbst von seiner schönsten Seite.

 

Vom Plateau de Vaucluse fahre ich hinunter zu den Ockerbrüchen von Rustrel. Über den Höhenzug des Luberon erreiche ich das Durancetal, überquere die Alpilles und erreiche den letzten Standort meiner Reise, das Provencestädtchen St. Remy. Von diesem Ausgangspunkt unternehme ich eine Tagestour ohne Gepäck, besichtige die Felslandschaft um les Baux und fahre über Arles bis weit hinein in die Camargue.

 

Der späte Zeitpunkt dieser Reise hat sich nicht in jedem Fall als vorteilhaft erwiesen: Toll ist, dass die Strassen selbst entlang der touristischen Sehenswürdigkeiten im Oktober nur noch wenig befahren sind. Weniger angenehm ist allerdings die Tatsache, dass die meisten der abgelegenen Campingplätze bereits geschlossen haben. Die Tag sind sehr kurz zum radeln, dafür sind die Abende lang und mitunter ziemlich kalt. Die mediterrane Lockerheit ist dahin und man muss sich ausrüstungsmäßig auch auf widrige Verhältnisse einstellen. Ein früherer Zeitpunkt für die Reise, beispielsweise im September, ist für diejenigen angenehmer, die sich überwiegend draußen aufhalten wollen.         

 

 

Copyright: Oliver Lange, Oldenburg (2006)