Extremadura und Portugal Korkeichen, Hitze und einsame Straßen Ein Radtourenbericht von Oliver Lange Vorbemerkung Seit ich im September 2000 zum ersten Mal im Rahmen einer Exkursion die Extremadura besucht hatte, war klar: hier muss ich noch mal auf eigene Faust mit dem Rad reisen! Dieser Landstrich im Herzen Spanien’s hat seinen ganz eigenen herben Charme. Die endlosen Dehésas - Spanien’s lichte Korkeichenwälder, die weiten einsamen Steppengebiete sowie die alten Städte, die zahlreiche Spuren der römischen Geschichte aufweisen bieten ein spannendes Umfeld für ausgedehnte Radtouren. So arbeitete ich ein Route aus, die mich in die noch weitgehend unbekannten Randgebiete dieser Provinz bringen sollte. Als Startpunkt der Tour wählte ich die andalusische Hauptstadt Sevilla. Von dort orientierte ich mich an den Bergregionen, in denen das Radeln doppelt so viel Freude macht wie in der Ebene. Über die Sierra Morena wollte ich zu den großen einsamen Steppen von La Serena gelangen. Über die Sierra de Guadalupe mit ihrem imposanten Kloster im gleichnamigen Ort wollte ich den Fluss Tajo überqueren und als nördlichsten Punkt der Tour die hohe Sierra de Credos überqueren. Von dort peilte ich Portugal an und beabsichtigte, durch die Abgeschiedenheit von Las Hurdes die Sierra de Gata zu passieren. Über die 2000 Jahre alte Römerbrücke von Alcántara sollte mich der Weg schließlich durch die Steppe von Caceres in die portugiesische Serra da Mamede führen, über der wie ein Adlerhorst spektakulär der Ort Marvão thront. Über die mittelalterlichen Städte Elvas und Évora sollte mein Weg quer durch das Alentejo zum Atlantik führen. Die wunderschöne direkt am Atlantik gelegene Serra da Arrábida mit ihrer aussichtsreichen Höhenstrasse sollte mein letztes Highlight der Tour sein, bevor ich mein Ziel Lissabon erreichen sollte. 1. Etappe (Freitag 06.06.2003): Sevilla – La Estacion Cantillana – El Pedroso – Cazalla – Estacion de Cazalla (Distanz 95 km, Fahrzeit 6,5 Stunden) Die Nacht ist kurz. Um drei Uhr in der Frühe muss ich los, um rechtzeitig zum Abflug in Düsseldorf zu sein. Um sechs Uhr hebt mein Flieger ab, welch eine unchristliche Zeit! Als ich kurz vor neun Uhr Sevilla erreiche, wird Andalusien gerade erst wach. Ich mache mein Rad startklar und verlasse kurze Zeit später bereits den Airport. Etwas beunruhigt von den Wetterhinweisen, die ich in den letzten Tagen genau studiert hatte, schnuppere ich die andalusische Luft. Gar nicht mal schlecht – von wegen 37°C! Es ist herrlich warm, genau richtig zum Radeln. Dass dieser erste Eindruck trügerisch war, wird sich schon bald zeigen! Doch zunächst heißt die Devise: Abmetern! Das Tal des Guadalquivir ist hier wirklich nicht sehr attraktiv. Intensive Landwirtschaft, Autobahn, Gewerbegebiete und recht viel Verkehr sind nicht gerade des Radler’s Traum. In Cantillana erreiche ich schließlich zwei Stunden später den Fuß der Sierra Morena. So angenehme Temperaturen wie noch zu Beginn der Tour herrschen hier allerdings nun nicht mehr. Es ist mittlerweile Mittag geworden, und die Hitze hat mächtig zugelegt. Zu meiner Überraschung beginnt in Spanien bereits jetzt der ultraheiße Jahrhundertsommer früher als sonst üblich. Na, das kann ja heiter werden! Ich versorge mich in Cantillana mit Wasser und etwas Proviant, dann geht’s ab in die Berge. Die Strasse ist zum Glück nur wenig befahren, die Landschaft wird immer interessanter. Leider musste auch diese Strasse, wie so viele in Spanien, einen schicksalhaften Ausbau mit EU-Finanzierung über sich ergehen lassen. Das heißt, es herrscht ein einheitliches Regelprofil mit einer Breite, die autobahnähnliches Fahren zulässt. Das bedeutet wiederum, dass tiefe Einschnitte Hügel zerteilen, die „im Wege“ stehen und dass Täler mittels hoher Dammschüttungen gequert werden. Beides sieht ziemlich grauselig aus, die Wunden in der Landschaft sind weithin sichtbar. Das ist der Tribut an die automobile Gesellschaft. Die stillgelegte alte kurvenreiche Strasse ist noch in Relikten erkennbar und wäre zum Radeln ungleich schöner gewesen. Der Schweiß rinnt an den Steigungen in Strömen, und ich kann kaum so schnell trinken, wie ich die Flüssigkeit wieder ausschwitze. Die angekündigten 37°C des Wetterberichtes waren also doch kein Gerücht! In El Pedroso mache ich schließlich das, was alle Spanier um diese Zeit machen: Siesta! Ich suche mir einen raren Schattenplatz und warte, bis die gandenlose Hitze etwas nachlässt. Um halb sechs wage ich mich weiter, obwohl die Sonne immer noch mächtig vom Himmel brettert. Ich passiere Cazalla und fahre auf einer rumpeligen Nebenstrecke ins Tal hinab zur Bahnlinie. Dort liegt in der Nähe der Bahnstation ein netter Campingplatz, auf dem ich mein Nachtlager aufschlage. Ziemlich übermüdet und auch etwas geschlaucht koche ich ein leckeres Essen und schlafe dann den Schlaf der Gerechten. 2. Etappe (Samstag 07.06.2003): Estacion de Cazalla – San Nicolas del Puerto – Alanis – Guadalcanal – Puebla del Maestre – Aldea de Pallares – Monesterio – Embalse de Tenturia (Distanz 112 km, Fahrzeit 8 Stunden) In der Nacht habe ich mein Schlafdefizit ausgeglichen und fühle mich am Morgen prächtig. Da Spanien in der gleichen Zeitzone liegt wie Deutschland, gleichzeitig aber etliche Kilometer weiter im Westen, geht hier die Sonne erst um 8 Uhr Ortszeit auf. Es ist angenehm frisch, was allerdings nicht allzu lange anhält. Die ersten Kilometer durch das schattige Bachtal bis San Nicolas sind landschaftlich und klimatisch wunderbar. Die weitere Strecke bis Guadalcanal verläuft in stetem Auf und Ab, die Sonne beginnt zu beißen. In Guadalcanal kaufe ich noch Proviant, bevor Spanien wieder in der Siesta verschlummert. Von Guadalcanal führt die Strasse ein Stück abwärts. Dort treffe ich auf den Cañada Real, den alten Triftweg für die weiten Wanderungen der Schaf- und Ziegenhirten. Diese Wege durchziehen ganz Spanien. Die Viehherden werden im Frühjahr aus den heißen Ebenen in die Hochlagen der Berge getrieben, wo sie im Sommer genügend Nahrung finden. Zum Winter geht es über dieselben Cañadas wieder zurück in die Ebene. Die Cañadas haben aus ökologischer Sicht eine hohe Bedeutung, denn aufgrund ihrer großen Breite von bis zu 50 m und ihrer überaus extensiven Nutzung haben sich dort Naturparadiese entwickeln können. Diese Cañadas überziehen die iberische Halbinsel wie ein Spinnennetz und leisten so einen hervorragenden Beitrag zur Biotopvernetzung im Land. Es ist Sommer, die Schafe und Ziegen sind längst oben in den Kordilleren und den Pyrenäen. Ich radel mutterseelenallein durch eine archaische Landschaft. Die raue und staubige Schotterpiste führt kurvenreich durch eine wellige Landschaft und wird begleitet von dem Bergrücken der Sierra del Viento. Die Cañada wird gesäumt von niedrigen Sträuchern. Entlang eines ausgetrockneten Bachbettes blüht der rosafarbene Oleander in Massen. Die Landschaft hat gewisse Ähnlichkeit mit den Wüsten im australischen Outback. Ich schiele misstrauisch auf meinen zur Neige gehenden Wasservorrat. Hier ohne Wasser mit einer Panne liegen zu bleiben, könnte unangenehm enden. Nach rund 10 Kilometern erreiche ich wieder die Asphaltpiste. Bis Puebla del Maestre ist es allerdings noch ein gutes Stück, und das hat es in sich! Die kleine Strasse hat achterbahnähnlichen Charakter. Die Sonne brettert mittlerweile wieder gnadenlos, und die kurzen aber bis 14 % knackigen Steigungen fordern ihren Tribut. In Puebla ist dringend Siestamachen angesagt. Das machen die Dorfbewohner schon eine ganze Weile, und ich muss lange suchen, um überhaupt irgendwo Wasser zu bekommen. Um halb sechs traue ich mich wieder aus dem Schatten der Bäume heraus und radel weiter. Ab Puebla haben die EU-Verkehrsplaner wieder ganze Arbeit geleistet. Bis Monesterio führt der Weg über eine dreispurige autobahnähnlich Strasse mit den gewohnten gigantischen Böschungen. Aber Verkehr gibt es hier so gut wie gar nicht! Erst in Monesterio wird es wieder lebhafter. Hier kaufe ich Proviant ein und fahre anschließend über die Nationalstrasse in Richtung Sevilla den Berg hinab. Dort am Fuße der Berge liegt der Campingplatz. Unten angekommen mache ich ein sparsames Gesicht: Der Campingplatz wird gerade umgebaut und ist natürlich geschlossen, bingo! Einmal laut Sch… schreien und dann wieder zurück den langen Berg hinauf. Mangels Alternativen steht wohl heute Wildcampen an. In Monesterio besorge ich Wasser und radel noch ein Stück zum Stausee Embalse de Tentudia. Doch Ruhe und Einsamkeit finde ich hier heute nicht. Es ist Wochenende, das Wasser lockt zahlreiche Spanier zum Angeln, Baden und Feiern. Da die Ausflügler offenbar durch die Siesta gut gerüstet sind, geht die Feierei die ganze Nacht sehr laut und turbulent vonstatten. 3. Etappe (Sonntag 08.06.2003): Embalse de Tenturia – Calera de León – Cabeza la Vaca – Segura de León – Fuentes de León – Canaveral de León – Carboneras – Aracena (Distanz 67 km, Fahrzeit 5,5 Stunden) Als im Morgengrauen die letzten Radaubrüder vor der Müdigkeit kapitulieren und schließlich einschlafen, rücken auch schon die ersten Angler an: in der Frühe beißt der Fisch wohl besser! Ich kann zwar nicht sagen, dass ich ausgeschlafen bin, aber ich stehe dennoch früh auf, um in der Kühle des Morgens schon mal ein gutes Stück Strecke zurückzulegen. Die heutige Etappe bis Aracena ist landschaftlich äußerst interessant. Hinter Calera führt die Strasse zunächst eine Weile kurvenreich durch die Korkeichenwälder abwärts. Aber irgendwann ist jeder Berg zu Ende, und so geht es auf wenig befahrener Piste im steten Auf und Ab an der Sierra de Tudia entlang. Nach Norden blicke ich weit in die baumlose Ebene der Extremadura hinein, die von Hitze und Trockenheit gelb leuchtet. Zwischen Fuentes und Canaveral überquere ich die waldreiche Grenze zwischen der Extremadura und Andalusien. Trotz der Höhe von rund 1000m ist es mittlerweile schon wieder sehr heiß. In Canaveral sind erwartungsgemäß die Bürgersteige hochgeklappt, es ist mal wieder Siesta. Ich erwische eine Spanierin, die schnell begreift, dass meine Zunge vor Durst fast in den Kniekehlen hängt. Von ihr bekomme ich einige Liter gut gekühltes Wasser, die mir für die restliche Strecke bis Aracena reichen sollten. Tagsüber habe ich immer drei Liter Wasser „an Bord“, die bei den Temperaturen und der dünnen Versorgung hier auch notwendig sind. Leider gibt’s in Canaveral wegen der Siesta nichts zu essen. So fahre ich weiter abwärts zum Stausee Embalse de Aracena. Ich habe das Gefühl, in einen geöffneten heißen Backofen hinein zu fahren. Am See will ich rasten und