Neuseeland und Australien Radeln am anderen Ende der Welt, oder was sonst alles in die Hose geht… Vorbemerkung: Der Sommer 2003 ging in Europa als einer der heißesten und trockensten in die Geschichte ein. Dieses wunderbare Klima nutzend habe ich viele Kilometer im Fahrradsattel verbracht. Leider ging aber auch dieser Sommer irgendwann zu Ende, und die bittere Realität norddeutscher Breitengrade trat unweigerlich mehr in den Vordergrund. Die Perspektive auf einen langen, dunklen und kalten Winter behagte mir überhaupt nicht. Folglich schwirrten meine Gedanken um die Regionen, in denen es sich auch im Winter gut leben läßt. Radelkollege Gilles gab mir in Lissabon den Anstoß, doch mal mit Neuseeland zu liebäugeln, das Land am Ende der Welt sei zum Radeln wie geschaffen. Was er so erzählte hörte sich durchaus attraktiv an, obwohl ich angesichts der Niederschlagsstatistik nach wie vor skeptisch war. Die Westseite der Südinsel bietet immerhin 8000 mm Regen jedes Jahr, und die wollen ja irgendwann runter kommen! Nichtsdestotrotz beschäftigte ich mich mit Neuseeland und buchte schließlich, als die Tage in Deutschland sehr ungemütlich wurden, meinen Flug nach Auckland! Ich war allerdings von den Erzählungen einiger Neuseelandradler gewarnt und habe meine Route vermeintlich so geplant, daß ich ein möglichst geringes Niederschlagsrisiko einging. Die Südinsel war für mich wegen des rauen Klimas und des häufigen Regens nicht sehr attraktiv. Deshalb konzentrierte ich mich auf die Nordinsel, wohlwissend dass die landschaftlichen Höhepunkte eher auf der Südinsel zu finden sind. Ich wollte mir sechs Wochen Zeit lassen und von Auckland, vereinfacht gesagt, im Uhrzeigersinn um die Nordinsel radeln. Falls die Zeit reichen sollte, wollte ich noch kurz rüber auf die Südinsel zum Abel Tasman Nationalpark, weiter wollte ich nicht mit dem Rad in den Süden vordringen. Aber letztlich kam dann doch alles ganz anders... Sonntag, 15.02. - Dienstag, 17.02: Der Flug Der Tag ist gekommen, an dem ich fliege, 35 Stunden Reisezeit stehen mir bevor, 23 davon eingezwängt in einem Flieger. Keine rosige Perspektive für einen Zwei-Meter-Mann. Der Beginn meiner Reise wartet dann auch mit ein paar kleinen Hürden auf. Das Rad ist gut verpackt in einem großen Pappkarton. Freund Jens holt mich ab, um mich zum Bremer Flughafen zu bringen. Als ich die große Kiste mit dem Rad hochhebe, um sie auf's Autodach zu laden, gucke ich etwas sparsam, als diese sich unten unvermittelt öffnet und das Rad vor mir auf's Pflaster rutscht! Dumm gelaufen! Die Kiste hatte ich wohl oben wunderbar verklebt, aber dem Boden hatte ich leider keine Beachtung geschenkt. Folglich bleibt mir nichts anderes übrig, als das Rad wieder in die Kiste zu stopfen und noch eine Rolle Klebeband zu opfern. Das Rad und ich kommen schließlich heile am Flughafen an. Den Abflugtermin habe ich wohl nicht genau genug verinnerlicht, jedenfalls fliegt meine Maschine eine halbe Stunde früher als gedacht. Nun wird's auch höchste Zeit. Ich verabschiede mich von Jens und checke als einer der letzten Passagiere ein. Ich winke kurz meinem Rad hinterher, das in dem Loch für Sperrgepäck verschwindet und hoffe, dass ich es in Auckland heile wiedersehe. Kurz bevor ich den Flieger besteige, befreie ich meine Taschen von überflüssigem Papierballast. Bei der Kontrolle stelle ich fest, dass mein Bord-Pass offenbar auch im Papierkorb gelandet sein muss. Das fängt ja gut an! Ich durchwühle den Papierkorb, finde den Pass zum Glück wieder und freue mich, doch noch rechtzeitig an Bord gekommen zu sein. Das waren dann auch schon die spannendsten Momente meines elendig langen Fluges. Der Frankfurter Flughafen ist nach wie vor so unübersichtlich wie eh und je und wirkt auf mich eher wie eine in die Jahre gekommene U-Bahn-Station als eine "Drehscheibe" Europas. Drei Stunden Orientierungslauf durch Tunnel und lange Gänge, ein bisschen Däumchen drehen, dann geht's endlich weiter mit einem Jumbo von Asiana Airlines. Die Sitzabstände sind ausgerichtet an den Abmessungen asiatischer Zwerge, ich als langnasiger Riese fühle mich wie in einer Sardinenbüchse. Der Flug geht kurioserweise sehr weit nördlich über das Baltikum, Moskau, Nowosibirsk, Irkutsk, die Mongolei, Peking, das Gelbe Meer nach Seoul in Südkorea. Als wir die Mongolei überqueren, geht gerade die Sonne auf. Ich blicke auf eine schneebedeckte archaische Landschaft. Die Berge werden durch die noch tief stehende Sonne plastisch aus der Landschaft heraus modelliert. Die Flüsse mäandrieren wild und ungezähmt. Spuren menschlicher Zivilisation sind rar. Dort hat sich vermutlich seit Marco Polo's Zeiten nicht allzu viel verändert. Ob man da unten wohl mit dem Rad reisen kann? Die Lösung dieser Frage verschiebe ich auf spätere Zeiten, nun steht erst mal das "Land der großen weißen Wolke" auf meinem Programm. Ich erreiche nach 11 Stunden Flugzeit Incheon, den auf einer Halbinsel gelegenen nagelneuen Flughafen vor den Toren der Millionenmetropole Seoul. Sieben Stunden Aufenthalt, dann soll's weitergehen, noch mal 11 weitere Stunden in einer Sardinenbüchse. Der futuristisch anmutende Flughafen gefällt mir. Eine gewagte Stahl-/Glaskonstruktion mit viel Licht, großzügigem Platz und tollen Aussichtsmöglichkeiten auf Start- und Landebahn. Nachdem ich mir die Beine vertreten und meinen Kreislauf wieder etwas in Schwung gebracht habe, suche ich mir eine ruhige Ecke, stelle meinen Wecker und schlafe. Das klappt wider Erwarten ganz gut, so dass ich recht ausgeruht den letzten Teil des langen Fluges antreten kann. Zum Glück wird auf dem Flug nach Auckland eine moderne Boeing 777 eingesetzt. Die Sitze sind etwas großzügiger dimensioniert. Wenig aufschlussreich ist allerdings die eingeblendete Karte, auf der der Flugverlauf dargestellt wird. Wir überqueren den pazifischen Ozean, die Karte zeigt demzufolge nur blaues Meer und mittendrin das kleine Flugzeugsymbol. Elf lange Stunden später nähern wir uns Auckland. Dichte Wolkenpakete lassen nur gelegentliche Durchblicke auf die vielen Inseln des Hauraki Golfes zu. Ziemlich übermüdet nehme ich mein Gepäck in Empfang, die Pappkiste meines Rades sieht nicht mehr ganz so elegant aus wie zu Beginn der Reise. Die Sicherheitskontrollen bei der Einreise sind heftig. Aus Furcht vor eingeschleppten Schädlingen oder Krankheiten wird alles genauestens untersucht. Schuhsohlen, Zeltheringe und Gewürzdöschen sind verdächtig. Mein Rad muß ich auspacken, es könnte kontaminierter Lehm im Profil der Reifen kleben. Dabei stelle ich bedauerlicherweise fest, dass der Vorderradgepäckträger mehrfach gebrochen ist, sehr ärgerlich! Ich möchte besser nicht wissen, wie die Grobmotoriker vom Ladepersonal mit dem Gepäck umgehen. Für eine spätere Reklamation lasse ich mir den Schaden vorsichtshalber schriftlich bestätigen. Dann rufe ich Brian an von der Skyway-Lodge, eine halbe Stunde später holt er mich mit seinem Kleinbus ab, das Rad passt hinten rein. Nach vielen Stunden habe ich endlich mein Reiseziel erreicht. Ich habe Hunger und besorge mir im Laden nebenan erst mal etwas zu futtern. Das Wetter ist gar nicht so schlecht. Es ist sehr windig, aber warm dabei, ab und zu geht ein Regenschauer nieder. Was ich jetzt noch nicht weiss, ist die Tatsache, dass zeitgleich ein paar hundert Kilometer südlich "Land unter" angesagt ist. Verheerende Niederschläge haben weite Teile an der Westküste überschwemmt! In Auckland bleibt es zum Glück bei reichlich Wolken und einigen Regenschauern. Am Nachmittag packe ich mein Rad aus und montiere alles zusammen. Schließlich falle ich übermüdet ins Bett! Durch die Zeitverschiebung ist mein gesamter Biorhythmus durcheinander geraten. Abends wache ich wieder auf und bin fit! In der Skyway-Lodge herrscht eine entspannte Atmosphäre. Der Laden ist gut organisiert und sauber, Brian und Gwen wissen, was Radler brauchen. Mittwoch 18.02.: Auckland Am Morgen bin ich überraschend fit und fühle mich trotz des horrend langen Fluges ausgeschlafen. Der erste Programmpunkt, der mir heute am Herzen liegt, ist die Reparatur meines zerbrochenen Vorderradgepäckträgers. Brian, Chef vom Haus, empfiehlt mir seinen Kumpel aus der Autowerkstatt. Der guckt etwas irritiert, als er das filigrane Rohr des Tubus-Trägers sieht. Aber als Mann der Fiji-Inseln ist er improvisieren gewohnt. Die Zigarette auf dem Zahn und die Teetasse in der einen Hand begutachtet er das zerbrochene Stück und schreitet schließlich zur Tat. Mit seinem Elektroschweissgerät versucht er das dünne Metallrohr zu bändigen. Ich höre nur sein Fluchen und das wiederholte Gebrazzel des Schweißgerätes. Schliesslich zeigt er mir das Ergebnis - es sieht schaurig aus, aber die Rohre scheinen wieder miteinander verbunden zu sein. Beim Montieren knackt seine Schweißnaht aber bereits wieder weg, so dass er noch mal ran muss. Nach dem zweiten Versuch scheint es dann zu halten. Ob der Gepäckträger allerdings zweitausend beladene Kilometer überstehen wird, erscheint mir fraglich. Was mir nun noch fehlt, ist eine gute Straßenkarte und diverser Proviant. Mit dem Bus fahre ich den langen Weg in Auckland's Innenstadt. Wegen der ständigen Erdbebengefahr sind die Häuser in den Wohnbezirken niedrig gebaut, der Flächenverbrauch ist entsprechend hoch. Die Stadt ufert sehr weit in das Umland aus. Mit dem Bus brauche ich länger als eine Stunde um in das Zentrum zu gelangen. Im Penny Farthing Cycle Store an der Khyber Pass Road schaue ich, ob ich eventuell Ersatz für meinen Tubus-Träger finde, leider Fehlanzeige! Die Queen Street ist die geschäftige Einkaufsmeile der Stadt und führt bis zum Ferry Building am Hafen. Im Mapshop ist die Auswahl an geeigneten Straßenkarten gross. Ich entscheide mich letztendlich für den Kiwi Pathfinder Atlas für 24,95 $. Der hat einen anständigen Massstab und deckt das gesamte Land ab. Darüber hinaus enthält er detaillierte Regionalkarten sowie die Stadtpläne der wichtigsten Städte. Das Wetter ist trübe, fotografieren lohnt heute nicht. Ich treibe mich ein paar Stunden eher ziellos in der Stadt herum und bekomme so einen ersten Überblick. Auffallend finde ich die starke Ähnlichkeit des Innenstadtbereiches zu Sydney. Der Baustil, die Einkaufsstrasse, der Fernsehturm, der Hafen, die Parkanlagen am Rande der Innenstadt wirken wie eine Miniausgabe von Sydney. Zum Ende meiner Tour gedenke ich, noch ein paar Tage Zeit zu haben, um mir Auckland näher anzusehen. Für heute lasse ich es gut sein und fahre zurück zur Skyway Lodge, wo ich mich auf meinen morgigen Start vorbereite. Donnerstag 19.02.: Auckland - Thames Es dauert immer eine ganze Weile, bis zum Tourstart alles an seinem Platz ist. Das Wetter sieht heute sehr viel besser aus, und so starte ich gut gelaunt und bestens vorbereitet. Die Skyway Lodge liegt weit im Süden der Stadt, so dass es bis zum Stadtrand nicht mehr allzu weit ist. Dank meines neuen Stadtplanes finde ich Nebenstraßen, die nicht so stark befahren sind. Ein kleines Teilstück muss ich auf der Great South Road bis Mangere fahren. Dort zweigt die Redoubt Road in Richtung Brookby ab. Hier erfahre ich sogleich, was Radeln in Neuseeland bedeutet: Es geht erst mal stramm bergauf! Ich passiere den weit außerhalb der Stadt gelegenen Botanischen Garten und erreiche die Straße nach Brookby. Ab hier ist von der Hektik der Stadt gar nichts mehr zu spüren. Urplötzlich bin ich fast allein auf der Piste. Das Radeln macht richtig Laune, der Weg führt in ständigem Auf und Ab durch grünes Weideland, kleine Wäldchen lockern die Szene auf. Zwischen Brookby und Clevedon führt die Straße über einen ersten kleinen Pass. In Kawakawa Bay erreiche ich zum ersten Mal das Meer. Der "Ort" ist eigentlich nur eine Bretterbudensiedlung diverser Ferienhäuser. Zu meiner Ernüchterung stehen am schönen Strand Schilder, die darauf hinweisen, dass man hier nicht baden darf und keine Muscheln sammeln soll, das Wasser ist verschmutzt. Selbst hier am Ende der Welt scheint es das Paradies nicht mehr zu geben. Durch bewaldetes Hügelland führt mich der Weg weiter vorbei an einzelnen kleinen Weilern. Ortschaften im eigentlichen Sinne gibt es hier nicht, demzufolge auch keine Versorgungsmöglichkeiten. Kurz hinter Orere erreiche ich den Fjord von Thames. Diese Meereseinbuchtung reicht tief ins Land hinein, die Strasse verläuft ab hier flach weiter. Der Wind legt an Heftigkeit immer mehr zu, zum Glück bläst er aus Norden, so dass ich ihn im Rücken habe. Ich passiere ein ausgedehntes Vogelschutzgebiet in den flachen Dünen und erreiche schliesslich den Highway 25. Leider muss ich nun die Richtung wechseln und habe den heftigen Wind jetzt von der Seite. Auf der Strasse herrscht reger Verkehr, die Landschaft ist völlig platt und geprägt von intensiv genutztem Weideland. Die letzten Kilometer bis Thames geht es ziemlich direkt gegen den immer stärker blasenden Wind, das schlaucht! Das Wetter hat sich vollkommen eingetrübt, und es beginnt zu tröpfeln. Thames selbst hat den zweifelhaften Charme eines gesichtslosen Gewerbegebietes. Später stelle ich fest, dass fast alle neuseeländischen Städte nach diesem Einheitsmuster geplant sind. Hier kaufe ich Proviant ein und radle noch ein Stück nordwärts. Nach drei Kilometern erreiche ich Dickson's Holiday Park, wo ich einen geschützten Zeltplatz finde. Der Chef antwortet auf meine Frage nach den Wetteraussichten im besten Deutsch mit "Scheisswetter!". Besonders bedenklich stimmt mich dabei, daß dies das einzige deutsche Wort ist, das er beherrscht. Offenbar kommt so was hier öfter vor! Immerhin gibt es ein überdachtes Picknickhäuschen, so dass ich unbehelligt vor drohendem Regen mein Abendessen kochen kann. In der Nacht beginnt heftiger Regen. Es prasselt von allen Seiten bei böigem Wind auf das Zelt herab, das fängt ja gut an! Ich fühle mich wie in einer Autowaschstrasse. Irgendwann gegen Morgen läßt der Regen nach, und ich finde noch etwas Schlaf. Freitag 20.02.: Thames - Coromandel Am Morgen sieht der Himmel alles andere als vertrauenerweckend aus! Aprilhaft ziehen heftige Schauern über das Land. Sonne, Wind und Regen wechseln sich in kurzer Folge ab. Ich versuche dennoch so etwas wie einen geregelten Tagesablauf zu etablieren, stehe auf, frühstücke und packe meine Sachen zusammen. Ich zögere meine Abfahrt wegen des verrückten Wetters lange hinaus. Schliesslich starte ich in einer Regenpause. Als ich den geschützten Platz verlasse und die Küstenstrasse erreiche, pustet mich der Wind fast vom Rad. Sogleich geht der nächste Schauer nieder. Dies wird der Tag des Jackewechselns. Die Strasse führt stellenweise durch lichten Wald direkt am Fjord entlang. Regenschauern und heftiger Wind machen mir dabei sehr zu schaffen, der Verkehr ist zum Glück nur schwach. Hinter Kereta geht es stramm aufwärts. Immerhin werde ich für die 15% Steigung mit etwas Sonne verwöhnt. Die Aussicht auf den Fjord und die vor gelagerten Inseln ist nicht schlecht und entschädigt für die teilweise widrigen Bedingungen. Nach weiteren Steigungsstrecken erreiche ich Coromandel. Hier mache ich eine Zwangspause, denn der Himmel öffnet mal wieder seine Schleusen. Coromandel hat ein etwas freundlicheres Stadtbild als Thames. Hier werde ich heute bleiben. Ich radel noch einige Kilometer hinaus zur Long Bay. Dort liegt am Ende der Strasse der Campingplatz in einer schönen Bucht. Zahlreiche kleine Inselchen bereichern den Horizont. Vom Strand zieht sich ein schönes Wäldchen den Hang hinauf, in dem einige eindrucksvolle alte Kauribäume das Geschehen dominieren. Da gerade mal wieder eine heftige Schauerstaffel vom Meer her über die Küste hinweg fegt, wird die Szenerie in dramatische Lichtstimmungen getaucht. Während ich am Abend wind- und regengeschützt in der Küche des Camps meine Nudeln koche, flimmern Bilder von verheerenden Überschwemmungen über die Mattscheibe. Den Südwesten der Nordinsel hat's böse erwischt! Samstag 21.02.: Coromandel - Hot Water Beach Im Laufe der Nacht hat der Wind glücklicherweise etwas nachgelassen. Dennoch ist es am Morgen immer noch stark bewölkt und kühl. Den ersten Teil meiner heutigen Etappe konnte ich gestern bereits überblicken - die Strasse zur Ostseite der Halbinsel zieht hinter Coromandel gewaltig steil den Berg hinauf. Mir bleiben nur wenige Kilometer, um auf Betriebstemperatur zu kommen, dann kennt die Steigung kein Erbarmen. Die Bergpiste ist erst vor wenigen Jahren asphaltiert worden und schlängelt sich mit etwa 16% kontinuierlicher Steigung den Hang hinauf. Das Ganze dauert vier Kilometer, dann habe ich den "Pass" erreicht. Sehen kann ich von oben leider nicht viel, denn von Westen rauscht gerade die nächste Regenstaffel heran. Also heisst es Luft holen und abtauchen! Die Abfahrt zur Ostseite ist mindestens genau so steil wie die Auffahrt. In engen Kurven fällt die Piste dem Meer entgegen. Trotz guter Hydraulikbremsen muß ich mit beiden Händen feste zupacken, um das Rad unter Kontrolle zu halten. Die Felgen glühen, da ist der Regen gut zur Kühlung! In steilem Gelände führt die Strasse weiter und passiert einige großflächige Kahlschlagflächen. Beliebtes Nutzholz ist die kalifornische Kiefer, die ist schnell nach nur 25 Jahren hiebreif. Ob man das noch als ordentliche Waldbewirtschaftung bezeichnen kann, mögen andere beurteilen. Auf mich wirkt diese forstliche Monokultur eher wie ein Stangenholzacker. Die großflächigen Kahlschläge sind auch nicht unbedingt geeignet, das Landschaftsbild zu bereichern. In Kuaotunu erreiche ich die Ostküste und mache an dem schönen Strand lange Pause. Nun ist endlich die Sonne raus gekommen und heizt sogleich gut ein. Einige steile Höhenmeter weiter erreiche ich Whitianga, wo ich den Pacific Coast Highway für eine Weile verlasse. Am Hafen bringt mich die kleine Personenfähre hinüber Richtung Cook's Beach. Auf verkehrsarmer Strecke arbeite ich mich durch hügeliges Weideland vor zum Hot Water Beach. Auf den letzten Kilometern treibt mich heftiger Rückenwind in Rekordgeschwindigkeit dem Strand entgegen. Direkt am Strand gibt bzw. gab es einen Campingplatz, der mittlerweile aber leider kurz vor der Schliessung steht. Spekulanten haben auch dieses Kleinod entdeckt und werden es sich wohl mit Ferienwohnungen "vergolden". Trotzdem gefällt mir die landschaftliche Szenerie ausgesprochen gut. Ein kleiner Fluss mündet hier vor üppig grüner Kulisse in die Bucht, der helle Sand des langgezogenen Strandes reflektiert die Sonne. Mittendrin graben Touristen Löcher in den Strand und stossen auf heisses Wasser, welches hier aus dem Boden quillt. Der Hot Water Beach macht zumindest hier seinem Namen alle Ehre, das Meerwasser ist dagegen alles andere als "hot", allzu lange halte ich es nicht aus im kühlen Nass! Sonntag 21.02.: Hot Water Beach Heftiger Wind stört meine Nachtruhe. Der Morgen zeigt sich dann zum Glück versöhnlich - kein Wölkchen trübt den Himmel, der Wind hat sich gelegt. Nach drei anstrengenden Tagen auf dem Rad gönne ich mir hier und heute meinen ersten Faulenzer. Das Wetter ist wunderbar, das Licht ist perfekt, so habe ich ausgiebig Gelegenheit, den Strand zu erkunden und reichlich zu fotografieren. Die Niedrigwasserphase beginnt am Nachmittag, erst dann gibt das Meer die beiden heissen Quellen frei. Sonntagnachmittag haben sich zahlreiche mit Schaufel bewaffnete Badegäste eingefunden, die den halben Strand auf der Suche nach heissem Wasser umgraben. Schnell ist das Umfeld der heissen Quellen durchlöchert wie ein Käse. In den Löchern sitzen grinsend schwitzende Leiber mit dem Hintern im heissen Wasser. Für ein heisses Vollbad ist es leider zu eng hier. Statt dessen vergnüge ich mich an dem weitläufigen Strand. Dort spielen zwei Jungs mit ihren Surfkajaks in den niedrigen Wellen und haben eine Menge Spass dabei. Der Tag war klasse, ich hoffe, dass das Wetter nun endlich stabiler wird und noch mehr von solchen Tagen kommen. Montag 23.02.: Hot Water Beach - Bowentown Der Tag beginnt mit einem "Feuerwerk" am Himmel. Während weniger Minuten glüht der Himmel im leuchtenden Morgenrot. Allzu froh bin ich darüber aber nicht, nicht selten ist Morgenrot ein untrüglicher Vorbote von reichhaltigem Regen. Vom herrlichen Sommerwetter des gestrigen Tages ist heute leider nicht viel übrig geblieben, der Himmel ist zugezogen und es ist kühl. Die Steigungen des heutigen Tages fallen vergleichsweise moderat aus. Abgesehen von einigen naturnahen Waldresten dominieren heute Weideland, Kahlschläge und Aufforstungen die Szenerie. Tairua liegt sehr schön an einem Inlet, hier bietet sich eine Rast am Wasser an. Ein kegelförmiger Berg gibt der Bucht sein unverwechselbares Gesicht. Das nächste Zwischenziel heisst Whangamata und liegt ebenfalls an einer weiten Bucht mit zwei vorgelagerten kleinen Inseln. Das Stadtbild ist aber auch hier, wie mittlerweile gewohnt, zwar sehr zweckmäßig, aber ansonsten eher lieblos und öde. Im weiteren Verlauf herrscht auf dem Pacific Coast Highway reger Verkehr. Zahlreiche Logtrucks und Wohnmobile verhindern ein entspanntes Radeln. Ab Waihi muss ich leider ein Stück auf dem National Highway 2 fahren. Starker Lastwagen-Verkehr verleidet mir den Spass gründlich. Der starke Verkehr und mangelnde Alternativstrecken scheinen sich auf der Nordinsel als das grösste Hindernis beim Radfahren zu entpuppen, das Strassennetz ist nur sehr grobmaschig, Nebenstrassen gibt es kaum, Güter werden vorwiegend auf der Strasse transportiert. Die letzten Kilometer der heutigen Etappe fahre ich entspannt auf ebener Strecke am Strand entlang bis nach Bowentown am Ende der Halbinsel. Küstenheiden und ausgedehnte Ferienhausanlagen prägen diesen Teil der Küste. Mein heutiges Ziel, der Holiday Park, liegt direkt am Strand. Campküche, Aufenthaltsraum und sanitäre Anlagen setzen neue Massstäbe, absolut vorbildlich! Dienstag 24.02.: Bowentown - Mt. Maunganui In der Nacht hat es geregnet. Am Morgen sieht der Himmel über den Bergen alles andere als