denke mit gemischten Gefühlen an meine übrig gebliebene Brotkruste und das letzte Stück Käse, was in der heißen Packtasche vermutlich schon zerflossen sein wird. Als ich die Brücke über den See erreiche, staune ich nicht schlecht. Nein, das ist keine Fata Morgana: Im Schatten der Bäume rasten etwa 40 Mountainbiker! In dieser gottverlassenen Gegend sind das die ersten Radler, die ich auf dieser Tour überhaupt zu sehen bekomme. Mit „Olla Collega“ werde ich lauthals willkommen geheißen, und eh ich weiß was los ist, habe ich auch schon einen großen Teller Spaghetti, Kartoffelsalat, kalten Saft und Melone vor mir stehen! Wow, das ist eindeutig besser als zerlaufener Käse auf trockener Brotkruste! Da lasse ich mich nicht lange bitten und haue ordentlich rein. Die Jungs vom Radsportclub Huelva sind gerade auf ihrer alljährlich stattfindenden Pfingsttour durch die Sierra Morena unterwegs. Alles ist bestens organisiert. Geheizt wird auf Mountainbikes ohne Gepäck, Begleitfahrzeuge schleppen alles mit, was so ein Radler unterwegs braucht. Einige Reserveräder sind natürlich auch dabei. Nachdem sich die Truppe gestärkt hat und dabei auch etliche kalte Biere weggezischt hat, geht’s bei 40°C weiter den Berg hinauf nach Aracena. Ich allerdings bin pappsatt, mir ist es noch zu heiß zum weiterradeln, stattdessen springe ich in den See. Eine Abkühlung kann man das aber nicht nennen, das Wasser ist fast so warm wie der Käse in meiner Packtasche (aber immerhin riecht es besser!) Um halb fünf wage ich mich wieder in den Sattel. Es ist immer noch heiß, und der Weg ist steil. Ich lasse es locker angehen und bin eineinhalb Stunden später oben in dem weißen Städtchen Aracena. Der Ort macht auf den ersten Blick einen einladenden und sympathischen Eindruck. Der Campingplatz liegt etwa 4 km südöstlich an der Nationalstrasse in Richtung Sevilla. Zum Glück gibt’s dort einige schöne Bäume, die Schatten bieten. Ruhetag (Montag 09.06.2003): Aracena (Distanz 17 km) Heute ist Pause! Mein Hintern schmerzt etwas. Der Brooks Conquest Sattel ist auch nach einigen tausend Kilometern immer noch nicht richtig in Form gebracht. Ich bin früh in Aracena und kaufe erstmal was zum Essen ein, gestern waren schließlich alle Läden dicht. Den besten Überblick über die Stadt verschafft man sich am besten von oben, also sind das Kastell und die Kirche auf dem Hügel mein erstes Ziel. Der Ausblick ist nicht schlecht, von hier ist die gesamte weiße Stadt zu sehen, nach Süden reicht der Blick weit über die endlosen Korkeichenwälder in den Bergen der Sierra Morena. Unter der Stadt befindet sich in dem Kalkgestein ein ausgedehntes Höhlensystem. In der Gruta de las Maravillas komme ich in den Genuss einer spanischen Führung, von der ich leider nicht allzu viel verstehe. Die Tour führt auf einer Länge von mehr als einem Kilometer durch unterirdische Gänge und Hallen an einigen Seen vorbei. Garniert wird das alles mit bizarren Stalagmiten und Stalaktiten, die mit einer dezenten Beleuchtung gut inszeniert sind. Im Hintergrund schwebt leise der zarte Hauch von Vangelis’ New Age Musik. Mir hat’s gefallen, nicht zuletzt deshalb, weil ich hier für eine Weile der Hitze des Tages entfleuchen kann! Heute ist Pause, und nun mache ich das, was alle Spanier mittags machen: Siesta! Ich suche mir eine Bank im Schatten der Robinien auf der Plaza und verdöse die heißen Stunden. Zum Abend zieht es mich wieder wegen der tollen Aussicht hinauf zum Kastell. 4. Etappe (Dienstag 10.06.2003): Aracena – Alájar – St. Ana la Real – La Nava – Fregenal de la Siera – Valuenge – Brovales (Distanz 106 km, Fahrzeit 7 Stunden) Ich werde früh wach und entschließe mich weiterzuradeln. Westlich von Aracena entdecke ich einen der bislang schönsten Streckenabschnitte. Am steilen Südhang der Sierra führt die wenig befahrene Strasse mit vielen Kurven durch eine waldreiche Mittelgebirgslandschaft. Die Korkeichenwälder sind zum großen Teil nicht mehr genutzt und verbuschen zunehmend. In St. Ana erreiche ich die Nationalstrasse. Aber auch hier herrscht zu meiner Überraschung kaum Verkehr. Zudem führt die Strasse viele Kilometer auf glattem Asphalt bergab, ich komme flott voran. In La Nava, nach rund 60 km, mache ich schließlich „Frühstückspause“. Es geht wieder auf Mittag zu, die Sonne steht fast im Zenit, und ein Schattenplätzchen ist hier kaum zu finden. Ich entdecke schließlich ein mickriges Bäumchen, dessen spärlicher Schattenwurf mich vor dem Biss der Sonne bewahrt. Allerdings muss ich Stück für Stück der wandernden Sonne folgen und dem Schatten hinterher rücken. Bei der Weiterfahrt auf der einsamen Nationalstrasse begegne ich Jay, einem amerikanischen Soloradler. Wir plaudern eine ganze Weile über das woher, wohin, über Gott und die Welt, dann folgt ein langer heißer Steckenabschnitt bis Fregenal, wo ich noch mal eine Pause einlege. Von Fregenal steuere ich in Richtung Jerez über eine Anhöhe. Die anschließende Abfahrt zum Rio Ardila hat wieder Backofenqualitäten! Es ist fast so heiß, und die duftenden Kräuter am Wegesrand, Thymian, Oreganum und Lavendel suggerieren mir, dass die Pizza gar ist! Leider gibt’s noch nix zu futtern. Stattdessen biege ich im Tal von der Hauptstrasse ab und steuere den Stausee von Brovales an. Hier gibt es allerdings weder einen Zeltplatz noch ein schattiges Plätzchen. Nun denn, für eine Nacht muss es reichen. Am Ufer finde ich einen Platz für das Zelt, dann springe ich in das flache Wasser. Allzu sauber sieht’s nicht aus, pisswarm ist es auch. Aber dennoch, für meine verschwitzte und verklebte Haut ist es gut genug. Die Abendstimmung am See ist wunderbar, es ist friedlich und herrlich warm. 5. Etappe (Mittwoch 11.06.2003): Brovales – Zafra – Hinojosa del Valle – Hornachos – Retamal de la Llerena – Higuera de la Serena - Embalse de Zalamea (Distanz 120 km, Fahrzeit 8,5 Stunden) Die Nacht war friedlich, am Morgen wecken mich die Fische, die in der flachen Uferzone zwischen dem Röhricht laut herumplatschen. Da es hier keinen Baum und keinen Strauch gibt, packe ich zügig zusammen, noch bevor die Sonne wieder zu beißen beginnt. Die Strecke bis Zafra ist nicht allzu prickelnd, es herrscht ausnahmsweise mal reger Verkehr. Als ich zum Frühstück Zafra erreiche, ist es bereits wieder ordentlich heiß. Zafra ist ein hübsches Städtchen. Ich radel weiter in leicht welligem Terrain durch ausgedehnte landwirtschaftliche Nutzflächen. Vom Stausee Etang de los Molinos de Matachel führt die Strasse hinauf nach Hornachos, welches auf halber Höhe am Südwesthang der Sierra Grande liegt. Die Steigung ist zwar nicht allzu dramatisch, aber die mittäglichen Temperaturen erreichen wieder annähernd Hochofenniveau. Daher ist in Hornachos meine Siesta notwendig. Ich suche lange, bis ich einen Brunnen zum erfrischen finde. Unter den lichten Palmen an der Kirche gibt es kargen Schatten. Um halb sechs ist die ärgste Hitze vorbei, und ich radel auf rauer einsamer Piste weiter. Die gehölzreiche Landschaft, das bewegte Terrain und die herrliche Einsamkeit beflügeln mich, und ich komme gut voran. In flotter Talfahrt erreiche ich Retamal. Nach langer Suche finde ich im Dorf einen versteckt liegenden Laden. Der Besitzer sieht mich an, als wäre ich soeben vom Mars hier gelandet. Seine Frage, was ich wünsche, beantworte ich mich einem knappen aber wohl sehr überzeugenden „Aqua“! Eine Packung Apfelsaft nehme ich gleich noch mit dazu. Ich muss wohl sehr ausgetrocknet ausgesehen haben, denn der Ladenbesitzer hat mir die Getränke mit dem Kommentar „gratis!“ in die Hand gedrückt und verschmitzt gegrinst. Ein netter Kerl! Ich bedanke mich, und der Großteil der Flüssigkeit verschwindet sogleich in meinem ausgetrockneten Schlund. Da es heute wieder so aussieht, dass weit und breit kein Campingplatz vorhanden ist, stelle ich mich auf wild zelten ein und bunkere genügend Wasser in Higuera. Von dort ist es nicht mehr weit bis zu dem schön gelegenen kleinen Stausee Embalse de Zalamea. Im Schatten der Bäume raste ich und springe in die lauwarmen Fluten des Sees. Eine Erfrischung ist das zwar nicht, aber so bekomme ich zumindest den Schweiß von der Haut. Die Nacht bricht herein, und es ist heiß und stickig. In der Nacht wache ich auf, als es in der Ferne blitzt, donnert und ein heftiger Wind aufzieht. Das Gewitter zieht zum Glück vorbei und lässt mich unbehelligt. 6. Etappe (Donnerstag 12.06.2003): Embalse de Zalamea – Castuera – Cabeza del Buey – Puebla de Alocer – Tallarubias - Embalse de Garcia de Sola (Distanz 120 km, Fahrzeit 8 Stunden) Ein früher Start hat sich bei diesen klimatischen Bedingungen als äußerst vorteilhaft erwiesen. Mit einem Spatzenfrühstück im Bauch „metere“ ich die erste Etappe bis Castuera ab, es ist nicht allzu aufregend hier, vor allem herrscht reger Verkehr. In Castuera erreiche ich den Bergrücken, der das riesige offene Steppengebiet La Serena an dessen Südseite begrenzt. Auf halber Hanghöhe führt eine aussichtsreiche wunderbare Strecke gen Osten. Bei bester Aussicht frühstücke ich in Berquerencia. Die Ebene im Süden ist eine ausgedehnte parkähnliche Landschaft mit zahllosen Korkeichen. Dies ist einer der wichtigsten Überwinterungsgebiete der Kraniche, die Jahr für Jahr zwischen Nordeuropa und der Extremadura pendeln. Im weiteren Verlauf der Tour passiere ich die Puerto Mejara, eine passähnlich Senke in dem Höhenzug. Wer in den Wintermonaten hier ist, kann morgens und abends an einem spektakulären Schauspiel teilhaben: die Kraniche machen es sich nicht schwerer als nötig! Sie überqueren hier an der niedrigsten Stelle die Hügelkette zwischen ihren Futterplätzen in den südlich gelegenen Korkeichenwäldern und den Schlafplätzen an den Seen der Steppe La Serena. Ich folge der Sierra und erreiche gegen Mittag Cabeza del Buey. Hier mache ich noch mal Pause, bevor ich mich in die mittägliche Hitze der Steppe La Serena begebe. Auf 40 Kilometern dominiert endlose Weite: kein Baum, kein Strauch, nur trockenes gelbes Gras! Auch wenn es landschaftlich sehr eintönig wirkt, das Radeln hat eine meditative Komponente, zumindest solange es nicht bergauf geht! Auf der guten Strasse komme ich bei äußerst wenig Verkehr zügig voran. Über den Stausee Embalse de Serena führen zwei Brücken. Die Bergfahrten im Anschluss an die Brücken sind bei der Hitze gnadenlos. Als vorteilhaft erweist sich zu meiner Überraschung der Helm. Die Suppe läuft mir zwar aus dem Helm, aber die Styroporschale hält einen Teil der intensiven Sonneneinstrahlung von Kopf und Ohren fern. Ich erreiche am späten Nachmittag Puebla de Alocer. Hoch über dem Dorf thront weithin sichtbar ein