vielversprechend aus, finstere Wolken verdecken die Gipfel. Mit gemischten Gefühlen bereite ich mich auf die Weiterfahrt vor. Beim Frühstück in der Nobelküche rummst ein verirrter Vogel vor das grosse Fenster und stürzt völlig verdattert in meinen zum Glück leeren Kochtopf. Ich befreie den armen Kerl aus seiner misslichen Lage. Die heutige Etappe zählt eher zu den uninteressanten aber leider unvermeidbaren Abschnitten. Im grossem Bogen führt die Strasse um die Bucht von Tauranga Harbour herum. Bei kühlem Wind erreiche ich bald den Highway 2, auf dem ich in bewegtem Gelände in Richtung Tauranga radele. Auf dem Highway herrscht reger Verkehr, vor allem die LKWs sind sehr unangenehm. Links und rechts der Strasse dominieren hohe Windschutzhecken das Landschaftsbild, hinter denen Obstplantagen gedeihen. Die einzige Versorgungsmöglichkeit unterwegs besteht in Katikati, ansonsten heisst es konzentriert in die Pedale treten und schnell durch. Zum Glück bleibt es trocken. Als ich einen Landmaschinenhandel passiere, überlege ich, dass es vielleicht ratsam sein könnte, den angeknackten Gepäckträger näher zu inspizieren. Der Chef, selbst ehemaliger aktiver Radler, lässt sich nicht lange bitten und schweisst mir die Schwachstellen mit Schutzgas zusammen. Das sieht nun schon bedeutend Vertrauen erweckender aus, so dass ich beruhigter weiterradeln kann. Ich erreiche Tauranga zügig, die Fahrt durch die Stadt bzw. an der Stadt vorbei nach Mt. Maunganui ist allerdings abenteuerlich. Es geht geradewegs über die Stadtautobahn, teilweise wird diese von einem spartanischen Radweg begleitet. Haarsträubend ist die „Radwegführung“ an den Ab- und Auffahrten zur Stadtautobahn. Auf der alten Hafenbrücke wird’s ziemlich eng, schmale Fahrbahnen und fehlender Radweg erhöhen den Nervenkitzel signifikant. Das Wahrzeichen der westlichen Bay of Plenty, der Vulkan Mauao, thront 230 m hoch über dem Badeort Mt. Maunganui und sieht mit seinem Kegel aus wie ein richtiger Vulkan im Miniaturformat. Gleich am Fuß des Vulkanes liegt das Motorcamp, wo ich mein Zelt aufschlage. Der Wind bläst heftig, und es ist nicht leicht, ein einigermaßen geschütztes Plätzchen zu finden. Nach dem Zeltaufbau ruft der Berg, es führen einige steile Wanderwege hinauf. Je höher ich komme, desto spannender wird die Aussicht. Jetzt zur Feierabendzeit bin ich nicht allein, einige zähe Bergläufer hecheln die 230 steilen Höhenmeter im Dauerlauf hinauf. Aber für so eine Aussicht darf man sich auch gerne ein bisschen quälen. Die dicht bebaute Landzunge von Mt. Maunganui liegt einem hier zu Füssen, im Hintergrund liegt der weitläufige Hafen und die Stadt Tauranga, der Horizont wird von der bewaldeten Kaimai Range begrenzt. Zum Schutz des Vulkanes werde ich auf einem Hinweisschild darauf aufmerksam gemacht, dass Hunde und Radfahrer draussen bleiben müssen. Als Radfahrer bin ich über diese Form der Diskriminierung doch etwas irritiert… Nach der kleinen Wandertour freue ich mich über eine weitere Besonderheit dieses Fleckens: Am Fuss des Vulkanes gibt es ein Thermalbad, welches mit heissem Wasser aus dem Bauch der Erde randvoll ist – eine riesige Badewanne sozusagen! Das ist Labsal für meine Knochen. Für 5 Dollar kaufe ich mir eine Eintrittskarte und verbringe den Rest des Tages in heissem Wasser dümpelnd. Die Nacht bricht herein, ein starker kalter Wind fegt über den Ort, aber im Wasser ist es wunderbar warm. Nach mehr als 2 Stunden im Vulkanwasser ist meine Haut ziemlich verschrumpelt und mein Körper komplett durchgeheizt. Ich krieche ermattet in meinen Schlafsack und entgleite ins Reich der Träume. Mittwoch 25.02.: Mt. Maunganui - Whakatane Nach einer stürmischen Nacht werde ich früh wach. Es ist noch verdammt kühl. Ich radele bald los und lasse Mt. Maunganui hinter mir. Zunächst muss ich noch ein Stück auf dem Highway 2 fahren. Das Land ist platt, es dominieren Weiden und einige Obstplantagen. Eine Riesenkiwi am Straßenrand gibt einen unübersehbaren Hinweis darauf, womit man hier sein Geld verdient. Kurz hinter Te Puke verlasse ich die Hauptstrasse und es wird gleich bedeutend ruhiger. Interessant ist der Abschnitt ab Otamarakau. In unmittelbarer Nähe des Meeres führt die Strasse kilometerlang schnurgerade unterhalb einer hohen Kalksteinklippe mit bizarren Felsformationen entlang. Am Ende der Klippe erreiche ich den kleinen Ort Matata und gönne mir an der Lagune eine ausgedehnte Mittagspause. Die Sonne wärmt, und ich suche mir ein schattiges Plätzchen. Die Strasse führt topfeben weiter, der starke Wind treibt mich schnell voran, und so erreiche ich zügig mein heutiges Etappenziel, die am Fluß Waimana gelegene Stadt Whakathane. Der schöne Campingplatz liegt direkt hinter dem Deich des Flusses und hat, wie so häufig auf meiner bisherigen Reise, einen Rasen wie ein grüner Teppich. Der Ort gefällt mir, er liegt geduckt am Fusse eines steilen Höhenzuges und bietet einkaufstechnisch alles was das Radlerherz begehrt. Kurz nach Sonnenuntergang ist der Ort allerdings wie ausgestorben. So verschwinde ich bald in meinem Schlafsack. Donnerstag 26.02.: Whakatane – Te Kaha Am frühen Morgen ist es wieder empfindlich kühl. Der steile Buckel zwischen Whakatane und Ohope bringt die innere Heizung allerdings schnell in Schwung. Hier treffe ich Girolamo, den Radler aus Italien, der am Ende seiner Tour ist. Wir unterhalten uns lange und tauschen unsere Erfahrungen der Tour aus. Die Tour entlang des durch viele Buchten zergliederten Ohiwa-Inlet ist spannend. Bei Ebbe liegen große Wattflächen trocken und dienen zahlreichen Watvögeln als gut gefüllte Speisekammer. Mittags erreiche ich Opotiki, dies ist die letzte größere Ortschaft vor dem einsamen Weg um das weite Ostkap der Nordinsel. Hier heisst es noch mal „Futter fassen“. Ab hier beginnt Maori –Land! Grosse Teile des Ostkaps verwalten die frühen pazifischen Einwanderer in Eigenregie. Meine erste Begegnung mit Maori ist allerdings wenig rühmlich – in der Grünanlage von Opotiki treffen sich mittags einige Jugendliche, leeren kollektiv eine Kiste Bier und schmeissen Plastiktüten und leere Bierflaschen der Einfachheit halber gleich in den nächsten Bach. Der erste Eindruck ist zum Glück die Ausnahme und hat sich später nicht wieder bestätigt. Ab Opotiki wird es richtig einsam auf der Strasse. Der Weg führt immer an der Küste entlang und ist wegen der zahlreichen Höhenmeter ziemlich anstrengend. In Torere existiert, entgegen der Angabe im Bikeguide von Pantke, kein Camp. Auch sonstige Versorgungsstationen sind äusserst rar. Da es noch früh ist, lege ich einen Zahn zu und radele weitere 50 anstrengende Kilometer, um zum nächsten Campingplatz nach Te Kaha zu gelangen. In den Buchten türmt sich tonnenweise Treibholz am Strand. Nach baden ist mir allerdings nicht zumute, es ist recht kühl. Ausserdem künden Schilder von den Besitzverhältnissen am Kap: Keep out! Viele Strände sind im Privatbesitz der Maori, Besucher sind nicht willkommen. Ist das die Rache für 200 Jahre Kampf und Unterdrückung durch die Einwanderer aus Europa? Der Küstenstreifen wird überwiegend landwirtschaftlich genutzt, der Wald zieht sich zurück auf die Hochlagen der Hügelkette. Äusserst reizvoll sind allerdings die zahlreichen Flüsse, deren unverbaute und frei mäandrierende Läufe aus den Bergen ins Meer münden. Te Kaha hat ein Holidaycamp direkt an der Strasse, welches wie gewohnt bestens ausgestattet ist. Freitag 27.02.: Te Kaha – Te Araroa Im Windschatten der hohen Hecken habe ich prima geschlafen. Der Morgen ist klar aber ziemlich kühl, die Klamotten sind alle etwas klamm. Den Sommer stelle ich mir anders vor! Die Strecke verläuft wie eine Achterbahn – ständig geht es rauf und runter. Demzufolge komme ich nur langsam voran. Die Tour führt überwiegend durch Farmland der Maori und passiert einige Buchten mit Felsen und viel Treibholz. Zum Baden laden mich die Strände allerdings nicht ein, das liegt vielleicht auch den derzeitig überaus kühlen Temperaturen. In der Zwischenzeit hat sich der Himmel auch vollkommen zugezogen. Positiv erwähnenswert ist einzig, dass ich hier fast allein unterwegs bin. Nur selten rumpelt mal ein Holzlaster oder ein verbeulter Pickup vorbei. Die Gegend und die Siedlungen machen einen tendenziell armseligen Eindruck. An der Hicks Bay steht einsam eine der ältesten Holzkirchen früher Einwanderer. Von der Hicks Bay führt die Strasse über einen steilen Buckel hinüber in die Bucht von Te Araroa. Direkt am Fuß des Höhenzuges liegt das Holiday Camp mit dem „östlichsten Kino der Welt“. Im Gegensatz zu den bisher besuchten Camps scheinen hier die besten Tage bereits vorbei zu sein, die Infrastruktur ist etwas marode, das Wasser soll man nur abgekocht trinken. Immerhin gibt’s im kleinen Shop des Camps das Nötigste zu futtern und zu trinken. Meine Frage nach den Wetteraussichten beantwortet die Chefin des Hauses kurz und knapp mit dem Hinweis, dass sie soeben eine Unwetterwarnung für das Ostkap erhalten habe. Über dem Pazifik haben sich zwei umfangreiche Tiefdruckgebiete zu einem ausgewachsenen Zyklon vereinigt und steuern zielstrebig auf uns zu – tolle Aussichten! Da ich an diesem gottverlassenen Ort wirklich nicht wetterbedingt hängen bleiben möchte, will ich, so bald es geht, diesen Platz verlassen. Samstag 28.02.: Te Araroa – Tokomaru Bay In der Nacht hat es bereits diverse Male leicht geregnet. Am Morgen hängt der Himmel voller dicker grauer Wolken. Ich sehe zu, dass ich schnell aufs Rad komme, um dem drohenden Unwetter so weit es geht davon zu radeln. Bei strammem Seitenwind verlasse ich die Bucht und muss bis Tikitiki zwei steile Bergetappen bewältigen. Kurioserweise führt die Strasse direkt auf steilstem Wege über die höchsten Kuppen. An sich wäre das eine schöne aussichtsreiche Strecke, aber heute ist es alles andere als gemütlich hier. Strammer Wind und immer wieder Regenschauern machen mir zu schaffen. Ab Tikitiki ist das Höhenprofil der Strasse wieder etwas moderater, Regen und Wind lassen etwas nach. Bei Ruatoria mache ich eine kurze Pause im Regen und drücke mir ein paar Kekse zwischen die Zähne. Mittlerweile bin ich vom Regen völlig durchnässt und muss zusehen, dass ich in Bewegung bleibe, um nicht auszukühlen. Kurz vor Te Puia Springs treffe ich im Regen zwei Radler aus Hamburg, die mit gemischten Gefühlen dem nahenden Zyklon entgegenradeln. Ich erreiche bald nach einer flotten Abfahrt Tokomaru Bay. Hier gibt’s ein Camp mit Laden und einer Kneipe - nicht der schlechteste Platz, um ein paar Tage Regen abzuwarten. Bei dem Wetter steht mir allerdings nicht der Sinn nach zelten, und so miete ich mir eine Hütte mit festem Dach. Diese Investition wird sich noch lohnen! Die heiße Dusche, trockene Klamotten und ein guter Tee entschädigen für die Regentour. Sonntag 29.02.: Tokomaru Bay Die Nacht wird unruhig. Neben einigen lästigen Mosquitos nerven der klappernde Kühlschrank und in zunehmendem Masse auch der auf das Wellblechdach prasselnde