imposantes Kastell. Die Frage, ob ich mich da rauf quälen soll oder nicht, ist schnell beantwortet: na klar! Die Aussicht dort oben muss genial sein! Vor das Vergnügen hat der liebe Gott allerdings die Arbeit gestellt, und so heißt es noch mal alle Kräfte zusammenzunehmen und das voll beladene Rad bei 40°C die 25% ultrasteile Rampe hinaufmanövrieren. Heute verzichte ich darauf ein Held zu sein und schiebe das Rad hinauf, das ist schon heftig genug. Als wäre das noch nicht genug, liegt neben dem Weg eine halbverweste Katze in der Sonne, der „Duft“ schnürt mir die Kehle zu. Die Aussicht entschädigt aber für alle Strapazen. Das Kastell ist in seiner Grundsubstanz noch erstaunlich gut erhalten. Von der Mauer reicht der Blick sehr weit über die endlosen Steppen und die bizarr geformten Stauseen. Hier verweile ich lange, es ist kein Mensch weit und breit zu sehen. Nachdem ich mich satt gesehen habe, geht’s die 25% wieder steil abwärts. Zum Glück verglüht die Felge nicht. In Talarrubias gibt es entgegen der Darstellung der Michelinkarte keinen Campingplatz. Stattdessen nisten direkt an der zentralen Plaza zahlreiche Störche auf den umliegenden Dächern. Ich kaufe hier Proviant, besorge mir Wasser und stelle mich auf eine weitere Nacht in der „Prärie“ ein. Ich nähere mich dem Stausee Embalse de Garcia de Sola und die Landschaft ändert sich schlagartig. Nachdem ich den größten Teil des Tages durch endlose offene Steppen geradelt bin, habe ich nun plötzlich das Gefühl, mitten im Schwarzwald zu sein! Inmitten der steilen bewaldeten Berge liegt wunderschön der Stausee. Östlich der Staumauer gibt es direkt an der Nationalstrasse einen schönen Badebereich, wie einladend! Ich springe gleich in voller Montur hinein, die Klamotten können auch ein Vollbad gebrauchen. Das Bad ist paradiesisch. Das glasklare Wasser hat fast Badewannentemperatur. Als ich mein ausgedehntes Vollbad beende, ist es schon fast dunkel. Es ist wunderbar friedlich hier. Es sind nur noch wenige junge Leute zum Baden hier, die aber auch bald verschwinden. Auf der Strasse herrscht kaum Verkehr, ein wahrhaft toller Platz. 7. Etappe (Freitag 13.06.2003): Embalse de Garcia de Sola – Valdecaballeros – Puerto Llano - Guadalupe (Distanz 55 km, Fahrzeit 4 Stunden) Ich werde früh wach und gönne mir mal ein gutes Frühstück. Heute ist es nicht weit bis zu meinem Ziel. Die Route am See entlang durch die Berge bis Valdecaballeros ist ein Radlertraum: Felsen, Korkeichenwälder und der vielgestaltige See machen in der Morgenfrische auf dem Rad viel Spaß. Über den See ziehen große Trupps von Kuhreihern. Ab Valdecaballeros wird die Strecke wieder etwas eintöniger. Schnurgerade zieht sich die Strasse leicht ansteigend in Richtung Sierra de Guadalupe hinauf. Hier dominieren endlose monotone Aufforstungen mit jungen Kiefern. Interessant wird es erst wieder ab dem Pass Puerto Llano. Vom Pass geht es abwärts, bis ich an der Abzweigung nach Guadalupe den Campingplatz erreiche. Hier unten im Tal ist es in den Mittagsstunden besonders stickig und heiß. Der Schweiß läuft mir nur vom Rumsitzen aus allen Poren. Im Laufe des Nachmittages trifft Philippe mit seinem Motorrad hier ein. Ich bin neugierig auf das große Kloster und das Städtchen Guadalupe, und so mache ich einen Nachmittagsspaziergang hinauf in den Ort. Guadalupe ist einzig und allein auf sein Kloster mit seiner Jungfrau konzentriert. Das Kloster und die angrenzenden Plaza bilden eine städtebauliche Einheit, das Ambiente ist stimmig. Massentourismus gibt’s hier nicht, die Atmosphäre ist sehr entspannt. Ich mache einen kleinen Stadtrundgang und besorge mir dann Proviant. Abends treffe ich Philippe auf dem Campingplatz wieder, wir trinken in dieser lauen Sommernacht Wein und quatschen lange über Gott und die Welt. Ruhetag (Samstag 14.06.2003): Guadalupe Nach vier Tagen im Sattel ist heute mal wieder in diesem netten Ort ein Ruhetag fällig. Die Sonne wird von einem dünnen Wolkenschleier bedeckt, daher habe ich die begründete Hoffnung, dass der Tag vielleicht nicht ganz so heiß werden wird. Philippe hat ebenso wie ich das Bedürfnis, das Kloster mal näher unter die Lupe zu nehmen. So gehen wir dann gemeinsam die drei Kilometer auf der alten Straße hinauf ins Dorf. Wir schließen uns im Kloster einer Führung an, auf eigene Faust wird man leider nicht hinein gelassen. Von den spanischen Erläuterungen verstehe ich nicht allzu viel, Philippe übersetzt mir das Wichtigste. Die Skulptur der Jungfrau von Guadalupe, wegen der hier überhaupt das riesige Kloster steht, sieht eher bescheiden und winzig aus. Hoch über dem ornamental überladenen Altar ist sie inmitten des Prunkes kaum noch wahrnehmbar. Die sonstige Ausstattung des Klosters ist dem Anlass angemessen und gut inszeniert. Die Wände sind mit Riesengemälden behängt, die Motive aus dem kargen Klosterleben zeigen. Roben mit aufwändigen Stickereien sind zu bewundern. Die Architektur des Klosters ist eine spannende Mixtur aus Gotik und dem arabisch beeinflussten Mujedar-Stil. Die an die Kosterkirche angrenzende Plaza lädt zum Verweilen ein. Mehrere Cafés buhlen um Kundschaft. Hier suchen wir uns einen Schattenplatz, lassen den lieben Gott einen guten Mann sein und erfreuen uns mit Cafe con leche an dem schönen Ambiente. Philippe zieht es zur Siesta wieder zurück zum Zelt, ich bleibe im Dorf und streife auf der Suche nach spannenden Motiven durch die Gassen. Das Licht ist leider nicht so toll, es ist noch zu hart und zu blass, so bleibt meine Fotoausbeute eher mäßig. Am späten Nachmittag erreiche ich wieder die Klosterkirche, vor der gerade eine perfekt durchgestylte Hochzeitsgesellschaft das Brautpaar zelebriert. Den Abend verbringen Philippe und ich mit reichlich Wein am Zeltplatz. 8. Etappe (Sonntag 15.06.2003): Guadalupe – Castañar de Ibor – Navalmoral de la Mata – Jarandilla de la Vera (Distanz 110 km, Fahrzeit 6,5 Stunden) Heute geht’s weiter! Ich lasse es am Tage des Herrn gemächlich angehen. Vom Campingplatz führt die Strasse zunächst fünf Kilometer steil aufwärts bis zur Eremita de Humilladero. Es ist noch recht früh, aber die Luft steht, und es ist stickig heiß, der Schweiß läuft in Strömen. Oben am Pass nahe der Eremita kommt endlich ein laues Lüftchen auf. Hier genieße ich den Ausblick hinab auf Guadalupe und die umgebenden Berge. Das Tolle an Pässen ist, dass es wieder abwärts geht, und so genieße ich die anschließende lange und nicht so steile Abfahrt sehr. Die Gegend ist vollkommen einsam, kaum ein Auto fährt hier heute. Irgendwann überholt mich Philippe mit seinem dicken Motorrad, er ist auch aufgebrochen und fährt auf Umwegen nach Jarandilla, wo wir uns am Abend verabredet haben. Der Kiefernwald weicht im Laufe der Abfahrt den Korkeichenwäldern und Olivenhainen. Die Strasse bleibt immer hoch über dem Tal des Ibor, die Aussicht ist wunderbar. Ich nähere mich dem Tal des Tajo. Die Abfahrt ins Tal hinab ist erste Sahne: Irre steil, fast in der direkte Falllinie stürzt die gut ausgebaute Strasse hinab. Ungebremst ist diese Abfahrt rekordverdächtig, 70 km/h sind locker ohne mittrampeln drin. Leider ist der Rausch viel zu schnell zu Ende. Beim anschließenden Blick zurück bin ich heilfroh, dass ich da nicht hinauf fahren muss! Im Norden tauchen im Hitzedunst schemenhaft die hohen Berge der Sierra de Credos auf. Doch zunächst erreiche ich den aufgestauten Flusslauf des Tajo. Hier stehen die Relikte eines alten Römertempels, die vor dem Anstau des Sees ins Trockene versetzt wurden. Hier mache ich kurz Pause und radel dann weiter auf wenig interessanter Piste bis Navalmoral de la Mata. Es ist wieder sehr heiß geworden und Zeit für die Siesta. Nach der Pause ist allerdings noch ein ganzes Stück zu fahren bis zu meinem heutigen Etappenziel Jarandilla. Auf diesem Streckenabschnitt herrscht reger Verkehr, landschaftlich gibt die Fahrt durch die Ebene nicht viel her. Etwas interessanter wird es erst, als ich den Fuß der Sierra erreiche. Allerdings ist die Strasse wieder autobahnähnlich ausgebaut, nicht gerade ideal für’s Rad. Hier dominieren ausgedehnte Tabakplantagen und zahlreiche ziegelrote Trockenhäuser für das Erntegut. Nach Jarandilla geht es stramm bergauf, und die Hitze beißt noch mächtig. Am Campingplatz treffe ich Philippe wieder. Abends machen wir einen Rundgang durch das nette Städtchen, hinter dem es hoch hinauf geht in die Berge der Sierra de Credos. Wir amüsieren uns bis spät in die Nacht mit kühlem Bier auf der heißen Plaza, wo das Thermometer um Mitternacht immer noch 27°C verkündet. So macht Urlaub Spaß! Ruhetag (Montag 16.06.2003): Jarandilla de la Vera Nach einer angenehmen Nacht lasse ich mich heute einfach hängen und entscheide, einen Faulenzertag zu machen. Ich liege auf meiner geplanten Tour gut im Rennen und kann mir diese „Nachlässigkeit“ leisten. Der Schwerpunkt heute liegt auf der Regelung einiger organisatorischer Dinge: Proviant und Brennstoff besorgen, Fahrradpflege, Postkarten schreiben, Reiseführer studieren und relaxen. Am späten Nachmittag mache ich noch einen kleinen Rundgang durch Jaradilla. Das imposante alte Kastell, in dem einst Karl V. residierte, ist heute als Parador, also als Nobelherberge, genutzt. Ansonsten ist heute wieder Ruhe eingekehrt im Ort, die Wochenendausflügler sind alle verschwunden. 9. Etappe (Dienstag 17.06.2003): Jarandilla de la Vera – Cuacos – Puerto del Piornal (1269 m) – Piorna – Cabueza de Valle – Puerto de Honduras (1430 m) – Hervas (Distanz 100 km, Fahrzeit 7 Stunden) Heute stehen nach dem Faulenzertag Berge auf dem Programm. Cuacos erreiche ich flott, da es überwiegend abwärts geht. Oberhalb des Ortes liegt im Wald das Kloster Yuste, in dem Karl V. seine letzten Lebensjahre verbrachte. Die schmale Strasse führt aussichtsreich durch eine mit Granitblöcken übersähte Landschaft. Hier macht Radfahren Spaß! Oberhalb des urigen Ortes Garganta führt die schmale Strasse kurvenreich mit gemächlicher Steigung durch halboffenes Weideland und Steineichenwald mit Adlerfarn stetig aufwärts. Hier werde ich wieder mal von Philippe mit seinem Motorrad überholt, der es überhaupt nicht eilig zu haben scheint. In einer Höhe von 1269 m erreiche ich schließlich die Passhöhe, die als solche wegen dem weiten und ausgedehnten Bergrücken kaum wahrzunehmen ist. Ein Stück unterhalb des Passes wartet Philippe in Piorna auf mich. Hier machen wir hoch über dem Tal des Jerte lange Siesta. In der Höhe herrschen wunderbar angenehme Temperaturen. Die Abfahrt ins Tal ähnelt dann aber wieder einem Abstieg ins Fegefeuer der Hölle. Mit jedem Meter abwärts wird es heißer. Auf der kurvenreichen Strasse lässt es sich herrlich fahren. Die Talflanke ist übersäht mit Kirschbäumen. Das Beste daran ist, dass die Früchte reif sind! Wir stopfen reichlich köstliche Früchte in uns hinein. Unten im Tal an der Nationalstrasse verabschiede ich mich von Philippe, ihn zieht es nach Süden, ich will weiter hinauf in die Berge. Im Valle de Jerte herrschen mal wieder Backofentemperaturen. Mein Etappenziel Jerte hätte ich jetzt schon fast erreicht. Ich fühle mich aber noch fit, es ist noch nicht spät, und der nächste Pass lacht mich an. Oben locken gute Aussicht, angenehme Temperaturen und nicht zu vergessen die zahlreichen Kirschbäume, die sich unter der Last der reifen Früchte biegen. Also heißt die Devise: hinauf zur Puerto de Honduras auf 1430 m! Der Anstieg ist aber eine Spur härter als am letzten Pass. Es geht stramm bergauf, bei der Hitze läuft mir die Suppe aus allen Poren und brennt in den Augen. Aber die reichlichen Kirschen entschädigen mich und geben mir Kraft für die Bergfahrt, Obst soll ja leicht verdaulich sein! Drei Stunden später bin ich völlig einsam oben auf der Passhöhe. Die Aussicht und die anschließende Abfahrt durch den dichten Edelkastanienwald ins Ambroz-Tal sind berauschend. In Hervas besorge ich mir Proviant und schlage auf dem 1 km südlich gelegenen Campingplatz mein Nachtlager auf. 10. Etappe (Mittwoch 18.06.2003): Hervas – Baños de Montemayor – Puerto de Bejar – Lagunilla – Sotoserrano – Vegas de Coria - Pinofranqueado (Distanz 90 km, Fahrzeit 6 Stunden) Entweder war der Wein gestern Abend schlecht, oder die schwüle Hitze der Nacht hat ihre Spuren hinterlassen. Etwas gerädert wache ich früh auf. Heute steht mit Las Hurdes die hinterletzte Ecke der Extremadura auf dem Tourprogramm. Von Hervas geht es über Baños konstant leicht aufwärts zur Puerto de Bejar, der Passhöhe hinüber nach Kastillien. Es bläst mir ein herrlich frischer Wind aus den Bergen entgegen, den ich nach den vergangenen heißen Tagen gerne in Kauf nehme. Zum Glück braust der Schwerlastverkehr über die neu gebaute Schnellstrasse, während ich auf der alten Passstrasse meine Ruhe habe. Die Passhöhe liegt bereits in Kastilien, dort verlasse ich die Hauptstrecke und biege ab auf eine traumhafte und waldreiche Bergstrecke Richtung Lagunilla. Die Strasse führt in einer Höhe um die 1000 m, die Aussicht ins grüne Kastilien ist ebenso erregend wie die angenehm frische Luft. Dieser Landstrich ist völlig einsam, zum Radeln wie geschaffen! Ab Lagunilla geht es lang und anhaltend abwärts. Die Strasse führt durch eine einsame Landschaft, die von Macchia und Olivenplantagen geprägt wird. Natürlich wird es unten im Tal wieder ordentlich heiß. An der Brücke fließen die beiden Flüsse Rio Alagon und Rio Cuerpo zusammen. Hier sind die Flüsse sauber und nicht aufstaut, die Ufer sind nicht begradigt. Bewaldete Berge säumen das Flusstal. In Sotoserrano kaufe ich Proviant ein und mache meine ausgedehnte Siesta. Im weiteren Verlauf des Flusses Aragon ist die Strasse leider wieder autobahnähnlich ausgebaut, aber zum Glück gibt’s so gut wie keinen Verkehr. Es ist schon bedenklich zu sehen, wo hier die EU-Millionen nutzlos vergraben sind. Aber vielleicht wird diese Infrastrukturverbesserungsmaßnahme irgendwann mal in ferner Zukunft dazu beitragen, das Bruttosozialprodukt dieser gottverlassenen Gegend signifikant zu steigern. Dieser Landstrich ist als Naturpark besonders geschützt. Die Hitze brazzelt, und der Streckenverlauf gleicht einer Achterbahn. Es geht beständig rauf und wieder runter, kurze knackige Abfahrten wechseln sich in schöner Gleichmäßigkeit mit zähen Anstiegen ab. Aufmunternd lachen mich die reifen Kirschen vom Wegesrand an, denen ich natürlich nicht lange widerstehen kann. Die komplizierte Topographie macht die Erschließung dieses Teiles der Extremadura in der Tat nicht gerade leicht. Am späten Nachmittag erreiche ich Pinofranqueado, auf dem gut gepflegten Campingplatz bin ich der einzige Gast. Mitten durch den Ort fließt der Fluss Rio de los Ángeles. Der flache und klare Bergbach ist eine einzige große Badeanstalt. Zahlreiche Bewohner des Dorfes lagern am Ufer oder vergnügen sich in den Fluten. Die Hitze steht bis spät in die Nacht an diesem friedlichen Flecken. 11. Etappe (Donnerstag 19.06.2003): Pinofranqueado – Torrecilla – Hernán Pérez – Hoyos – Valverde del Fresno – Bom Sucesso – Ribeira da Bazágueda (Distanz 90 km, Fahrzeit 5,5 Stunden) Mein heutiges Etappenziel liegt bereits jenseits der Grenze in Portugal. Ich radel früh los und passiere gleich hinter Pinofraqueado ein großes Waldbrandbgebiet, in dem nur noch verkohlte Stümpfe stehen, das sieht ziemlich trostlos aus. Bis Torrecilla führt die gut ausgebaute Strasse immer leicht bergab. Ein strammer Rückenwind bläst mich auf Hochtouren, das geht gut ab. Im Nordwesten liegen die Berge der Sierra de Gata. Bis Hoyos führt die Strasse durch bewegtes Terrain auf und ab, dann aber wird’s steil! Ein kleiner Pass an der Sierra de Sta. Olalla treibt mir den Schweiß aus den Poren. Zur Belohnung gibt es aber oben eine tolle Aussicht auf die Sierra de Gata und einen Brunnen mit frischem Wasser. Die weitere Strecke verläuft durch Korkeichenwälder und Weideland garniert mit großen Granitblöcken. Mittags erreiche ich Valverde und gönne mir dort eine ausgedehnte Siesta im Schatten der Bäume. Die Versorgung mit Proviant und Wasser ist gewährleistet. Als ich weiterfahre, ist es immer noch sehr heiß. Bis zur portugiesischen Grenze ist es nun nicht mehr weit. Kontrolliert wird hier allerdings im Zeitalter der EU schon lange nicht mehr. An der Grenze endet die perfekt ausgebaute Strasse, auf portugiesischer Seite geht es auf einer schmalen Rumpelpiste weiter. Die Strasse ist zwar nicht so bequem zu beradeln, aber die Bauart und die Streckenführung passen besser zu dieser einsamen Landschaft als ein breiter Highway. In der Karte ist in der Nähe ein Campingplatz eingezeichnet. Ich kann mir aber überhaupt nicht vorstellen, woher hier die Kundschaft kommen soll. Ich passiere eine kleine weiße Kapelle, die auf einem Hügel thront. Kurz danach erreiche ich einen Bach, an dem in der Tat ein großer Campingplatz liegt. Mitten in der Pampa liegt hier ein gut ausgestatteter Freizeitpark mit allerlei Schnickschnack. Der Platz ist zu meiner Überraschung auch noch recht voll. Die nächste Überraschung erlebe ich beim bezahlen: Die Übernachtung kostet mich schlappe 1,80 Euro. Es ist noch mächtig heiß,und ich stürze mich in den wohltemperierten Pool, wo ich lange bleibe. Den Rest des Tages vergnüge ich mich bei kaltem Bier in der Bar des Campes. Das Campverhalten der überwiegend aus Portugal stammenden Besucher ist interessant: oft sind sie im großen Familienverband anwesend und dabei mit allen Bequemlichkeiten ausgestattet. Der Fernseher plärrt im Vorzelt, Töchterchen quält den Ghettoblaster, Mamma sabbelt mit den Nachbarn und Pappa kümmert sich um die Würstchen auf dem Grill – portugiesisches Familienidyll! Als es schon lange dunkel ist, gelüstet es mich noch mal nach einem Bad. Mutterseelenallein ziehe in der Dunkelheit unter dem Sternenhimmel im lauwarmen Wasser meine Bahnen, ein feines Plätzchen! 12. Etappe (Freitag 20.06.2003): Ribeira da Bazágueda – Aldeia de João Pires – Medelim – Zebreira – Segura – Alcántara (Distanz 90 km, Fahrzeit 6,5 Stunden) Wegen der zu erwartenden Hitze starte ich heute sehr früh. In Aldeia erreiche ich die „Hauptstrasse“, die gut asphaltiert ist und kaum Verkehr aufweist. Endlose Dehesas, Korkeichenwälder, begleiten mich in stetigem Auf und Ab. Östlich der Strasse thront weithin sichtbar der Monsanto. Vor Zebreira ändert sich die Szenerie, die Dehesas werden spärlicher, stattdessen dominieren hier Grassteppe und Ginster. Über die karge Landschaft fegt ein frischer Südostwind, der die Temperaturen erträglich macht. In Zebreira mache ich Frühstückspause. Ich erreiche kurz hinter Segura unten am Rio Erges die spanische Grenze. In einer steilen Schussfahrt geht es abwärts zur 2000 Jahre alten Römerbrücke. Und natürlich geht es auf der anderen Seite des Flusses genauso steil wieder aufwärts! Die Hitze wird wieder grenzwertig. Über das Hochplateau nähere ich mich Alcántara, dort existiert ein uralter, strategisch sehr bedeutsamer Übergang über den Rio Tajo. Die Römer haben hier vor 2000 Jahren eine imposante Brücke über die Schlucht gebaut, die heute noch so gut wie damals unbeschadet ihre Funktion erfüllt. Dummerweise liegt der Campingplatz auf der Westseite der Schlucht hoch oben auf dem Berg, Alcántara aber liegt genau auf der anderen Seite der Schlucht, ebenfalls oben auf dem Berg. Egal wo ich also hin will, es geht immer stramm und lang bergauf und das alles bei Nachmittagstemperaturen um die 40°C. Der Campingplatz ist überwiegend mit spanischen Dauercampern belegt, die wenigen Schattenplätze sind alle besetzt. Also mache ich Siesta im Schatten der Bar des Campingplatzes. Die Situation ist nicht so angenehm, dass ich hier unbedingt einen Ruhetag verbringen möchte. Die Brücke ist zwar spektakulär, aber das war’s dann auch schon. Alles andere motiviert mich eher dazu, schnell wieder abzuhauen. Die Infrastruktur dieses halbverfallenen Kaffs Alcántara entspricht in keiner Weise der historischen Bedeutung der wunderbaren Brücke. Nach langer schweißtreibender Suche finde ich immerhin einen Laden, in dem ich Proviant bekomme. Etwas enttäuscht von der Geisterstadt mache ich auf die anstrengende Tour zurück zum Camp. Dort steht die Sonne mittlerweile so tief, dass ich immerhin neben dem Sanitärblock etwas Schatten finde. Der Campingplatz hat zum Trost einen tollen Pool, in dem ich den Rest des Tages verbringe. Diese Nacht wird allerdings zum Alptraum, es ist die heißeste Nacht der Tour. Ich liege nackt und regungslos im Zelt und schwitze wie in der Sauna. Mit der Landkarte fächere ich mir etwas Luft zu, aber so kann ich natürlich kein Auge zu machen. Irgendwann döse ich schließlich völlig übermüdet weg. 13. Etappe (Samstag 21.06.2003): Alcántara – Membrio – Valencia de Alcántara – Portagem - Portalegre (Distanz 110 km, Fahrzeit 7 Stunden) Nach dieser grauseligen Nacht verlasse ich den unwirtlichen Ort mit dem ersten Tageslicht. So früh war ich noch nie auf der Piste! Bloß schnell weg hier aus diesem Backofen! Das tiefe Tal des Tajo trennt mich von der Steppe von Cáceres, zum dritten und letzten Mal geht es für mich nun über die alte Römerbrücke. Der Anstieg nach Alcántara ist in der Frühe noch erträglich. In der relativen Kühle des frühen Morgen sehe ich im Kaff doch deutlich mehr Menschen als in der Hitze des gestrigen