Regen. Das Wetter ist am Morgen von der übelsten Sorte, es kübelt aus allen Rohren vom Himmel, die Berge sind nicht zu sehen. An Weiterfahren ist nicht zu denken. So richte ich mich auf einen „gemütlichen“ Tag im Camp ein. Das ist allerdings kein Problem, die Küche des Camps ist bestens ausgestattet, im Laden nebenan gibt’s Speis und Trank. Bedrohlich ist nur, dass der Regen überhaupt kein Ende zu nehmen scheint. Das ist wie Monsun in Indien! Der Graben in der Wiese ist mittlerweile übergelaufen, von den umliegenden Hügeln ergiessen sich Sturzbäche zu Tale. Dann plötzlich, nach 30 Stunden Dauerregen gibt’s im Westen den berühmten Silberstreif am Horizont, keine Stunde später ist der Himmel blitzeblank gefegt und strahlt im tiefen Blau, unglaublich! Das ist die Gelegenheit, um die Bucht zu erkunden. Der Bach, der hier ins Meer mündet, ist zu einem schmutzigbraunen reissenden Fluss angeschwollen. Das Meer ist vom Sturm aufgepeitscht, die wilden Wellen sind ebenso trübe wie das Wasser des Flusses. Einige Kids aus dem Dorf können den Verlockungen der Wellen nicht widerstehen und versuchen mit ihren Surfbrettern durch die Brecherzone raus zu kommen, um ein paar der beeindruckenden Wellen abzureiten. Die Wellen sind jedoch noch zu heftig und kommen viel zu schnell und unkalkulierbar rein, so dass die Wagemutigen immer wieder an den Strand zurückgeworfen werden und irgendwann aufgeben. Mittlerweile heizt die Sonne schon wieder ordentlich ein. Das Licht ist nun wunderbar, die Luft ist vom Regen reingewaschen. Das ist die Stunde zum Fotografieren! Den Rest des Tages halte ich mich am Strand auf und ziehe einiges an Filmmaterial durch die Kamera, an Motiven herrscht wahrlich kein Mangel. So mies der Tag begonnen hat, so strahlend neigt er sich nun dem Ende zu. Ich freue mich auf eine hoffentlich trockenere Wetterperiode und auf die schöne einsame Ostküste. Montag 01.03.: Tokomaru Bay – Gisborne Nach einer angenehmen Nacht ohne Regenstakkato auf dem Wellblechdach werde ich früh wach. Das Wetter sieht vielversprechend aus – kein Wölkchen trübt den Himmel. Nach dem Start geht es zunächst mal ordentlich zur Sache, die Strasse führt stramm aufwärts. Das Licht ist wunderbar, die Landschaft wird mir allerdings irgendwann zu eintönig. Hügelige Schafweiden und einzelne Kiefernforste dominieren mal wieder die Szenerie. Orte gibt es zunächst nicht auf dieser Strecke. Die Strasse habe ich für mich allein. Gedankenverloren spule ich Kilometer um Kilometer runter, bis mich der Hunger zu einer Rast verleitet. An der Einfahrt zu einer Farm gibt’s ein paar Bäume und etwas Schatten. Hier pausiere ich und stärke mich mit Keksen und Obst. Unvermittelt taucht der Farmer auf, der mit seinem Moped zur Strasse runter kommt, um seine Post aus dem Briefkasten zu holen. Er begrüsst mich wie einen alten Kumpel, den er nach langer Zeit mal wieder sieht. Wir halten ein ausgedehntes Schwätzchen, er ist natürlich neugierig, was mich hier in diese gottverlassene Gegend verschlagen hat. Natürlich haben wir mit dem Wetter schnell ein Thema gefunden, was uns beide, den Bauern und den Radler, gleichermassen interessiert. Er untermauert meine intuitiven Erlebnisse vom Vortag mit harten statistischen Daten: 72mm Niederschlag innerhalb weniger Stunden hat er gemessen, das ist selbst für neuseeländische Verhältnisse harter Tobak! Er ist wie ich der Meinung, dass das Wetter jetzt aber mal endlich besser werden muss… Der Griff in den Briefkasten fördert neben der Post auch noch eine Tüte voller köstlicher Avocados zum Vorschein. Die Freude ist gross, da hat sein „Nachbar“ ihm doch wieder eine kleine Bescherung gemacht. Wo dieser „Nachbar“ wohnt, ist mir allerdings nicht klar geworden. Neben seiner Farm ist weit und breit kein anderes Haus zu sehen. Nachbarschaft hat in Neuseeland offenbar eine etwas andere Dimension als im engen Europa. Zum Abschied lässt er mich an seiner Freude über die Avocados teilhaben und gibt mir eine köstliche Frucht mit auf den Weg. Der Rest der Tour geht angesichts einer entspannter werdenden Topographie flott von statten. Kurz vor Gisborne säumen einige feine Strände den Weg. Zum ersten Mal sehe ich nun in Neuseeland schöne surfbare Wellen. Leider passte das Brett nicht mehr mit ins Gepäck, so dass ich etwas wehmütig den Surfies beim Spiel mit den Wellen zuschaue. Ich erreiche Gisborne früh am Nachmittag. Die Stadt ist typisch für Neuseeland: funktionale Aufteilung, breite Strassen, Stadtplanung im schachbrettartigen Grundmuster, Shopping Center und insgesamt ziemlich gesichtslos. Man kriegt, was man braucht, ansonsten reizt mich nichts hier. Immerhin habe ich nach einigen Tagen Internetabstinenz mal wieder Gelegenheit, ein paar mails zu lesen und zu schreiben. Das Motorcamp ist zu meiner Überraschung noch gut besucht. Einige Radler campieren ebenfalls dort. Ich zaubere mir in der Küche des Camps ein köstliches Essen. Währenddessen verfolgen zahlreiche Kiwis am Fernseher die Prämierung ihres Landsmannes Peter Green, der soeben für sein Jahrhundertwerk „Herr der Ringe“ zahlreiche Oskar absahnt. Dienstag 02.03.: Gisborne – Wairoa Ich bin früh auf der Piste. Der Weg nach Westen aus der Stadt heraus ist hart, heftiger Gegenwind zwingt mich zum Schneckentempo. Zum Glück schwenkt die Strasse irgendwann nach Süden ab, so dass ich den Wind nicht mehr von vorne habe. Die weitgehend flache Piste verläuft zunächst durch Äcker und Weideland. Nach 30 Kilometern verlässt die Strasse die Küstenebene und es führt durch lichten Wald richtig stramm aufwärts. Hier herrscht leider reger Schwerlastverkehr. Vollbeladene Holztransporter röhren im ersten Gang bei Vollgas langsam und bedrohlich nah an mir vorbei. Lange Geraden und weite Kurvenradien halten den Erlebniswert dieser Bergpiste in Grenzen. 500 anstrengende Höhenmeter später erreiche ich den Scheitelpunkt der Strecke. Der Blick zurück auf die Poverty Bay auf Gisborne und die den Horizont begrenzenden Berge ist nicht schlecht. Nach kurzer Pause radele ich weiter in dem Glauben, dass es fortan auf der anderen Seite des Passes wieder runter geht. Dies erweist sich jedoch schnell als Trugschluss, stattdessen führt die Piste mit zahlreichen knackigen Gegenanstiegen nur zögerlich abwärts. Die letzten Kilometer nach Morere geht es allerdings doch noch irre steil hinab. Wegen der gut ausgebauten Piste kann ich es so richtig krachen lassen, das macht mal wieder Laune nach der Schinderei. Ab Nuhaka führt die Strasse weitgehend eben am Meer entlang und passiert dabei die schöne Whakaki Lagoon, an der zahlreiche Wasservögel rasten. Wairoa ist ein kleines Städtchen, in dem man alles Wichtige zum Leben bekommt. Das Motor Camp liegt in schattigem Gelände direkt am Wairoa River und verfügt über eine perfekt ausgestattete Küche. Am Abend treffe ich dort einen weiteren Radler, mit dem ich lange quatsche. Irgendwann beginnt es leicht zu tröpfeln, und ich ziehe mich ins Zelt zurück. Mittwoch 03.03.: Wairoa – Napier Lange habe ich in der Nacht nicht geschlafen, als mich prasselnder Regen auf der Zelthaut weckt. Die Hoffnung, dass der Regen schon bald nachlassen wird, erfüllt sich leider nicht. Stattdessen wird es immer heftiger! Stunde um Stunde schüttet es aus allen Rohren auf mein Zelt. Irgendwann heult in der Nacht die Sirene. Kurze Zeit später wird es munter auf dem Campingplatz - ich sehe Blaulicht durch die Nacht zucken, Autos werden gestartet und Wohnwagen werden weggefahren. Motorpumpen beginnen zu lärmen. Ich weiss noch nicht so recht, was ich davon halten soll. Plötzlich taucht die Chefin des Platzes auf und empfiehlt allen Zeltern dringend, den Rest der Nacht doch besser im Fernsehraum zu verbringen. Noch liege ich trocken und warm im Schlafsack und verspüre wenig Lust in den klatschenden Regen hinaus zu stolpern. Etwas mulmig wird mir jedoch beim Gedanken an den nahe liegenden Fluss. Was wäre wohl, wenn der über die Ufer treten würde? Verunsichert werfe ich einen kritischen Blick auf den Zeltboden und stelle fest, dass ich bereits mit meinem Zelt in einer Riesenpfütze stehe und das Wasser durch den Zeltboden drückt. Schöne Scheisse - die Nacht ist damit gelaufen für mich! In Windeseile packe ich die wichtigsten Sachen in meine Ortliebs und ziehe mir alle wasserdichten Klamotten an, die ich habe. Beim Alarmstart aus dem Zelt heraus sehe ich im Dunkel kaum etwas und stehe prompt im knöcheltiefen Wasser. Bingo – die Füße wären schon mal nass! Ich rette mich irgendwo unter ein Vordach und beginne langsam, die Folgen des sintflutartigen Regens zu erahnen. Die tief liegenden Teile des Campingplatzes sind mittlerweile völlig abgesoffen, das Sanitärgebäude ist nur noch mit dem Boot erreichbar! Die Feuerwehr ist emsig damit beschäftigt, mit einigen Motorpumpen der Wassermassen Herr zu werden, um weiteren Schaden zu vermeiden. Stunden später bei Einbruch der Morgendämmerung lichtet sich das Chaos etwas, und das meiste Wasser ist abgepumpt. Dennoch sieht der Himmel alles andere als vielversprechend aus, es regnet immer noch weiter. Mir reicht’s nun endgültig! Müde, kalt und nass verspüre ich wenig Lust, noch länger in diesen unwirtlichen Breiten weiter zu radeln und träume vom trockenheißen australischen Outback. In solchen Situationen pflege ich nicht lange zu zögern und marschiere gleich zu Geschäftsbeginn in das nächste Reisebüro. Zwei Stunden später habe ich meinen Flug umgebucht und kann schon in vier Tagen nach Sydney fliegen. Meine Laune bessert sich schlagartig. Zurück am Camp versuche ich notdürftig, meine nassen Klamotten zu trocken und packe schließlich zusammen. Trotz katastrophaler Rahmenbedingungen zählt dieses Camp zu den schönsten, die ich in Neuseeland gesehen habe. Die Betreiber sind ebenso nett wie hilfsbereit, sehr empfehlenswert! Am Nachmittag sitze ich bereits im Bus nach Napier. Die Strecke ist geprägt von den üblichen grünen Hügeln und ständigem Auf und Ab. Aufgelockert wird die Strecke durch ein großartiges Flusstal mit steilen Abbruchkanten, zwei engen Schluchten sowie den Lake Tutira. Zum Radeln wäre dieser Abschnitt sicherlich spannend gewesen. Am Abend erreiche ich Napier. Dort ist es sehr kühl und stürmisch. Zwischendurch regnet es immer wieder, und ich bin sicher, in dieser Situation die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Wegen der Kälte ziehe ich mich früh in den Schlafsack zurück und träume von flirrender Hitze in Australien… Donnerstag 04.03.: Napier – Auckland In der Nacht ist es zu meiner Überraschung trocken geblieben. Ich stehe früh auf und verlassen den Platz zeitig, da ich vor meiner Busfahrt zurück nach Auckland noch etwas von der Stadt Napier sehen möchte. Gemessen am üblichen Einheitsbild neuseeländischer Städte hat Napier mit seiner Architektur sicherlich eine herausragende Sonderstellung. Ein Erdbeben hatte 1931 die Stadt vollständig geplättet. Dem damaligen Zeitgeist folgend, wurde die komplette Stadt einheitlich im klar gegliederten aber dennoch ästhetisch ansprechenden Art-Deco Stil neu errichtet. Es ist heute allerdings trübe und kalt, beim Fotografieren will trotz zahlreicher Motive keine rechte Freude aufkommen. Gegen Mittag fahre ich los mit Newmann’s Bus. Der Service sucht seinesgleichen! Er hat viel Platz selbst für mich als Zwei-Meter-Mann. Bequeme Sitze und ein äußerst redseliger Busfahrer lassen die Fahrt zu einer spannenden Angelegenheit werden. Als echter Kiwi ist er mächtig stolz auf sein Land und erläutert bereitwillig und umfassend über das Bordmikrophon alles, was aus dem Fenster während der Fahrt zu sehen ist. Da sollten sich die Busfahrer in Allemania mal eine Scheibe abschneiden! Die Tour führt am Lake Taupo vorbei. Am Horizont taucht der Vulkan Tongariro auf, der sogar jetzt im „Sommer“ einen Schneekranz aufweist. Die Strecke führt auf weiten Abschnitten durch Wald bzw. Kiefernforste. Hier wird die kalifornische Radiator Pine mit extrem kurzen Umtriebszeiten von nur 25 Jahren als Monokultur kultiviert und dann im Kahlschlag geerntet. Mit echtem Wald hat das nicht mehr viel gemeinsam! Immerhin hat sich das Wetter während der Fahrt über die Nordinsel gebessert, so dass ich nun am Abend in Auckland wieder Sonne auf der Haut habe. In der Skyway-Lodge versucht Brian zwar die jüngsten Wetterkapriolen schön zu reden, aber mein Entschluss zur vorzeitigen Abreise steht fest! Freitag 05.03.: Auckland Nachdem ich die Radtour in Neuseeland nun vorzeitig beendet habe, steht heute „dolce vita“ auf dem Programm. Ich fahre mit dem Bus runter in die Stadt und vertrödele dort den größten Teil des Tages. Das Umbuchen des Tickets bei Asiana Airlines geht recht unkompliziert vonstatten. Leider stellen sie sich bei meiner Schadensersatzforderung wegen des auf dem Hinflug zerbrochenen Gepäckträgers stur – bad luck! Auf dem Platz zwischen Rathaus und Aotea-Center gibt es einen kleinen bunten Flohmarkt mit etlichen Köstlichkeiten aus aller Welt. Hier gönne ich mir die beste Masala Dosa, die ich jemals außerhalb Indien’s gegessen habe. Am Nachmittag fahre ich mit der Fähre nach Devonport hinüber. Das Ambiente gefällt mir hier. Vorstadtflair mit schönen Grünanlagen, und das alles nur einen Steinwurf von der Innenstadt entfernt mit tollen Aussichtspunkten auf dem Vulkan Mt. Victoria. Von oben hat man einen wunderbaren Blick über die Skyline Auckland’s, den Hafen bis hinüber zur Vulkaninsel Rangitoto, die Berge der Coromandel Halbinsel begrenzen in der Ferne den Horizont. Am Abend treffe ich in der Lodge zufälligerweise Georg aus Wien, mit dem ich im Vorfeld der Reise schon ausgiebig im „radforum“ gechattet habe – die Welt ist klein! Er hatte während seiner Radtour mit dem Wetter mehr Glück als ich und war dem Regen immer ein bis zwei Tage voraus. Es folgt ein langer Abend voller abenteuerlicher Geschichten, zudem sich schließlich noch der radelnde Dirk aus Rheinland-Pfalz hinzugesellt. Samstag 06.03.: Auckland Heute ist mein vorletzter Tag in Neuseeland. Es ist Zeit, endlich hinauf zu fahren auf den Skytower, eines der höchsten Bauwerke der südlichen Hemisphäre. Der Aufzug zur Besucherplattform geht ab wie eine Rakete. Der Ausblick ist, wie zu erwarten war, phänomenal. Die Innenstadt und der Hafen liegen dem Besucher zu Füssen. Als Clou sind in den Boden der Besucherplattform Glasplatten eingebaut, so dass man direkt über 250 m senkrecht auf die kleinen Autos hinunter blicken kann. Adrenalin-Junkies, denen das nicht reicht, stürzen sich gleich von der Plattform am Seil gesichert in die Tiefe. Die schreckgeweiteten Augen der Piloten, die direkt am Fenster vorbeifliegen, sprechen Bände. Sonst unternehme ich heute nicht viel. Zum Abschluß des Tages mache ich einen Rundgang durch Fähr- und Segelhafen. Hier liegt die Kneipenmeile der Stadt, Samstagnacht scheint es voll zu werden, zahlreiche Mädels feiern hier den Junggesellinnen-Abschied ihrer Freundinnen, die legendäre „hen’s night“. Am Abend treffe ich Desmond aus England in der Lodge, der bereits seit einem halben Jahr durch Europa und Asien auf Tour ist und natürlich viel zu erzählen hat. Sonntag 07.03.: Auckland – Sydney Heute ist Abflugtag. Brian von der Skywaylodge überlässt mir einen stabilen Pappkarton für’s Rad, den frühere Traveller hier zurückgelassen haben. Der sieht deutlich besser aus als meine mittlerweile ziemlich ramponierte Pappkiste. Das Rad ist schnell zerlegt und verpackt. In der Nähe der Lodge liegt Mt. Mangere, einer der vielen erloschenen Vulkane Aucklands. Ich habe noch genug Zeit, um einen Spaziergang mit Desmond dorthin zu unternehmen. Hier siedelten, lange bevor die Weissen kamen, Maoris. Einige Skulpturen und Infotafeln erinnern an die früheren Bewohner des Vulkans. Vom Gipfel des Vulkans überblickt man den Manukau Harbour, an dessen Rand der internationale Flughafen liegt. In der Ferne liegen jenseits des Hafens die Berge des Auckland Centennial Memorial Parks. Nachmittags verabschiede ich mich von Desmond und lasse mich von Brian zum Flughafen bringen. Er berichtet während der kurzen Fahrt von seinen neuen Plänen, die Infrastruktur seiner Lodge noch weiter für Radler zu verbessern. Das nächste Projekt ist die Einrichtung einer überdachten Werkstatt, in der an- und abreisende Fahrradschrauber in Ruhe ihre wertvollen Vehikel zerlegen bzw. zusammenbauen können. Aufgrund der Nähe zum Flughafen und der guten Rahmenbedingungen für Radler ist die Skywaylodge sicher eine der empfehlenswertesten Adressen für’s radelnde Volk. Das Einchecken am Flughafen klappt gut, allerdings sahnt Qantas Airlines ordentlich ab für´s Übergepäck, 208 $ werden fällig für die Kilos, die über den 25 erlaubten liegen, kein Erbarmen! Der Flug verläuft prima, die Zeit geht schnell um, denn im Bordkino läuft der äußerst lustige und kurzweilige Film „school of rock“. Am Abend erreiche ich den Kingsford Smith Airport in Sydney. Alles ist nass und dampft, es hat offenbar vor meiner Landung noch heftig geregnet. Aber es ist auch schön warm dabei, ich schwitze endlich! Draussen wartet schon Natasha, um mich abzuholen. Es ist schön wieder hier zu sein, alles ist vertraut. Irgendwie fühle ich mich bei Jake und Natasha mit ihren beiden kleinen Mädels wie zu Hause. Montag 08.03.: Sydney Am Morgen begrüsse ich die beiden Mädels Ania und Katia. Vor zwei Jahren haben wir uns zuletzt gesehen, seitdem haben die beiden einen guten Schuss zugelegt. Heute stehen Vorbereitungen für die bislang noch nicht im Detail geplante Spontantour durch Australien’s Osten auf dem Programm. Zunächst packe ich das Rad aus und schraube alles wieder zusammen. Dann habe ich noch das Problem mit der gerissenen Felge, da brauche ich dringend Ersatz. Im Radladen in der Clarence Street finde ich genau die Mavic-Felge, die ich brauche. Allerdings kostet die Felge hier schlappe 145 $, das haut rein! Importe aus good old Europe scheinen hier etwas Besonderes zu sein. Ich habe keine Wahl: wer radeln will, braucht Felgen. Die Freizeitbeschäftigung am Nachmittag ist damit besiegelt. Nach meiner Rückkehr zu Hause gönne ich mir allerdings erstmal ein Bad im Pool des Gartens. Erfrischt begebe ich mich ans Werk, speiche das zerbröselte Hinterrad um und justiere die neue Felge. Die ganze Prozedur dauert ein paar Stunden, dann läuft das Rad wieder rund. Mit der Dämmerung kommen auch die hungrigen Mosquitos, und im Garten wird´s ungemütlich. Nach einem langen Abend mit gutem Essen und Gesprächen gehe ich pennen und freue mich auf die vor mir liegende Radtour. Dienstag 09.03.: Sydney Heute muss ich meine Vorräte auffüllen und mir die Route etwas näher ansehen, denn morgen will ich losradeln. Heute ist aber auch ein hammerharter Tag, das Thermometer klettert auf 35°C! Das ist nichts um Rekorde zu brechen! Ich stelle mir vor, morgen bei ähnlichen Temperaturen in die Blauen Berge hinauf zu schnaufen… Wir lassen es heute ruhig angehen. Meine Fressalien und Ausrüstung für die Tour habe ich schnell zusammen. Dann planschen wir den Rest des Tages im Pool herum. Natasha kommt erst spät und etwas entnervt von der Arbeit zurück – der Bus ist unterwegs zusammengebrochen, ein Ersatzbus kam erst nach langer Wartezeit. Mittwoch 10.03.: Sydney – Lithgow Im Laufe der Nacht hat es sich doch erfreulicherweise etwas abgekühlt, so dass ich voller Zuversicht auf die heute anstehende Steigungsstrecke in die Blauen Berge blicke. Nach dem Frühstück verabschiede ich mich von meinen Freunden und düse erstmal mit dem voll bepackten Rad in der S-Bahn raus aus der Stadt. Sydney ist eine sehr weitläufige Metropole mit viel Verkehr, eine Fahrradinfrastruktur ist, wenn überhaupt, dann nur sehr rudimentär vorhanden. Darauf verzichte ich und komme so mit der Bahn schnell nach Richmond an den Rand der Metropole. Richmond liegt am Fuß der Blauen Berge, das Wetter sieht allerdings, im Gegensatz zu gestern, überhaupt nicht mehr so angenehm aus. Der Himmel ist vollständig verhangen, und von den Bergen ist kaum etwas zu erkennen. Mit gemischten Gefühlen starte ich. Als ich nach wenigen Kilometern in Kurrajong den ersten ernstzunehmenden Anstieg erreiche, regnet es munter los! Hey, ich kam hierher um zu schwitzen! Nun geht es gerade so weiter, wie es in Neuseeland aufhörte, so ein Ärger! Ich ackere Stunde um Stunde hinauf in die Berge. Mit zunehmender Höhe wird der Regen kälter, am Mt. Tomah verschwindet die Strasse schliesslich auch noch zusätzlich im Nebel. Ich bin mittlerweile durchnässt, durch die Brille ist schon lange nichts mehr zu erkennen, und der Streckenverlauf ist sehr anspruchsvoll. Neben den 1000 rechnerischen Höhenmetern kommen auf Grund der Topografie noch viele weitere durch etliche unerwartete Gefälleabschnitte dazu. Die Piste hat Achterbahn-Charakter. Es ist jammerschade, dass ich heute nichts sehen kann. Ich weiss aus besseren Zeiten, dass es hier oben einige tolle Aussichtspunkte in die Täler und Schluchten der Blauen Berge gibt. Am Abend erreiche ich ziemlich groggy und nass die Stadt Lithgow. Es ist ungemütlich kalt hier oben. Nachdem ich im Camp mein Zelt aufgebaut habe, gönne ich mir eine lange heisse Dusche, die habe ich jetzt nötig. Ich bin allerdings etwas verunsichert über die derzeitigen klimatischen Bedingungen, denn in Australien habe ich bislang noch nicht oft gefroren… Donnerstag 11.03.: Lithgow – Blayney In der Nacht hat es noch etwas geregnet, am Morgen wird es endlich trocken. Nachdem ich Lithgow auf der Nebenstrecke verlassen habe, wird es ernst. Die Strecke nach O`Connell zählt mit zu den härtesten, die ich je gefahren bin. Hier gibt es keinen ebenen Meter. Es geht in regelmässigem Wechsel entweder steil hinauf oder steil hinunter. Die Krönung war ein Teilstück mit 20% Steigung. Einige Bauarbeiter, die hier die Löcher in der Strasse flicken, staunen nicht schlecht, dass dort einer mit dem Rad hoch will und ulken mit mir herum. Hier wird wohl nicht so oft geradelt. Ab O`Connell entferne ich mich immer weiter von der Great Dividing