Tages. Direkt hinter Alcántara beginnt die endlos weite offene Steppe von Cáceres. Am Horizont kann ich in 60 km Entfernung gut die auf einem Hügel liegenden Stadt Cáceres erkennen. Kein Baum und kein Strauch begrenzen die Sicht. Am Weg liegen einigen kleinere Stauseen, die von vielen Anglern umlagert sind. Wo kommen die bloß alle her in dieser einsamen Gegend? An der Abzweigung nach Mombrio signalisiert mir ein Schild eindeutig, dass die Strasse gesperrt ist. Die Umfahrung der Baustelle erfordert einen Umweg von 30 km! Mit dem Auto ist das sicherlich kein allzu großes Problem. Aber ich will heute noch in das über 100 km entfernte Portalegre, da kann ich mir keine 30 km Umweg leisten! Ein zufällig vorbeikommender Spanier klärt mich auf, dass die Strasse neu gebaut wird, und dass die Baustelle für mich und mein Fahrrad kein Problem darstellen würde. Das war genau, was ich hören wollte, und so zögere ich nicht lange. Es folgt die einsamste Etappe meiner Tour. Auf 30 km treffe ich in dieser eindrucksvollen Steppenlandschaft keine Menschenseele. Ein paar Rinder verlieren sich in der Weite der Landschaft. Abermillionen von Heuschrecken sind schlichtweg überall! Die Strasse ich dicht an dicht mit den Schrecken übersäht, die vor meinem Vorderrad in dichten Wolken aufspringen. Dass Heuschrecken auch nahrhaft sein können, erlebe ich kurze Zeit später. Direkt neben der Strasse treibt eine Gruppe von etwa 40 Störchen Heerscharen von Schrecken zusammen und frühstückt ausgiebig. Leider mögen sie mich nicht und verschwinden sobald sie mich sehen. Das ist schon verrückt: der nächste Kirchturm oder die Brutplätze in Malpartida sind mindestens 50 km entfernt von hier. Da treffen sich hier in der Pampa fernab von allem 40 Störche und zelebrieren ein üppiges Frühstück. In der Weite der Steppe soll es auch noch stabile Populationen der Grosstrappe geben. Gesehen habe ich allerdings keine einzige. Es fährt sich gut, und ich komme flott voran. Kurz bevor ich im Tal den Rio Salor erreiche, ist die Strasse in der Tat aufgerissen und umgewühlt. Ein hoher Schotterhaufen blockiert die Weiterfahrt. Gut gemacht, da kommt wirklich kein Schwein mehr dran vorbei! Mir bleibt nichts anderes übrig als mein Gepäck abzuladen und alles in Einzelteilen über den Riesenhaufen zu tragen. Aber auch diese Hürde ist bald umschifft. Dafür konnte ich zwei Stunden lang unbehelligt von störenden Autos diese grandiose Landschaft genießen. Hinter dem Rio Salor ist die Neubaumassnahme bereits abgeschlossen, und ein breiter EU-finanzierter Highway pflügt durch die Dehesas. Leider gibt’s in Membrio nichts zu futtern, so mache ich nur kurz Kaffeepause und radle dann weiter in Richtung Portugal. Am Horizont taucht in der Ferne die Serra de São Mamede auf. Bis dorthin fahre ich durch eine weite einsame Landschaft, in der der spanische Kaiseradler seinen Lebensraum hat. Die EU finanziert zum Glück nicht nur Strassen, sondern hat hier auch einige Euro in die ökologische Verbesserung des Lebensraumes für den Kaiseradler investiert. Meditativ entrückt „schwebe“ ich durch diese Landschaft, als mich urplötzlich ein rhythmisches Klack – Klack – Klack in die Wirklichkeit zurückholt. Da steckt mitten im Vorderrad ein dicker fetter Nagel, Volltreffer! Da der Nagel da nicht hinein gehört, ziehe ich ihn mit einem Ruck raus, was aber sogleich mit einem unmissverständlichen „pfffft“ quittiert wird. Bingo, der erste Plattfuß! Zum Glück steht nicht weit entfernt ein Olivenbaum. Dort repariere ich im Schatten den Platten. Gegen Mittag erreiche ich Valencia und frühstücke erstmal ausgiebig. Das Städtchen gefällt mir gut, welche Wohltat im Vergleich zu Alcántara! Portugal ist nun in greifbare Nähe gerückt. Direkt hinter der Grenze beginnt der Naturpark Serra da São Mamede. Die Landschaft hat sich vollständig geändert. Ich befinde mich nun wieder in rund 800 m Höhe, die Dehesas sind Kiefern gewichen, Berge und Felsen dominieren das Bild, die Hitze ist hier oben nicht mehr so heftig. Kurz hinter der Grenze taucht die hohe Bergkuppe auf, auf deren Spitze spektakulär der Ort Marvão mit seinem großen Kastell liegt. Ich erreiche Portagem am Fusse von Marvão. Ab hier ist deutlich mehr Verkehr auf der Strasse als noch in Spanien. Die weitere Strecke bis Portalegre führt waldreich über die Hügel. Landschaftlich ist das sehr schön, aber auf der schmalen Strasse ist bei den portugiesischen Teufelsfahrern Vorsicht geboten. Portalegre liegt schön am Südhang der Serra über der Ebene des Alentejo. Der Campingplatz liegt mal wieder hoch oben über der Stadt in der Serra. Zu guter Letzt geht es also noch mal unverhofft fünf steile Kilometer aufwärts. Das schlaucht! Positiv denken: die Aussicht ist phänomenal und das Klima auch! Nur leider liegt der Supermarkt fünf Kilometer weiter unten. Der Campingplatz ist toll, es gibt reichlich Schatten und viel Ruhe. Neben dem Campingplatz gibt’s direkt an der Hangkante ein Freibad mit Superausblick auf Portalegre. Ruhetag (Sonntag 22.06.2003): Portalegre Verglichen mit dem Backofen Alcántara ist es hier oben in der Serra angenehm kühl. Ich habe wunderbar geschlafen und lasse es am frühen Morgen langsam angehen – heute ist Radelpause! Am späten Vormittag mache ich zu Fuß auf die Socken, um mich etwas in der Stadt umzusehen. Vor allem aber muss ich Proviant besorgen, meine Küche ist leer! Da heute Sonntag ist, ist es in Portalegre recht ruhig. Im Gewirr der Gassen finde ich den Weg zum Castelo. Vom Dach der alten Festung bekomme ich einen guten Überblick über die Stadt. Nach längerer Erkundung der Altstadt werde ich im angrenzenden modernen Quartier nahe des Stadtparkes fündig: Ein großer Supermarkt, prall gefüllte Regale mit allem was das hungrige Radlerherz begehrt, keine Siesta, sonntags geöffnet! Nicht schlecht, das fängt ja gut an! Einen Teil meiner „Beute“ genieße ich gleich auf einer der zahlreichen Parkbänke im Schatten hoher Bäume. Hier wird heute eifrig gelustwandelt, in kleinen Gruppen wird gepicknickt, man schlendert schwatzend durch den Park, die Kinder spielen auf der Wiese. In der Stadt herrscht eine angenehm entspannte Atmosphäre. Am späten Nachmittag mache ich mich langsam auf den Rückweg hinauf zum Zeltplatz. Nass geschwitzt komme ich oben an und gönne mir ein Bad im Freibad mit einem der wohl schönsten Ausblicke in Portugal. Es wird spät, die Sonne geht unter und im frischen Wind wird mir zum ersten Mal auf dieser Tour etwas kühl! 14. Etappe (Montag 23.06.2003): Portalegre – Reveladas – Porto da Espada – Sto Antonio das Areias - Marvao – Portagem – Castelo da Vide – Carreiras – Alvarröes - Portalegre (Distanz 70 km, Fahrzeit 5,5 Stunden) Heute steht „Lustradeln“ auf dem Programm: ohne Gepäck auf kleiner Runde ein paar Höhepunkte in wunderschöner Mittelgebirgslandschaft besuchen. Das Wetter könnte besser nicht sein, es ist schön warm, ein leichter Wind verhindert Schweißausbrüche. Die Tour führt mich nahe der höchsten Erhebung der Serra, dem Pico São Mamede (1025 m), vorbei. Die Zufahrt zum Gipfel erfolgt leider genau von der anderen Seite des Berges, so dass ich auf diesen Abstecher heute verzichte. Stattdessen erfreue ich mich an der kurven- und höhenreichen Strasse mit wenig Verkehr und reichlich Schatten. Der markante Berg, auf dessen Gipfel spektakulär das Dorf Marvao thront, rückt zunehmend in Greifweite. Die Strasse, die von Norden zum Dorf hinauf führt, ist mit dem Rad gut zu befahren. Die Steigung hält sich ebenso in Grenzen wie der Verkehr an diesem Tage. Dieser Tag ist wie aus dem Bilderbuch: knalleblauer Himmel, Superfernsicht, herrliches Klima und ein wunderschönes weißes Dorf erwarten mich auf dem Gipfel. Hier scheint einiges an Denkmalpflegemitteln hinein geflossen zu sein, die Bausubstanz und die Infrastruktur sind perfekt restauriert. Die gute Lage hoch oben auf dem Berg haben die Vorfahren natürlich nicht ohne strategische Überlegungen gewählt! Mindestens ebenso groß wie das eigentliche Dorf ist die weitläufige Befestigungsanlage der Burg. An den hohen Mauern dürfte sich so mancher Eindringling aus dem nahen Spanien die Zähne ausgebissen haben. Die Aussicht ist phänomenal, der 360° Rundumblick reicht von Spanien über die waldreiche Serra da São Mamede bis weit in die Ebenen des Alentejo hinein. Nicht nur die Aussicht ist überwältigend, auch mein Hunger wird es zunehmend. In Marvao kein Problem, die örtliche Gastronomie ist auf Besucher eingestellt. Ich gönne mir auf der Aussichtsterrasse eines kleinen Restaurants ein üppiges Mahl, wohl wissend, dass die nächste Etappe meiner kleinen Radtour zunächst mal eine ganze Weile bergab führen wird! Die anschließende Schussfahrt mit vollem Bauch hinab nach Portagem ist leider schneller vorbei als erwartet. Von Portagem führt die wenig befahrene Strasse durch eine eindrucksvolle Allee und Wald bis Castelo da Vide. Die Stadt hat einen anderen Charakter als Marvao, sie ist größer, lebhafter und hat wirkt durch die großen Plätze „städtischer“. Die Lage ist auch beeindruckend. Am Ende des Bergspornes der Serra thront Castelo da Vide über den Ebenen des Alentejo. Da ich noch ein ganzes Stück zu radeln habe, halte ich mich nicht lange auf. Die Nebenstrasse führt steil und heiß hinauf, überquert den niedrigen Felskamm und verläuft dann hoch auf der Südseite des Bergkammes aussichtsreich nach Carreiras. Da ich keine Lust habe erst steil hinab nach Portalegre zu fahren nur um anschließend den langen steilen Berg zum Campingplatz wieder hinauf zu radeln, suche ich eine alternative Piste. Auf Umwegen gelingt mir das schließlich auch, gerate dabei aber wieder recht weit in Richtung Revelades. Am Abend schwatze ich eine Weile mit dem Chef des Campingplatzes. Er besitzt im Alentejo ein Weinberg und gibt mir eine wohlschmeckende Kostprobe seines Rebensaftes mit auf den Weg. 15. Etappe (Dienstag 24.06.2003): Portalegre – Assumar – Arronches – Campo Maior – Elvas (Distanz 85 km, Fahrzeit 4,5 Stunden) Aufgrund der Erfahrungen im heißen Spanien stehe ich früh auf, um der zu erwartenden Hitze möglichst zu entgehen. Zu meiner Überraschung ist es um halb sechs in der Frühe völlig nebelig und ziemlich kühl. Etwas verwundert schwinge ich mich nach einem Katzenfrühstück auf’s Rad und verlasse fröstelnd die Berge der Serra. Unten in der Ebene sieht es ziemlich trübe aus, der Himmel ist durch den Hochnebel bedeckt, es könnte Regen geben. Die Strasse über Arronches nach Campo Maior ist nicht allzu spannend. Schnurgerade führt die Piste in welligem Auf und Ab durch die lichten Korkeichenwälder und durch endlose Ackerlandschaften. Es herrscht reger Verkehr, wegen der übersichtlichen Piste heizen die Autos schnell. Diese Etappe ist etwas zum „abmetern“. Flott erreiche ich Campo Maior und lege dort eine ausgedehnte Frühstückspause ein. Hier beginnt der Nebel sich aufzulösen. Die Sonne kommt raus und es wird wieder warm! Es ist nun nicht mehr weit bis zu meinem Tagesziel Elvas. Landschaftlich geht es auf dem letzten Teilstück sehr ähnlich weiter. Kurz nach dem Mittag erreiche ich die schöne Stadt Elvas mit der vollständig erhaltenen Befestigungsanlage. Außerhalb der Stadtbefestigung hat die Neuzeit Einzug gehalten: An der Ortsumgehungsstrasse leuchtet mir schon von weitem das LIDL-Logo entgegen – schöne neue Welt! Aber auch ich kann mich dem zweifelhaften Reiz des Discounters nicht entziehen und frische bei der Gelegenheit meine Vorräte auf. Der Campingplatz liegt in fußläufiger Entfernung zur Stadt. Nach einchecken, Zeltaufbau und duschen begebe ich mich in die Stadt. Das Wetter hat sich inzwischen deutlich verbessert, perfekt um die Stadt zu erkunden. Den ersten Überblick verschaffe ich mir fast schon traditionell vom Castelo. Der Blick schweift weit hinüber bis ins spanische Badajoz. Die Altstadt ist ein Juwel, geprägt von weißen Häusern, deren Hauskanten, Fenster und Türen alentejo-typisch ocker abgesetzt sind. Zum Abschluss des Tages finde ich mich auf dem zentralen Stadtplatz wieder, wo ich mir im schwindenden Tageslicht einige kühle Biere gönne. Es herrscht eine sehr entspannte Atmosphäre. 