Range, der Wetterscheide in Australien’s Osten. Hier wird die Strecke etwas moderater und es kommt sogar irgendwann die Sonne heraus. Ich erreiche die Stadt Bathurst schliesslich schneller als erwartet. Nachdem ich dort Pause gemacht und meinen Proviant aufgestockt habe, entscheide ich mich, weiter zu fahren nach Blayney. Mangels geeigneter Nebenstrecken muss ich nun auf dem „Great Western Highway“ weiterradeln. Der Verkehr hält sich jedoch zum Glück in Grenzen. Kurz bevor ich Blayney erreiche, wartet zum Abschluss des Tages Fitzgerald’s Mount. Hier muss ich rüber, einige steile Kilometer lassen mein Blut noch mal in Wallungen geraten. Der Caravanpark in Blayney hat kaum Gäste, umso mehr stürzen sich am Abend die bluthungrigen Mosquitos auf gut durchblutete Radlerbeine. Während ich mit Spaghetti meinen Kohlehydratspeicher wieder auffülle, denke ich darüber nach, dass sich auch hier wieder das uralte Prinzip der Evolution bewahrheitet: Fressen und gefressen werden! Freitag 12.03.: Blayney – Cowra Der Chef vom Caravanpark prophezeit mir, dass es für mich heute von Blayney aus 60 Kilometer bergab nach Cowra geht – keine schlechte Perspektive! Die Realität sieht leider weniger entspannend aus. Autofahrer haben offenbar doch eine stark verkürzte Wahrnehmung bezüglich der Topographie. Cowra liegt zwar in der Tat einige hundert Höhenmeter tiefer als Blayney, nichtsdestotrotz führt die Strasse in ständigem Auf und Ab durch die Lande. Die Szenerie wird irgendwann etwas eintönig: weites Land, Hügel, Weiden und Bäume ohne Ende dominieren die Landschaft. Kurz bevor ich Cowra erreiche, beginnt es zu regnen. Im Camp warte ich den heftigen Schauer ab und baue erst dann mein Zelt auf. In der Stadt besorge ich mir etwas Feines zu essen, im Laden gibt’s Tiger Prawns, das sind Krabben im XXL-Format. Das Camp hat einen grossen überdachten Grill- und Feuerplatz, wo ich mir abends mein Mahl zubereite. Hier sind deutlich mehr Camper unterwegs als noch in Blayney. Hier treffe ich einen rüstigen Rentner, der mit seinem Fahrrad mit Hilfsmotor und Anhänger kreuz und quer durch den Kontinent kurvt – skurril, aber auch bewundernswert! Samstag 13.03.: Cowra – Young In der Nacht ist noch einiges an Regen heruntergekommen. Am Morgen ist dementsprechend alles nass und klamm. Ich verlasse Cowra schliesslich bei Sonnenschein und schwenke ab auf den Olympic Way. Solch ein „Highway“ macht selbst mit dem Rad Spass. Es herrscht nur wenig Verkehr, die Strecke ist flach und wird beiderseits von bewaldeten Höhenrücken begleitet. Die Strasse wird von einem breiten Streifen mit Eukalyptusbäumen gesäumt, die angenehmen Halbschatten spenden. Das Wetter stabilisiert sich, der Himmel weist nur wenige Schönwetterwolken auf. So komme ich bestens gelaunt flott voran. Kurz bevor ich die „Kirschenhauptstadt“ Young erreiche, muss ich den Höhenrücken überqueren, die Steigung ist aber harmlos. Ab hier prägen die intensiv betriebenen Kirsch- und Pflaumenplantagen die Landschaft. Young selbst ist ein kleines verschlafenes Städtchen mit dem charakteristischen funktionalen Stadtgrundriss. Der Campingplatz ist perfekt ausgestattet. Ein kleiner Swimmingpool lädt zum Bade, die Wiese fühlt sich unter den nackten Füssen an wie ein weicher Teppich. Nachdem ich mich erfrischt habe, erkunde ich die kleine Stadt. Die meisten Läden sind um 5 Uhr am Nachmittag bereits geschlossen, lediglich ein Woolworth bietet bis spät am Abend alle Köstlichkeiten der Welt. Das warme Abendlicht und die teilweise schönen Gebäude von Young animieren mich zu einer kleinen Fotosession. Den Abend verbringe ich kochend und lesend am Camp. Die hungrigen Mosquitos vertreiben mich allerdings bald in die Küche. Wie so oft ist das der Platz, an dem man prima Leute kennen lernen kann. Ich treffe dort ein älteres Camperpaar aus Newcastle und habe einen vergnüglichen Abend mit den beiden. Sonntag 14.03.: Young – Gundagai Nachdem ich am morgen Young verlassen habe, ändert sich die Landschaft gegenüber dem Vortag kaum. Die Strasse habe ich wiederum fast für mich allein. Die Piste verläuft durch leicht hügeliges Farmland, zahlreiche Bäume verleihen der Landschaft einen parkartigen Charakter. Das Wetter hat sich stabilisiert – das ist Genussradeln pur! In Cootamundra mache ich mittags eine ausgedehnte Pause. Diese Stadt ist ähnlich Young ein verschlafenes Städtchen im mittleren Westen. Die weitere Strecke verläuft ähnlich der des Vormittages. Ich komme zügig voran bis ich in Coolac den Hume Highway erreiche. Und damit ist vorerst Schluss mit lustig! Hier herrscht deutlich mehr Verkehr mit vielen Trucks. Zum Glück hat der Highway einen Randstreifen, auf dem ich sicher radeln kann. Dennoch nerven der Motorenlärm und der Abgasmief. Zwanzig Kilometer lege ich so zurück, bis ich schliesslich mein heutiges Etappenziel Gundagai erreiche. Heute ist Sonntag und in Gundagai ist der Hund begraben. Zum Glück habe ich noch ein paar Futterreste in der Packtasche. Einige Flaschen kaltes Bier bekomme ich in der Kneipe. Damit lasse ich den Abend ausklingen. Der Campingplatz liegt idyllisch gelegen unten am Fluss. Meine Zeltnachbarn sind ein Paar älteren Semesters. Die beiden haben offenbar zuviel getrunken. Zu vorgerückter Stunde bekommen die beiden im Zelt richtig Krach und streiten lauthals lallend über den Unterschied zwischen Liebe und Sex – eine ziemlich peinliche Nummer! Montag 15.03.: Gundagai – Tumut Ich verlasse Gundagai und freue mich auf eine kurze Etappe nach Tumut am Fuße des Kosziusko Nationalparkes. Die Strecke ist echt klasse, die Strasse windet sich mit teilweise knackigen Steigungen durch das Hügelland. In der Ferne tauchen die endlosen Wälder der Australischen Alpen auf. Das Wetter könnte nicht besser sein, es ist ordentlich warm, aber nicht zu heiss, kein Wölkchen trübt den australischen Himmel. Tumut habe ich schnell erreicht. Am Ortseingang statte ich dem Besucherzentrum des Nationalparks einen Besuch ab und informiere mich über die Infrastruktur der Strecke durch den Nationalpark. Auf 300 Kilometern gibt es nur eine Einkaufsstation in Khancoban, sonst endlosen Wald und viele viele Höhenmeter! Der Zeltplatz liegt direkt am Tumut-River und bietet unter alten Eukalyptusbäumen reichlich Schatten. Der Fluss kommt direkt aus den Bergen, das glasklare Wasser rauscht schnell vorbei. Den Nachmittag verbringe ich in dem netten Städtchen, kaufe Futter ein, fotografiere und surfe ein wenig im Buchladen, wo ein Internetcomputer zur Verfügung steht. Hier gefällt’s mir. Schade, dass die Eltern meines Freundes Jake vor zwei Jahren hier weggezogen sind. Ich hätte sie gerne noch mal im Busch am Goobarragandra River besucht. Nun sind sie auf ihre alten Tage an die mildere Küste gezogen, dort werde ich sie hoffentlich bald wieder sehen. Den Rest des Tages vertrödele ich am Camp und ruhe mich aus, denn die nächsten Tage werde ich einige Höhenmeter auf dem Programm haben, die Alpen warten… Dienstag 16.03.: Tumut – Three Mile Dam Am Morgen ist es überraschenderweise kühl. Das ändert sich aber kurz nach meinem Start. Bereits nach wenigen Kilometern habe ich den Fuß der Berge erreicht, und die Strasse windet sich über den ersten kleinen Pass. Hier bin ich wieder fast allein auf der Strasse. Das Blowering Reservoir ist der erste einer Reihe von Stauseen, die in die Berge gebaut wurden, um die grossen Städte Australiens mit dem nötigen Strom aus Wasserenergie zu versorgen. Die Strasse entlang des Sees sieht aus wie ein Schlachtfeld. Alle paar Meter liegt ein platt gefahrenes Känguruh, der Aasgeruch in der Luft schnürt mir teilweise die Kehle zu. Die armen Geschöpfe kommen in der Nacht aus den Wäldern hinunter zum Wasser und müssen auf dem Weg zum lebensspendenden Nass leider die Strasse überqueren. Obwohl hier nicht viel Verkehr herrscht, reicht es offenbar zu einem Massaker. Am Ende des Sees passiere ich die Ortschaft Talbingo, dann wird es ernst. Ab hier führt die Strasse zwei Stunden lang stramm bergauf. Das ist eine richtig tolle Bergpiste, eng, kurvenreich, kein Verkehr und reichlich Wald. Während ich schwitzend langsam an Höhe gewinne, hält ein freundlicher Ozzi an und fragt mich, ob alles in Ordnung sei. Ich bin gerührt über soviel Fürsorge und denke verschämt an das nicht immer ganz entspannte Verhältnis zwischen Radlern und Autofahrern in Allemania. Ein paar Kilometer weiter steht ein Jeep am Strassenrand: vier Männer machen Pinkelpause und gucken verwundert, welcher Verrückte da wohl durch die Berge radelt! Ich werde gleich zu einem kleinen Schwätzchen eingeladen. Die Jungs sind auf dem Weg zum Einkaufen, sie wohnen in Adaminaby und wollen mal eben ins 130 Kilometer entfernte Tumut und wieder zurück. Bei mir zu Hause liegt der Aldi gleich um die Ecke, aber downunder gelten andere Gesetze! Wir haben eine Menge Spass, die Jungs versorgen mich gleich mit kaltem Bier. Als Wegzehrung haben sie sich eine ganze Kühltasche voller Stubbies, die kleinen handlichen Bierflaschen, mitgenommen. Und ich hatte schon Sorge, dass mein Wasser eventuell knapp werden könnte… Bestens gelaunt und leicht angeschickert radele ich schließlich weiter, es warten noch ein paar Höhenmeter. Hinter dem Camp Yarangobilly geht es noch mal lange bergauf. Diese Steigungsstrecke ist allerdings zermürbend, da sie über mehrere Kilometer schnurgerade emporsteigt und breit ausgebaut ist. Ich habe das Gefühl, auf der Stelle zu stehen und keinen Schritt voran zu kommen. Schliesslich erreiche ich in einer Höhe von 1495 Metern die Wasserscheide der Australischen Alpen. Die Szenerie ist allerdings alles andere als alpin. Das Gebirge ist bereits uralt und weitgehend erodiert. Die Berge sind dementsprechend „rundgelutscht“ und erscheinen eher als ein weites welliges Hochplateau. Vor ein paar Jahren bin ich hier bereits mit dem Auto durch gerauscht, aber aus der Perspektive des Fahrradsattels erlebe diese einmalige Landschaft vollkommen neu. Ich erkenne kaum etwas wieder und freue mich, dass ich dieses Land auf dem Rad neu entdecke. Am Abend erreiche ich die ehemaligen Goldgräberfelder von Kiandra. Hier ist heute allerdings nichts übrig geblieben, Zeugen des damaligen Goldrausches sind nicht mehr zu erkennen. In Kiandra verlasse ich den Snowy Mountains Highway, radele noch einige Kilometer teilweise stramm bergauf und erreiche spät das Nationalpark-Camp „Three Mile Dam“. Die Szenerie ist perfekt: das Camp liegt in einem Wäldchen auf einer Halbinsel mitten im See, der Abend verzaubert dieses Kleinod mit einem fantastischen Licht. Im letzten Licht des schwindenden Tages springe ich in den kalten See und wasche mir Schweiss und Dreck vom Leib – herrlich! Heute möchte ich mit niemandem in der Welt tauschen! Es wird allerdings jetzt schnell dunkel und damit in 1500 Metern Höhe auch kalt. Heute gibt’s nur heisse Tütensuppe, die ich nach dem kalten Bad aber dringend nötig habe. Der Sternenhimmel ist genial, trotzdem verschwinde ich früh im Zelt, im