16. Etappe (Mittwoch 25.06.2003): Elvas – Juromenha – Alandroal – Redondo – Evora (Distanz 90 km, Fahrzeit 5 Stunden) In altbewährter Strategie ist die Nacht für mich früh vorbei. Am frühen Morgen ist es noch herrlich frisch, die Landschaft bis Redondo ist deutlich anregender als am Vortag. Das Gelände ist auf der Nordseite des Guadiana sehr bewegt. Im tief stehenden Morgenlicht werden die modellierten Weizenfelder perfekt herausgearbeitet. Zwischen Redondo und Evora ist die Landschaft fast flach und nur noch leicht wellig. Ich komme schnell voran und erreiche kurz nach dem Mittag mit Evora ein weiteres Juwel unter den portugiesischen Städten. Der Campingplatz liegt etwa 2 km außerhalb der Stadt. Dort treffe ich einen der wenigen Reiseradler dieser Tour, einen slowenischen Landsmann. Mit ihm tausche ich mich über die wichtigsten radelspezifischen Besonderheiten der Region aus. Nachdem ich mein Lager eingerichtet habe, mache ich auf den Weg in die Stadt. Die Altstadt ist als Ensemble von der UNESCO komplett als Weltkulturerbe anerkannt. Dementsprechend sind hier etliche Mittel hinein geflossen, um dieses einmalige Erbe zu erhalten und zu sichern. Ich verbringe den Rest des Tages, um die zahlreichen Ecken und Winkel der perfekt restaurierten weißen Stadt zu erkunden und um das Leben auf den Plätzen zu genießen. Hier lerne ich mal wieder einen der Vorzüge von großen alten Kirchen schätzen: Im Inneren ist es schön dämmrig und angenehm kühl, ein guter Kontrast zum grellen Kontrast der Mittagshitze draußen. Die Zeit vergeht wie im Fluge. Am Ende eines langen spannenden Tages erreiche ich mein Zelt in der Dunkelheit. Ich gönne mir noch ein köstliches Fläschchen Wein unter dem Sternenhimmel, dann entschwinde ich ins Reich der Träume. 17. Etappe (Donnerstag 26.06.2003): Evora – Valverde – São Brissos – Santiago do Escoural – Sta. Susana – Alácer do Sal – Comporta – Setúbal – Palmela – Outão (Distanz 145 km, Fahrzeit 8,5 Stunden) Heute morgen wittere ich Atlantikluft. Noch ahne ich aber nicht, dass dies die längste Etappe meiner Reise werden wird. Die ersten Kilometer hinter Evora sind wenig spektakulär und führen über eine stark befahrene Strasse. Nach wenigen Kilometern zweigt die Nebenstrecke in Richtung Valverde ab. Ab hier wird es spannend: Eine schmale verkehrsarme Strasse verläuft am Südhang eines Hügelrückens durch Korkeichenwälder und Eukalyptusplantagen. Ich komme in dem welligen Gelände zügig voran. Ab São Christóvão ist es allerdings mit der Gemütlichkeit vorbei, der Verkehr nimmt zu und ich habe gleich Ärger mit einem rücksichtslosen Lastwagenfahrer, der um Haaresbreite an mir vorbeidonnert. Kurze Zeit später in Sta. Susana erkenne ich den dort parkenden Lastwagen wieder. Als der Fahrer erscheint, mache ich meinem Unmut Luft und scheiße ihn ordentlich zusammen. Ob’s ihn beeindruckt hat, ist fraglich, aber ich bin meinen Zorn los. Unterhalb des Stausees erreiche ich die weite Flussniederung. Am Rande dieser Niederung nisten zahlreiche Weißstörche, die in den überfluteten Reisfeldern reichlich Nahrung für ihre Brut finden. Alácer do Sal leuchtet mit seinen weißen Häusern idyllisch in einer Flusskurve. Nach kurzer Rast radele ich weiter. Die Piste bis Comporta am Atlantik ist ziemlich eintönig. Die Strasse führt zwar durch das Naturreservat des Sado-Mündungstrichters, vom Fluss oder der Niederung ist allerdings kaum etwas wahrnehmbar. Die Strasse führt schnurgerade durch ausgedehnte Küstenkiefernwälder, der Wind bläst heftig frontal von vorne. 30 lange Kilometer kämpfe ich gegen den Wind an und erreiche schließlich am Nachmittag das Nest Comporta. Meine Vermutung, dass es an der Küste zahlreiche Campingplätze geben wird, bestätigt sich nicht. Der nächste Campingplatz liegt 20 km weiter südlich, und da will ich eigentlich gar nicht hin! Das Örtchen macht eine verschlafenen Eindruck, wenig Infrastruktur, viele Baustellen. Das ist kein Ort, wo man „Hurra“ ruft, wenn man ankommt. Nach einer Orientierungspause mit Kaffee und Kuchen entscheide ich nordwärts zu fahren. Über die Halbinsel von Tróia kann ich Setúbal zügig erreichen. Vielleicht gibt’s dort Zeltmöglichkeiten. Ich fühle mich auch nach fast 100 Kilometern noch fit und so komme ich auf interessanter Strecke zügig voran. Die wenig befahrene Küstenstrasse führt durch Dünenlandschaften, lichte Kiefernwälder und gibt gelegentlich den Blick auf den Atlantik oder den Sado-Mündungstrichter frei. Am Ende der schönen Tróia-Halbinsel liegt das Rundum-Sorglos-Etablissement Tróia, das Urlaubsparadies „all inclusive“. Im zweifelhaften Betoncharme der 70er Jahre wurden hier in verdichteter Bauweise Urlaubshochhäuser an den Strand gesetzt. Kein Ort folglich, in dem ein Reiseradler freiwillig länger bleibt als nötig. Also warte ich auf die nächste Fähre, die mich in einer halbstündigen Überfahrt in die turbulente Hafenstadt Setúbal hinüberbringt. Mein Ziel ist Palmela, die Stadt mit der alten Festung hoch über Setúbal. Die Strasse dorthin ist allerdings übel: viel Verkehr und Abgasgestank dominieren das Geschehen. Die Festung von Palmela selbst liegt hoch oben auf dem Berg, die Aussicht reicht von der Sado-Mündung über die Serra da Arrabida bis hoch nach Lissabon. Nicht schlecht! Ich stelle nur leider fest, dass es entgegen den Angaben in der Michelinkarte in Palmela keinen einzigen Campingplatz gibt. Ich gucke etwas sparsam aus der Wäsche! Das heißt, den Weg zurück nach Setúbal fahren, dort soll es Campingplätze geben. Zum Glück geht es abwärts deutlich schneller als aufwärts. Ich erreiche Setúbal schnell, muss mich aber wieder durch den starken Feierabendverkehr quälen. Wenn was in die Hose geht, dann auch richtig: der Campingplatz in Setúbal ist nicht mehr in Betrieb, er hat kürzlich dicht gemacht! Mich schockt heute gar nichts mehr, ich radele stoisch weiter gen Westen. Nach wenigen Kilometern und einigen steilen Höhenmetern erreiche ich Outão. Er dortige Campingplatz liegt in der Nähe eines riesigen Zementwerkes und hat den Charme einer Autobahnraststätte. Aber immerhin: Er ist geöffnet! Und für eine Nacht ist er mir gut genug. Alle Plätze sind durch Dauercamper belegt. Irgendwo am Rande auf einem Parkstreifen klopfe ich meine Häringe in den steinharten Untergrund, das Zelt fliegt mir im Wind fast weg. Ein widriger Ort! Eines ist sicher: Morgen bin ich hier wieder weg! Dieser Tag zählte nicht zu den besten der Tour. 18. Etappe (Freitag 27.06.2003): Outão – Portinho da Arrabida – Serra da Arrabida - Sesimbra (Distanz 45 km, Fahrzeit 3,5 Stunden) Über Nacht hat der Wind zum Glück nachgelassen. Am Morgen ist die Welt wieder verhältnismäßig in Ordnung, vom grauseligen Ambiente des Campinglatzes mal ganz abgesehen. Meine Sachen habe ich schnell zusammengepackt, heute steht nur eine kleine Lustreise auf dem Programm. Bis Sesimbra ist es nicht allzu weit, und der hoch aus dem Meer aufragende Bergrücken der Serra da Arrabida verspricht eine spannende und aussichtsreiche Etappe. Freud und Leid liegen dicht beieinander. Ich habe soeben das riesige Zementwerk hinter mir gelassen, das heftige Wunden in der Landschaft hinterlassen hat. Ein paar Kurven weiter öffnen sich die schönsten Strände am Fuße der Serra. Die sind zwar auch nicht mehr ganz jungfräulich, aber die Szenerie ist stimmig: weite Buchten mit feinem Sand, glasklares Wasser, ein paar kleine Badeorte mit dümpelnden Booten und über allem thront steil aufragend die 500 m hohe Serra mit dichtem Wald. Auf halber Höhe leuchtet im Morgenlicht eine große Klosteranlage strahlend weiß aus dem grünen Hang. Ein paar Reisebusse mit Schulkindern sind auf dem Weg zu den Stränden, sonst ist nicht viel los. Hier macht Radeln wieder uneingeschränkt Spaß. Kaum habe ich den letzten Strand hinter mir gelassen, als sich das Sträßchen von der Küste abwendet und unvermittelt an Steigung zulegt. In engen äußerst steilen Kurven windet sich die Strasse empor. Das ist grenzwertig! Die Steigung beträgt geschätzt etwa 16 – 18 %. Das ganze dauert allerdings kaum länger als einen Kilometer, dann habe ich den Sattel erreicht. Hier muss ich mich entscheiden: Entweder auf direktem Weg weiter westwärts nach Sesimbra oder hinauf auf die Höhenstrasse in Richtung Setúbal. Ich muss nicht lange überlegen, ich habe reichlich Zeit und die Aussicht von oben lockt. Also genehmige ich mir den Abstecher, der sich zu einer der schönsten Etappen der Tour entpuppen wird. Zunächst führt die Strasse auf halber Höhe über dem Meer ohne große Steigung gen Osten zurück. Nach einer Weile erreiche ich das schneeweiße ehemalige Kloster, welches mir schon von der Küste aufgefallen war. Das Convent befindet sich im Privatbesitz und kann daher leider nicht besucht werden. Einen besseren Platz, um von der Welt abgerückt dem Himmel nahe zu sein, kann ich mir hier kaum vorstellen. Hinter dem Kloster geht es noch mal heftig zur Sache, die Strasse zieht sich steil den Hang hinauf und erreicht schließlich den Hauptkamm der Serra. Die Aussicht ist schlichtweg phänomenal: weit schweift der Blick von der fernen Tróia Halbinsel über die Strände der Serra und die grünen Hänge. Nach Norden reicht der Blick über Lissabon bis hinüber zur fernen Serra da Sintra. Ich geniesse lange die Aussicht und radele langsam auf der Höhenstrasse ostwärts bis zum Sendeturm. Dort endet die Höhenstrasse und führt abwärts in Richtung Setúbal. Da ich dort nicht hin möchte, kehre ich um, um nach Sesimbra zu gelangen. Es folgt eine rauschende Abfahrt, die Hafenstadt habe ich schnell erreicht. Gegen Mittag bin ich am Campingplatz, der versteckt über dem westlichen Ende des Fischereihafens liegt und viel Schatten bietet. Sesimbra hat offenbar eine starke Anziehungskraft auf Menschen aus Lissabon, die gerne zum Wochenendausflug hierher kommen. Die Stadt hat alles, was ein Badeort braucht: Badestrände, Restaurants, Kneipen, Freizeithafen und natürlich einige große Hotels. Die sind nicht immer unbedingt schonend in die Landschaft integriert, sondern dominieren Teile der Steilküste, der Tribut an den „modernen“ Lebensstil. Hoch über allem thront, wie kann es anders sein, das alte Castelo. Der Ort gefällt mir, hier bleibe ich gerne einen Tag! Ruhetag (Samstag 28.06.2003): Sesimbra Heute ist Ruhetag! Ich bin kurz vor dem Ziel meiner Tour und habe noch genügend Zeit, um es locker ausklingen zu lassen. Am heutigen Samstag kommen viele Wochenendgäste aus Lissabon und dem Umland hierher, um sich einen netten Badetag zu gönnen. Mir steht der Sinn aber nicht nach vollem Strand, mich lockt das Castelo, welches hoch über der Bucht thront. Es ist für mich allerdings nicht erkennbar, ob es irgendwo einen Fußweg hinauf gibt. Die Leute am Zeltplatz sind der Auffassung, dass es dort keinen Weg gäbe, sondern man mit dem Auto fahren müsse. Das kann ich nicht so recht glauben und mache mich auf den Weg. Ich finde allerdings keinen direkten Zugang, sondern erreiche die Burg in einem weiten Bogen über eine Nebenstrasse in Richtung Santana. Von den Zinnen der alten Festungsanlage ist die Aussicht über die Bucht hervorragend. Lissabon ist im fernen Dunst heute allerdings kaum wahrnehmbar. Hier oben geht ein angenehmes Lüftchen. Es ist ruhig hier, das Leben tobt unten am Strand. Eine Hochzeitsgesellschaft findet sich ein, um in der Kapelle zu feiern. Das Brautpaar fährt ganz bescheiden im Beachbuggy von Citröen vor, dadurch erhält die Veranstaltung eine sehr sympathische Note. Ich halte mich lange hier oben auf, im kleinen Café neben der Kapelle gibt’s leckeren Kuchen. Von den Zinnen der Festung habe ich versucht einen Weg zu entdecken, der direkt hinunter führt nach Sesimbra. Nach einer Weile entdecke ich tatsächlich einen sehr steilen Fußweg. Der Weg ist allerdings stark ausgewaschen und offenbar wenig begangen. Er führt jedoch auf kürzestem Wege in „Falllinie“ direkt nach Sesimbra hinab. Den Rest des Tages genieße ich an Strand und Hafen herumlungernd. Mit einbrechender Dämmerung wird es wieder zunehmend ruhiger am Strand. Stattdessen ist es am Abend auf dem Zeltplatz recht lebhaft. Viele Wochenendausflügler und Dauercamper haben ihre Grills angeworfen und tagen im Familienclan bei Wurst und Wein bis spät in die Nacht. 19. Etappe (Sonntag 29.06.2003): Sesimbra – Cabo Espichel – Alfama - Lissabon (Distanz 70 km, Fahrzeit 4,5 Stunden) Heute ist Sonntag, und die letzte Etappe meiner Tour steht auf dem Programm. Bis Lissabon ist es nicht mehr allzu weit, daher lasse ich mir viel Zeit. Das Wetter lässt allerdings zum ersten Mal zu wünschen übrig. Der Himmel ist vollständig bedeckt, und die Temperaturen sind unerwartet frisch. Der heutige Sonntag erscheint für die letzte Etappe bis Lissabon besonders geeignet, denn so hoffe ich den heftigen Berufsverkehr in der Innenstadt umgehen zu können. Doch zunächst muss ich vom Strand den langen steilen Buckel hinauf nach Santana, genau das richtige zum warm fahren! Da ich schon hier bin, entscheide ich mich kurzfristig zu einem kleinen Abstecher an das Cabo Espichel. Der Weg dorthin über die Hochfläche ist allerdings nicht allzu spannend. Er ist durchgehend bebaut, und heute herrscht reger Ausflugsverkehr. Vor allem Motorräder sind reichlich unterwegs. Am Kap angekommen wird mir klar warum: Hier gibt’s einen Motorradtreff, alles ist dabei, von chromblitzenden Retro-Harleys bis zu voll verkleideten Rennmopeds, die aussehen wie recycelte Joghurtbecher auf Rädern. Es herrscht eine ausgelassene Stimmung, die allerdings abrupt endet, als eine unerwartet heftige Schauerstaffel über dem Kap niedergeht. Unabhängig von dem jähem Ende des Besuches am Kap ist die Atmosphäre schon bemerkenswert: Die einsame halbverfallene Kirche mit ihren Nebengebäuden strahlen Wildwest-Feeling aus. Die Felsplatten stürzen steil in die endlosen Wassermassen des Atlantiks. Nach einem kurzen wetterbedingten Zwangsstop am Kap mache ich mich auf den Weg, um den Rest der Strecke bis Lissabon zurückzulegen. Aber selbst die küstennahe Nebenstrecke über Alfarim ist heute durch regen Ausflugsverkehr stark befahren, beim radeln kommt daher keine rechte Freude auf. Das durchwachsene Wetter sorgt für den Rest. Immerhin habe ich strammen Rückenwind, so dass ich die letzten Kilometer bis zum Stadtrand Lissabons durch öde Gewerbegebiete flott hinter mich bringe. Kaum habe ich Lissabon erreicht, öffnet der Himmel seine Schleusen! Heute scheine ich den Ausgleich für die vielen trockenen und heißen Tage der vergangenen Wochen zu kassieren. Es hätte auch an ein Wunder gegrenzt, wenn ich diese Tour ausnahmsweise mal ohne einen Tropfen von oben beendet hätte. Es sieht nicht nach einem baldigen Ende des Regens aus, und so fahre ich im Nieselregen durch Lissabons südliche Vororte weiter. Leider ist die große Hängebrücke über den Tejo mit dem Fahrrad nicht befahrbar, dort führen nur die Autobahn und die Eisenbahn hinüber ins nördlich gelegene Stadtzentrum. Ich fahre stattdessen zum Ufer des Tejo hinunter, im Stadtteil Alfama fahren regelmäßig die Fähren direkt hinüber zum Cais de Sodre, dem Fähranleger des Stadtzentrums. Die Fahrt dort hinüber ist allerdings sehr ungemütlich. Die riesige Hängebrücke verschwindet plötzlich im Wasserschleier einer heranrauschenden Regenstaffel, die wenige Augenblicke darauf auch unsere Fähre erreicht und uns eine weitere Gratisdusche serviert. Klatschnass erreiche ich das Stadtzentrum und warte zunächst mal auf Wetterbesserung. Irgendwann lässt der Regen nach, und ich begebe mich auf den Weg durch die Stadt in Richtung Campingplatz. Die Fahrt dorthin verläuft weniger übel als befürchtet, der Verkehr ist wegen des heutigen Sonntages nicht allzu stark. Der Campingplatz liegt allerdings aus Radlersicht ungünstig direkt am Schnittpunkt mehrerer Autobahnen und Schnellstrassen. Zu allem Überfluss beginnt es auch wieder heftig zu regnen, so dass die letzten Kilometer der Tour die mit Abstand unangenehmsten werden. Irgendwann erreiche ich den Platz, checke ein und warte lange auf ein Ende des Regens. Der Campingplatz ist riesig groß, es herrscht reger Betrieb. Ich versuche einen Platz zu finden, wo der Straßenlärm nicht so laut ist – vergeblich! Die Highways dominieren das akustische Geschehen. Ich baue mein Zelt auf und treffe gleich Gilles. Der Frankokanadier ist auch soeben mit seinem Rad hier eingetroffen, und wir haben sofort einen gemeinsamen Anknüpfungspunkt. Als ich abends mit dem Kochen beginnen möchte, fängt es zu allem Überfluss wieder an zu regnen. Glücklicherweise gibt es hier aber überdachte Picknickplätze, wo ich gleich einige andere wasserscheue Traveller treffe. Drei Italiener bruzzeln Pasta, zwei Australier kämpfen mit ihrem Trangiakocher. Lissabon beherbergt ein internationales Publikum, die Szenerie hier gefällt mir. Ruhetag (Montag 30.06.2003): Lissabon Nach einer halbwegs angenehmen Nachtruhe trotz des Verkehrslärmes freue ich mich zum Abschluss auf ein paar Tage Stadtleben. Das Wetter wird zögernd besser, und nach dem Frühstück fahren Gilles und ich in die Stadt. Die Räder lassen wir am Camp, wir nehmen stattdessen einen der häufig fahrenden Busse. Nach dem gestrigen Schlechtwettertag herrschen heute wieder angenehmste Bedingungen: ein frischer Wind, ein paar Schönwetterwolken und ansonsten Sonne satt, wunderbar! Wir erschließen die Stadt vom Platz an der Börse nahe dem Cais de Sodre. Das Stadtzentrum zieht mich gleich in seinen Bann. Auf den zentralen Plätzen um den Rossio herrscht weltstädtische Atmosphäre, die sich aber gemäß der portugisischen Ausprägung eher entspannt und zurückhaltend präsentiert. Zahlreiche Cafés, Brunnen und diverse Monumente machen den Aufenthalt spannend. Mir fallen die vielen dunkelhäutigen Menschen aus Afrika auf. Nachdem wir das Stadtzentrum erkundet haben zieht es mich auf die Höhen. Gilles hat andere Pläne, und so mache ich mich allein auf den Weg hinauf zum Castelo, das hoch über der Altstadt aufragt. Über enge Strassen finde ich meinen Weg aufwärts, lasse mich aber von zwei exponierten Aussichtspunkten ablenken. Hier oben von der Kirche Igreja da Graça sind die Stadt und ihre umliegenden Hügel gut zu überblicken. Das Castelo ist eine weitläufige Anlage mit ausgefeilten Befestigungsanlagen. Der Ausblick von hier oben könnte nicht besser sein. Das Stadtzentrum mit seinen engen Strassen und Plätzen liegt direkt unterhalb der Burg. Nach Süden schweift der Blick über den breiten Tejo mit seiner Hängebrücke zum Christus-Monument auf der anderen Flussseite. In der Ferne ist die Hügelkette der Serra da Arrabida gut zu erkennen. Hier oben lässt es sich gut aushalten. Neben dem guten Ausblick gibt es reichlich Schatten unter den Bäumen, ein lebhaftes Lüftchen vom Atlantik und natürlich ein Café. Den Rest des Tages verbringe neugierig schlendernd in den Stadtvierteln, die sich direkt an das Stadtzentrum anschließen. Zwischendurch verlaufe ich mich im weitläufigen Gassengewirr von Bairro Alto und komme so erst spät wieder ins Camp zurück. Dort treffe ich Gilles wieder, der in seiner Hängematte schaukelt. Wir verbringen den Abend mit kochen, trinken und quatschen. Ruhetag (Dienstag 01.07.2003): Lissabon In der Innenstadt gibt es kurioserweise kaum Läden, in denen man Dinge für den täglichen Bedarf kaufen kann. Brot, Käse, Obst und Bier gehen zur Neige. So mache ich als erstes am frühen Morgen einen Abstecher vom Campingplatz zum nahen „Jumbo“-Supermarkt auf der „grünen Wiese“, bzw. neben dem Autobahnkreuz und versorge mich mit dem nötigsten. Nach dem üppigen Frühstück fahren Gilles und ich mit dem Bus nach Belém hinunter und schauen uns das imposante Kloster der Jeronimo-Bruderschaft an. Die im manuelinischen Stil erbaute Anlage wirkt wie die dekorativ verspielte Weiterentwicklung der strengen