Schlafsack ist es einfach wärmer… Mittwoch 17.03.: Three Mile Dam – Khancoban Im Schlafsack habe ich in der Nacht lange wach gelegen und die totale Stille genossen. Leichtes Tropfen auf dem Zelt zeugt von Nebel. In der Tat sitze ich am frühen Morgen in der dicksten Suppe, die ich mir vorstellen kann. Der See liegt eine Kaltluftsenke, und das bedeutet in diese Höhe nun mal Nebel. Die Feuchtigkeit in der Luft kondensiert an den Ästen und tropft herab, alles ist nass. Klamm und verschlafen krieche ich aus meinem warmen Schlafsack und beginne den frühen Tag mit Tee kochen. Während ich warm angezogen frühstücke, geht die Sonne schemenhaft hinter der dicken Suppe auf. Stück für die Stück frisst die Sonne mit ihrer zunehmenden Kraft den Nebel auf, tolle Lichtstimmungen werden auf den See gezaubert. Wabernde Nebelfetzen ziehen über den See und lösen sich irgendwann vollständig auf. Die Sonne hat den Kampf gewonnen und beschert mir einen wunderschönen Tag. Hier in einer Höhe von 1500 m dauert es allerdings ein Weilchen, bis es richtig warm wird. Nach meinem Start verläuft die Strecke achterbahnmäßig, es gibt kaum einen ebenen Meter. Entweder geht es steil bergauf oder ebenso steil wieder bergab, das kostet Kraft. Später als erwartet erreiche ich schließlich Cabramurra, das höchstgelegene Städtchen Australiens. In diesem am Reißbrett entworfenen Ort wohnen die "Strommacher", die die Metropolen des Landes mit Strom aus der gezügelten Wasserkraft der australischen Alpen versorgen. Hier gibt es einen kleinen Generalstore, in dem ich etwas zu beissen bekomme. Nachdem ich Cabramurra verlasse, folgt eine unerwartete Höllenabfahrt hinab zum Stausee Tumut Pond. An sich wäre das eine feine Sache, wenn nicht auf der anderen Seite eine ebenso steile Auffahrt folgen würde! Hier oben sind die Folgen des letztjährigen Buschbrandes noch deutlich zu sehen. Der halbe Nationalpark ist dem verheerenden Großbrand zum Opfer gefallen, stumm ragen die verkohlten Baumstümpfe in die Höhe. Nur zögerlich spriesst junges Grün aus der Asche hervor. Während der Abfahrt bleibt kaum Zeit für die mentale Vorbereitung auf den folgenden steilen Anstieg. Gleich hinter dem Staudamm windet sich die einsame Bergstrasse endlos lang empor. In der Meditation des Wiegetrittes versunken gewinne ich schwitzend an Höhe, die Landschaft um mich herum ist stellenweise geprägt von verkohltem Busch, echt gespenstisch! Aber auch dieser Berg hat irgendwann ein Ende, auf der Höhe geht die Kräfte zehrende Achterbahnfahrt weiter. Nach einigen Kilometern überquere ich einen kleinen Bach, dann geht's endlich abwärts! Es folgt eine lange rauschende Abfahrt auf traumhafter Piste. Hier ist der Wald vom Feuer verschont geblieben. Es gibt kaum Verkehr, die Strasse ist kurvenreich und glatt asphaltiert, ich kann das Rad ungebremst laufen lassen, da kommt Freude auf! Mit 60 Stundenkilometern rausche ich, von nur einem kurzen Gegenanstieg gebremst, abwärts nach Khancoban. Je tiefer ich komme, umso heißer wird es. Der Ort liegt schön am See zu Füssen der Alpen. Hier gibt es einen kleinen Laden mit Futter und einen Campingplatz. Ich koche mir ein kohlehydratreiches Mahl, der Tag war anstrengend, und morgen wird's wohl noch eine Spur härter werden. Die Moskitos vertreiben mich heute früh ins Zelt.  Donnerstag, 18.03. Khancoban - Jindabyne: Nach dem vergangenen anstrengenden Tag schlafe ich wie ein Stein. Um halb sechs stehe ich auf, es wird ein langer Tag werden. Ich verlasse Khancoban in der Frische des frühen Morgen. Doch ich komme gar nicht zum frieren, denn gleich hinter dem Ortsausgang zieht die Strasse steil an der Talflanke empor in die Berge hinauf. Ich lasse mir Zeit dabei, denn ich muss mir die Kräfte einteilen. Nach einigen strammen Kilometern aufwärts führt die Strasse zunächst wieder ein Stück bergab zur Murray Power Station. In dicken Rohren schiesst das Wasser den Berg hinab und treibt die Turbinen des Kraftwerkes an. Wer Zeit und Musse hat, kann dieses Kraftwerk besichtigen, ich radele jedoch zügig weiter. Direkt hinter dem Kraftwerk beginnt eine wunderschöne Stecke durch dichten Wald. Es geht leicht aber stetig aufwärts, Verkehr gibt es hier kaum. Da macht Radeln doppelt Freude! Am Ende der langen Steigung erreiche ich Scammells Spur Lookout. Von dieser Plattform öffnet sich der Ausblick auf das Massiv des Mt. Kosziusko sowie die endlosen Wälder um Geehi. Der höchste Berg Australiens ist allerdings selbst nicht sichtbar, sondern wird aus dieser Perspektive von einem der Nebengipfel verdeckt. Überraschenderweise führt die Strasse nun erstmal wieder sieben lange und steile Kilometer durch dichten Wald bergab. Das macht einerseits eine Menge Spass, anderseits verliere ich aber auch wieder etliche Höhenmeter, die ich später wieder hochklettern muss. Unten angekommen führt die einsame Strasse im dichten Wald achterbahnmässig weiter. Ich erreiche das wunderschöne an einer Lichtung am Fluss gelegene Camp Geehi und mache dort Pause. Der weitere Verlauf der Strecke unterhalb des Mt. Kosziusko ändert sich landschaftlich kaum. Im Kräfte zehrenden Auf und Ab geht es weiter bis zur Grenze nach Victoria, wo die Ländereien der einsamen Farm Tom Groggin den Beginn einer langen und steilen Bergstrecke markieren. Nach zahlreichen Höhenmetern in den Beinen wird es hier richtig ernst. In engen Kurven zieht sich die Strasse auf einer Länge von 20 Kilometern rund 1000 Höhenmeter streckenweise sehr steil empor. Der Leatherbarrel Creek auf halber Strecke bietet mit einem Bach und einer kurzen Abfahrt Gelegenheit zum Entspannen. Der Berg will nicht enden. Spät am Nachmittag erreiche ich endlich die Passhöhe Dead Horse Gap. Ich bin mittlerweile ziemlich erledigt und freue mich darauf, dass es jetzt nur noch bergab geht. Der Skiort Thredbo ist schnell erreicht. Dort besorge ich mir im Laden erstmal Kaloriennachschub und Wasser, bevor es weiter geht auf die letzten 30 Kilometer des Tages bis Jindabyne. Die Strasse verläuft hier im lang gezogenen Tal überwiegend leicht bergab. Allerdings ist sie gewürzt mit einigen kurzen Gegenanstiegen, die mir am Ende dieses Tages zunehmend schwerer fallen. Ich begegne zwei Emus und verlasse schliesslich das Tal des Thredbo River. Mit einer unerwartet fiesen Steigung zieht die Strasse hinüber ins benachbarte Tal, mittlerweile kurbele ich nur noch im kleinsten Gang den Berg hinauf. Zur Belohnung wartet dann aber eine der besten Abfahrten, die Australien zu bieten hat: auf einer breit ausgebauten Strasse geht es übersichtlich lang und steil bergab. Hier kann ich es noch mal so richtig krachen lassen. Geduckt rausche ich ungebremst mit 75 Stundenkilometern zu Tale. Diesen Adrenalinkick habe ich mir heute verdient. Im letzten Licht des Tages erreiche ich Jindabyne. Der Supermarkt ist leider schon geschlossen, so bleibt mir nichts anderes übrig, als mich nach diesem anstrengenden Tag über die kargen Futterreste in der Packtasche her zu machen. Bier gibt's erst morgen wieder...  Freitag, 19.03. Jindabyne - Cooma: Die Ruhe der Nacht hat mir gut getan. Ich bin früh auf den Beinen und heute der erste Kunde des Supermarktes. Ausgehungert kaufe ich den halben Laden leer und gönne mir ein ausgiebiges Frühstück am Ufer des Sees. Gestärkt gehe auf die Piste. Zunächst verläuft die Strecke in welligem Gelände hinauf zu Barney's Ridge auf 1050 m Höhe. Danach ändert sich die Szenerie. Es geht lange leicht abwärts bis Berridale, wo ich kurz Pause mache. Hinter Berridale prägen offene Weiden und Äcker das Landschaftsbild. Die weite Landschaft ist hier übersät mit tausenden von Felsblöcken, die surreal wirken. Auf der Strasse herrscht deutlich mehr Verkehr als in den vergangenen Tagen. Hier erst begegne ich dem ersten Radler auf meiner Australientour. Henry aus Wollongong fährt in umgekehrter Richtung "meine" Strecke. Wir erzählen lange am Straßenrand von Streckenverlauf, Besonderheiten und sonstigem Radlerlatein. Dann geht's für mich weiter der Küste entgegen. Die Landschaft vor Cooma wird zunehmend eintöniger. Offenes weites Weideland prägt die Landschaft. Hier ist es ziemlich heiss, was ich sehr geniesse. Ich bin früh dran heute, so habe ich reichlich Zeit, um im Camp meine Wäsche zu waschen und um mein Rad zu pflegen. Kette ölen und Räder nachzentrieren stehen auf dem Programm. Im örtlichen Woolworths gibt's alles zu futtern, was das Radlerherz begehrt. Am Abend ist von der Hitze des Tages nicht mehr viel zu spüren. Samstag, 20.03. Cooma - Bega: In der Nacht hat es sich mächtig abgekühlt. Am Morgen hängt Nebel über Cooma, der sich nur zögerlich lichten will. Die ersten Kilometer ist es auf dem Rad noch recht frisch. Die Landschaft ist vollkommen ausgeräumt, kein Baum und kein Strauch sind zu sehen. Soweit das Auge reicht dominiert trockenes Weideland. Die Szenerie erinnert mich an die ausgedehnten Steppengebiete in der spanischen Extremadura. Die Strasse verläuft leicht Auf und Ab bis hinauf nach Nimmitabel. Hier liegt in einer Höhe von 1150 m der Scheitelpunkt der Great Dividing Range. Hinter Nimmitabel ändert sich das Landschaftsbild unvermittelt. Die Topographie ist rauer als zuvor, Buschland löst die offene Einöde ab. Schliesslich verdichtet sich der offene Busch zum Wald, und der Abstieg an der Ostflanke der Great Dividing Range ins Bega-Tal wird eingeläutet. An der Abbruchkante liegt mit dem Piper-Lookout ein wunderschöner Aussichtspunkt. Der Blick reicht hinab über das grüne Begatal bis hin zum Pazifik, der in der Ferne schimmert. Die Abfahrt ins Tal hinab ist etwas haarig. Es geht steil in engen Kurven abwärts, ich muss konzentriert fahren und die Finger immer an der Bremse haben. Gelegentliche Pausen, um die Felgen vor Überhitzung zu schützen, sind ratsam. Ich erreiche schnell die Wiesen des oberen Bega-Tales. Hier weiden die zahlreichen Kühe, die den Rohstoff für Australien's Käse Nummer 1 liefern. Ich bin auf eine gemächliche Fahrt durch das Tal zum Meer eingestellt und stelle überrascht fest, dass es die so nicht gibt. Stattdessen verläuft die Strasse auch hier wieder als Achterbahn ständig im Kräfte zehrenden Auf und Ab. Kurz vor Bega erreiche ich den berüchtigten Princess Highway, der die Städte entlang der Ostküste verbindet. Nach einigen Kilometern auf dem Highway bin ich schliesslich in Bega. Ich schlage mein Zelt auf dem etwas rudimentären Campingplatz auf und gehe früh schlafen. Sonntag, 21.03. Bega - Bermagui: Irgendwo in der Nachbarschaft findet nachts eine Party statt. Laute Musik und anständiges Gegröhle sorgen für allerlei Kurzweil! Etwas gerädert verlasse ich die Käsehauptstadt des Kontinentes, um in Tathra den Pazifik zu erreichen. Hier gibt es eine Strasse in Küstennähe bis Bermagui, die im vergangenen Jahr durchgehend asphaltiert wurde und weitaus weniger Verkehr hat als der Princess Highway. Tathra liegt schön an einer lang gezogen Bucht und ist, wie so viele Küstenorte, bei Campern sehr beliebt. Nördlich von Tathra windet sich