Gotik. Der Innenhof mit seinen reich verzierten Arkadenbögen hat mich besonders beeindruckt. Gilles muss zurück zum Camp, um sein Klamotten zu packen. Morgen geht’s für ihn heim nach Kanada. Ich lustwandele weiter zum Denkmal der Entdecker, welches direkt am Ufer des Tejo errichtet ist und an all die zahlreichen Haudegen erinnern soll, die sich von hier aus die neue Welt untertan gemacht haben. Der Turm von Belém, das Wahrzeichen dieses Stadtteiles, steht unweit am Flussufer. Belém ist weitläufiger als die enge Innenstadt und eine deutliche Spur ruhiger. Neben dem Palast des Präsidenten gibt’s an der Straßenecke ein Café mit leckerem Kuchen, an dem ich nicht ungeschoren vorbei komme! Von hier aus ist es nicht mehr weit in das oben am Hang gelegene jüdische Stadtviertel Ajuda. Allzu beeindruckend finde ich das aber nicht, die Bausubstanz ist zum Teil äußerst marode. Ich komme auf diesem Weg schnell höher, und so entscheide ich mich weiter zu gehen zum Berg Mon Santo. Hinweisschilder verkünden einen Miradouro, einen Aussichtspunkt, an. Als ich den erreiche, bin ich aber etwas enttäuscht, die Blickachse in Richtung Stadtzentrum und Tejobrücke ist vollständig durch hohe Bäume blockiert. Lediglich im Norden sind die Gewerbegebiete, Vororte und das Autobahngewirr überschaubar, in der Ferne kann man die Serra da Sintra sehen. Vom Mon Santo finde ich einen Weg durch den Wald, der direkt zum Zeltplatz hinab führt. Mit Gilles quatsche ich noch lange über sein Touren, er schwärmt von Neuseeland! Ruhetag (Mittwoch 02.07.2003): Lissabon Gilles verlässt das Camp am frühen Morgen. Ich muss mich auch langsam auf meinen Rückflug vorbereiten. Mein Fahrrad bekommt eine Pflegeeinheit und wird vom Staub der vergangenen Wochen gereinigt. Mittags mache ich mich auf in die Stadt. Einige Ecken, die mich interessieren, habe ich noch nicht gesehen. So zieht es mich heute nach Alfama. Der alte Stadtteil unterhalb der Burg wird charakterisiert von engen Gässchen, steilen Treppen und einer Baustruktur, die sich im Umbruch befindet. Weder die Feuersbrünste noch das große Erdbeben haben diesem Stadtteil ernsthaften Schaden zugefügt. So ist die Bausubstanz mittlerweile ziemlich marode und wird mit großen Aufwand nach und nach modernisiert. Zahlreiche Baustellen sind untrügliche Zeugen für den Umbruch. Es bleibt zu hoffen, dass der Charakter des Viertels nicht den Spekulanten zum Opfer fallen wird. Duch die Innenstadt ziehe ich weiter in die westlich gelegenen Stadtteile Chiado und Bairro Alto. Der botanische Garten war leider schon geschlossen, machte aber von außen auch einen eher abgewrackten Eindruck. Stattdessen finde ich mich später auf einem Aussichtspunkt am Rande von Chiado wieder. Hoch über dem Tejo herrscht auf einer Aussichtsterrasse mit kleinem Park ausgelassene Partystimmung. Gaukler, Freaks und Punks haben sich hier zum Sonnenuntergang versammelt, jonglieren, machen Musik, saufen und kiffen. Mittendrin in dem Gewusel sitzen völlig unbeeindruckt zwei Omas und erfreuen sich ebenso wie das Jungvolk an den letzten wärmenden Strahlen der Abendsonne. Ruhetag (Donnerstag 03.07.2003): Lissabon – Sintra - Lissabon Heute ist mein letzter Tag hier, morgen geht’s heim. In dieser wunderbaren Stadt habe ich mich nun einige Tage herumgetrieben, heute lockt mich die Stadt Sintra mit ihrem Schloss! Da die Strecke dorthin überwiegend durch die dicht bebauten Vorstädte Lissabons führt, entscheide ich mich mit der S-Bahn zu fahren, per Rad wäre das Vergnügen wohl recht eingeschränkt. Das Ticket kostet 1,25 Euro, nach einer knappen Stunde bin ich in Sintra. Das Umfeld der Stadt ist auffällig grün. Ein dichter Baumbestand zieht sich oberhalb der Stadt steil den Hang hinauf, dessen Kuppe von einer Maurenfestung gekrönt ist. Das Städtchen selbst stellt mit seinem weißen Stadtschloss und seiner Altstadt ein geschlossenes Ensemble dar und ist von der UNESCO komplett zum Weltkulturerbe erklärt worden. So ein Prädikat zieht natürlich Touristen aus aller Welt an. Meine hohe Erwartungshaltung wird jedoch etwas enttäuscht. Der Stadtpalast ist zur Zeit Großbaustelle, das Riesenhotel „Tivoli“ nimmt mit seiner geschmacklosen Betonfassade wenig Rücksicht auf die Architektur des Ensembles. In den Gassen der Stadt wird der übliche überteuerte Souvenir-Müll verscherbelt wie an jedem anderen Agglomerationspunkt für Touristen. Nachdem ich mir einen schnellen Überblick verschafft habe, hält es mich nicht mehr lange im Ort. Mich lockt der Palast oben auf den Höhen der Serra. Die meisten Besucher lassen sich mit dem Bus dort hinauf karren. Dabei entgeht ihnen der wunderschöne Weg, der sich durch den dichten Waldpark des Palastes steil hinauf schlängelt. Der Park ist wie die gesamte Serra als Naturpark besonders geschützt und genießt darüber hinaus den besonderen Schutz der europäischen Union. Die Serra da Sintra untersteht als so genanntes „Flora-Fauna-Habitat“ dem internationalen Schutz. In dem dichten Wald ist es angenehm temperiert. Große Granitblöcke, die mit Farn und Moosen überwuchert sind, deuten auf die feuchten Luftmassen des nahen Atlantiks. Der große Palast auf dem Gipfel des Hügels irritiert mich sehr. Dieses protzhafte Bauwerk hat eine äußerst eigenwillige Architektur. Stilistisch ist der Palast eine Mischung aus dem Schloss Neuschwanstein, Schloss Hohenzollern und Disneyland! Das Bauwerk ist ein buntes Sammelsurium aus mittelalterlichen und arabischen Elementen. Unterschiedliche Bauformen, Materialien und kitschige Farben verwirren mein Auge. Auch das Interieur des Palastes mit viel Prunk, Protz aber auch Mief können mich nicht wirklich überzeugen. Beeindruckend bleibt für mich zweifellos die exponierte Lage des Palastes in den Wäldern oben auf der Serra. Anerkennenswert ist aber auch der Aufwand, mit dem hier oben diese Anlage errichtet wurde, sie entsprach sicherlich dem damals herrschenden Zeitgeist. Nachdem ich mich ausgiebig im Kitschpalast umgesehen habe, spaziere ich durch den weitläufigen Waldpark, um zum „Giganten“ zu gelangen. Der „Gigant“ ist die überlebensgroße Skulptur eines martialischen Ritters, der von einem hohen Granitblock in der Ferne auf den Palast blickt. Dort klettere ich hinauf und habe einen perfekten Ausblick auf den Palast. Unweit des „Giganten“ liegt im Waldpark die höchste Erhebung der Serra. Vom dortigen Granitgipfel reicht der Blick weit über den Palast, die Serra da Sintra und den Atlantik bis hinüber nach Lissabon. Mein Tag in Sintra geht zu Ende. Ich fahre mit S-Bahn und Bus zurück zum Camp. Dort sind am Abend zwei weitere Radler eingetroffen. Mit Christiane und Wolfgang gibt’s viel zu erzählen, die beiden sind seit 3½ Jahren mit ihren Rädern unterwegs und haben sich überwiegend in Südamerika herumgetrieben, das ist spannend! Rückflug (Freitag 04.07.2003): Lissabon - Düsseldorf Heute ist Abreisetag. Der Flieger geht erst am Nachmittag und so kann ich in aller Ruhe aufräumen, sauber machen und Sachen packen. Der Weg vom Camp zum Flughafen ist nicht ganz einfach zu finden. Einbahnstrassen, Sackgassen und Schnellstrassen ohne Auffahrt sorgen dafür, dass ich länger brauche als geplant. Nach einer Stunde erreiche ich den Flughafen. Es bleibt noch genug Zeit, um das Rad flugfertig zu machen. Der Flug klappt bestens, die Rückkehr nach Allemania ist eigentlich wie immer: dichte graue Wolkenpakete bedecken das Land, am Boden ist es trübe und düster! Nach der Tour ist vor der Tour! In Gedanken sehe ich bereits meinem nächsten Sonnenziel entgegen, ohne zu ahnen, dass 2003 der finsteren Republik noch den Jahrtausendsommer bescheren wird... Allgemeine Tipps: Radeln in der spanischen Extremadura und im portugiesischen Alentejo ist eine wunderbare Art um diese Landstriche kennen zu lernen. Angesichts der Rahmenbedingungen empfiehlt es sich einige Dinge dabei zu berücksichtigen. Die Topographie auf der von mir gefahrenen Route ist nicht allzu anspruchsvoll. Ausgesprochene Flachlandetappen sind zwar selten gewesen, aber das Höhenprofil ist insgesamt eher moderat. Die landschaftlich mit Abstand interessantesten Etappen lagen ausnahmslos in den Sierras (bzw. portugiesisch: Serra). Wie es der Name erahnen lässt, hat das etwas mit Bergen zu tun, und da geht’s bekanntlich auf und ab! Lange, steile Pässe gibt es aber kaum. Stattdessen ist das Fahren geprägt von moderaten Anstiegen und eben solchen Abfahrten, die Steigungen überstiegen dabei kaum 8 %, von wenigen Ausnahmen einmal abgesehen. Vor allem mit voller Zuladung erleichtert ein bergtaugliches Rad das Vorankommen ungemein. Die Strassen sind vor allem in Spanien sehr gut asphaltiert, so dass man durchaus auch mit schmaler Rennradbereifung komfortabel reisen kann. Hier wurden umfangreiche EU-Gelder investiert, um die Verkehrswege zu verbessern. In Portugal hat sich die Situation auch deutlich verbessert, obwohl es durchaus vereinzelt noch grobe bucklige Pisten geben kann. In der spanischen Extremadura herrscht kaum Verkehr auf der Strasse, man ist weitgehend allein unterwegs. Autofahrer sind rücksichtsvoll gegenüber Radlern. In Portugal ist das etwas anders, das Verkehrsaufkommen ist ungleich stärker, die Leute brettern teilweise wie die Irren! Ein wachsames Auge, ein offenes Ohr und defensive Fahrweise erleichtern das Überleben auf der Strasse. Einkaufsmöglichkeiten und Unterkünfte sind in Spanien generell rar, in Portugal sieht es etwas besser aus. Es ist hilfreich sich im Notfall auf Wildzelten einzurichten und immer eine Notration in der Packtasche mitzunehmen. Wasser zu bekommen ist nicht immer einfach, Brunnen gibt es in den Ortschaften nur selten. Wer an die Tür klopft und freundlich fragt, bekommt aber meistens auch das gewünschte lebensnotwendige Nass. Zum Radeln sind die Vor- und Nachsaison sehr angenehm. In der Hauptsaison von Juli bis August ist es meistens viel zu heiß zum radeln. Der Mai eignet sich gut, da ist es abends lange hell, die Dehesas blühen und die Temperaturen sind mild. Der Juni wird dann zunehmend trockener und vor allem wie im Jahr 2003 auch schon sehr heiß! Sonnenschutz und Siesta zwischen 14 und 17 Uhr sind dann angeraten. Im September und Oktober ist alles verbrannt, das Land erscheint gelb verdörrt. Die Temperaturen sind zum Radeln zwar noch sehr angenehm, aber es wird bereits früh dunkel. Die Radelsaison ist in Portugal wegen des Einflusses vom Atlantik etwas ausgeglichener als in Spanien. Die sommerlichen Temperaturextreme fallen dort nicht so stark aus wie in der Extremadura. Radeln ist dort daher auch während der heißesten Monate durchaus nicht unangenehm. Oliver Lange, Oldenburg 2003