die Strasse durch den Mimosa Rocks National Park. An mehreren Stellen führen unbefestigte Stichstrassen hinunter zu einsamen Buchten am Meer. Es geht durch dichten Wald stetig rauf und runter, eine schweisstreibende Angelegenheit! Hinter Bunga überquere ich den Murrah River, dann folgt das steilste Stück des heutigen Tages. Auf zum Glück nur kurzer Strecke geht's mit 18 % Steigung steil aufwärts, das haut rein! Am frühen Nachmittag erreiche ich den Küstenort Bermagui. Hier ist einiges an Volk unterwegs: heute ist Wettangeln! Ich habe mich bei den Eltern meines Freundes Jake angekündigt. Vor zwei Jahren haben sie die rauen Berge verlassen, um hier an der milden Küste ihren Lebensabend zu verbringen. Sie bewohnen ein schönes Haus am Rande des Busches. Wir freuen uns über das Wiedersehen und verbringen einen angeregten Abend mit essen, trinken und viel erzählen. Heute bleibt das Zelt in der Packtasche, und ich schlafe mal wieder in einem richtigen Bett... Montag, 22.03. Bermagui - Batemans Bay: In der Nacht regnet es heftig, und ich bin froh, ein festes Dach über dem Kopf zu haben. Ich verabschiede mich von meinen Freunden und mache mich auf den Weg nordwärts Richtung Sydney. Mangels Alternativen muss ich heute ein langes Stück auf dem Princess Highway radeln. Zum Glück hält sich der Verkehr hier im Süden noch in zumutbaren Grenzen. Die Strasse ist meistens breit genug, so dass ich auf dem Standstreifen radeln kann. Die Topographie ist zwar durchaus bewegt, aber heftige Steilstrecken gibt es kaum noch hier. Ich fahre lange Zeit durch ausgedehnten Busch. In Moruya verlasse ich den Highway, um der Küste nach Batemans Bay zu folgen. Das ist zwar ein kleiner Umweg, der lohnt sich aber, da die Strasse weniger stark befahren ist. Ich folge dem Deua River bis kurz vor dessen Mündung in den Pazifik, weiter geht's durch Busch bis Toma. Ab Toma wird die Topographie zum Abschluss des Tages noch einmal anspruchsvoll. Es folgt Bucht an Bucht, die jeweils durch hohe Felsnasen voneinander getrennt sind. Das heisst, es geht von nun an nur noch steil rauf und runter. Das zermürbt! In Batemans Bay kaufe ich Futter und checke auf Easts Campingplatz am Nordufer des Flusses ein. Der Platz ist gut, aber ich werde mit 26 $ für die Nacht zur Kasse gebeten, das ist Rekord! "Sorry, no unpowered sites!" heisst es, und ich muss den teuren Stromanschluss mitbezahlen. Solche Abzocke ist glücklicherweise in Australien die Ausnahme. Da ich müde bin und keine Lust mehr haben weiter zu fahren, beisse ich in den sauren Apfel und zahle. Wer so etwas umgehen will, sollte die Campingkette von Easts meiden. Dienstag, 23.03. Batemans Bay - Greenpatch/Jervis Bay: Heute habe ich einen langen Tag auf dem Princess Highway vor mir, alternative Strecken gibt es hier an der Küste leider nicht. Die Landschaft ändert sich gegenüber dem Vortag kaum. Die Strasse führt in beständigem Auf und Ab durch endlosen Busch. Der Verkehr hält sich zum Glück in Grenzen. Ich komme zügig voran und erreiche Ulladulla, wo ich mir am Hafen eine ausgedehnte Pause gönne. Im weiteren Verlauf der Strecke wird es im Conjola Nationalpark noch einmal richtig bergig. Am Nachmittag kann ich endlich den Highway verlassen, um auf Nebenstrecken zur Jervis Bay zu gelangen. Hier entlang des St. George Basin herrscht überraschend viel Verkehr. Der See hat eine bevorzugte Wohnlage und ist demzufolge gut erschlossen. Ich erreiche schliesslich die Jervis Bay und radele weiter an das Südende der Bucht zu einem meiner Lieblingsorte in Australien. Hier liegt inmitten des Booderee Nationalparkes, welcher seit einigen Jahren von der örtlichen Urbevölkerung gemanagt wird, das Greenpatch Camp. Man munkelt, der Sand der Jervis Bay sei der weisseste auf Erden. Kann gut sein, denn ohne Sonnenbrille wird man am Strand "schneeblind". Die Vorfreude auf dieses paradiesische Fleckchen Erde wird jedoch jäh unterbrochen, als ich feststellen muss, dass das gesamte Camp und der angrenzende Busch ein Raub der Flammen geworden sind. Der Weg vom Paradies zur Hölle ist nicht weit! Das sieht sehr bedrückend aus. Alles ist verwaist und geschlossen. Ich bin etwas ratlos und ziemlich enttäuscht. Hier hatte ich ein paar Tage Strandfreuden eingeplant, aus denen nun nichts zu werden scheint. Zurückradeln nach Vincentia hat wenig Sinn, es wird bereits dunkel. Ich suche mir irgendwo einen freien Platz, wo mir kein abgebrannter Baum auf den Kopf fallen kann und schlage dort mein Zelt auf. Die Sanitäranlagen sind zum Glück noch geöffnet und funktionsfähig, so dass ich immerhin noch eine kalte Dusche bekomme. Ich koche meine mitgebrachten Leckereien und geniesse trotz der widrigen Umstände die Einsamkeit der Bucht. Ganz allein bin ich allerdings nicht, denn ich habe Gesellschaft von einigen Hundert Mücken, einigen Possums und einer Beutelratte, die sich ebenfalls allesamt auf ein opulentes Abendessen freuen... Mittwoch, 24.03. Greenpatch - Huskisson: Nach einer ruhigen Nacht wird es in aller Frühe unerwartet geschäftig, als eine Truppe Kinder mit ihrem Trainer an den Strand gehen, um offenbar schwimmen oder schnorcheln zu üben. Ich lasse es langsam angehen, denn ich weiss noch nicht so recht, was ich nun weiter machen soll. Ein oder zwei Tage Pause kann ich jetzt gut gebrauchen. Während ich frühstücke, kommt ein Jeep mit Rangern vorgefahren. Ich frage nach Hawkeye, den ich bei meinem letzten Besuch hier kennen gelernt hatte. Ein kurzer Funkspruch genügt, und zehn Minuten später kommt Hawkeye angebraust. Wir freuen uns über das ungeplante Wiedersehen. Hawkeye berichtet mir traurig von Weihnachten 2003, als der halbe Booderee Nationalpark nieder brannte und dabei seine Heimat und Lebensgrundlage schwer schädigte. Die Aufräumarbeiten sind in vollem Gange. Er hofft, dass zumindest das Camp bald wieder funktionieren wird. Der Busch regeneriert sich früher oder später selber. Auch wenn es zurzeit dramatisch aussieht, gelegentliche Feuer sind für die Verjüngung dieses Biotoptypes wichtig. Hawkeye hängt an seiner Heimat, die ihm, seinen Vorfahren und jetzt seinen Kindern eine einfache aber dennoch solide Lebensgrundlage bietet. Niemals im Leben würde er sich in ein Flugzeug setzen, um diesen Flecken zu verlassen. Booderee ist sein Paradies. Ich verabschiede mich schließlich von Hawkeye und verspreche, ihn bald wieder zu besuchen. Ich fahre ein paar Kilometer bis Huskisson. Huskisson ist wie die anderen Orte an der Jervis Bay ein bevorzugtes Reiseziel für die Einwohner der Städte Sydney und Canberra. Die touristische Infrastruktur ist dementsprechend gut ausgebaut. Das Camp liegt direkt an der Bucht, das ist gut zur Entspannung! Am Nachmittag verbringe ich viel Zeit an den Felsen am Strand, wo es bei Ebbe in den Tümpeln allerlei Getier und Muscheln zu entdecken gibt. Donnerstag, 25.03. Huskisson - Kiama: In der Nacht habe ich wieder mal Besuch. Ein Possum streicht um das Zelt herum und hat es offenbar auf mein Brot abgesehen. Es dauert lange, bis ich das nervige Vieh endlich loswerde. In der Frühe packe ich zusammen und radle bei bestem Wetter los. Nach wenigen Kilometern erreiche ich den Princess Highway, dem ich nun leider mangels Alternativen ein Stück folgen muss. Hier wird nun die Nähe zur Metropole Sydney erstmals spürbar. Der Verkehr ist deutlich stärker als an den Vortagen. Der Highway ist streckenweise vierspurig auf Kosten des Randstreifens ausgebaut. Ab hier hört der Spass beim Radeln auf! Ich muss sehr konzentriert fahren und hoffen, dass ich nicht von einem Blindfisch umgenietet werde. Ich erreiche Nowra und statte meinem Discounter einen Besuch ab. Im Jahr 2002 eröffnete Feinkost ALDI in Australien seine ersten Filialen, was von den bislang völlig anders organisierten Supermarktketten mit einer gewissen Sorge betrachtet wurde. ALDI scheint sich zu behaupten, billiger als die Konkurrenz ist er auch hier. Allerdings sind die Ozzis doch sehr komfortverwöhnt und tun sich noch schwer, ihre Waren selber einzupacken sowie für Plastiktüten Geld zu bezahlen. Ich überquere den Shoalhaven River und kann den Highway zum Glück wieder verlassen. Die Strasse ist wesentlich ruhiger und verläuft parallel des Strandes durch den Busch des Seven Mile Beach Nationalparkes. In Gerroa führt die Strasse stramm aufwärts bis zum Kingsford Smith Lookout. Hier liegt einem der lang gezogene Strand mit dem gesamten Nationalpark zu Füssen. Für die letzten Kilometer bis Kiama muss ich leider wieder auf den Highway ausweichen, der echte Autobahnqualitäten aufweist und zum Radfahren wenig geeignet ist. Das Camp in Kiama liegt oberhalb des Hafens unweit des legendären Blowholes. Hier hat die permanente Brandung einen Hohlraum mit Durchbruch in den Fels gehöhlt. Manche Wellen rollen bei bestimmten Wasserständen so in diesen Hohlraum hinein, dass oberhalb des Loches eine gewaltige Gischtfontäne emporschiesst. Das sieht sehr beeindruckend aus! Hier verbringe ich den Rest des Tages. Freitag, 26.03. Kiama - Sydney: Ich werde vor Sonnenaufgang wach und nutze die Gunst der Stunde. In der Mischlichtsituation der Morgendämmerung mache ich einige Fotos vom angestrahlten Leuchtturm. Die Strecke, die ich heute zunächst fahren will, ist von der übelsten Sorte. Der Highway verläuft vierspurig ohne Randstreifen in Richtung Sydney. Lastwagen donnern haarscharf an mir vorbei. Das ist nichts für schwache Nerven. Aber auch hier gibt es leider keine Alternative. Nach einigen turbulenten Kilometern kann ich die Horrorpiste endlich in Richtung Shellharbour verlassen. Es wird kurzfristig deutlich ruhiger auf der Strasse, aber ich nähere mich bereits dem ausgedehnten „Speckgürtel“ Sydneys und damit einem dichter besiedelten Küstenabschnitt. Je mehr ich mich der Industriestadt Wollongong nähere, umso heftiger wird der Verkehr. Die Streckenführung für Radfahrer ist mehr als abenteuerlich. Teilweise gibt es entlang der vierspurigen Strasse mal einen Radweg auf der linken Seite, mal auf der rechten Seite, dann wieder gar keinen. Der Radweg endet gelegentlich unvermittelt im Nichts. Alles wird begleitet von starkem Verkehr, das macht wenig Spass. Erst nachdem ich an den rauchenden Schloten der Industrieanlagen von Port Kembla vorbei bin, beginnt ein Radweg, der ohne zu übertreiben das Prädikat „traumhaft“ verdient. Himmel und Hölle liegen nicht selten dicht beieinander. Der Radweg verlässt die Horrorstrasse und führt in unmittelbarer Strandnähe ohne Autokontakt durch Dünen und an wunderbaren Surfstränden vorbei. Ich mache einige Stopps und geniesse diesen erstklassigen Weg. Auf diesem Radweg passiere ich Wollongong und radele weiter bis hinauf nach Bulli. Dort erst endet der Weg, und ich komme zurück auf die Strasse. Zu meiner Überraschung ist hier kaum Verkehr unterwegs. Kurze Zeit später begreife ich auch warum das so ist. Die einzige Strasse entlang dieses Küstenabschnittes ist zur Zeit wegen Reparaturarbeiten vollständig gesperrt. Ein Durchkommen ist selbst mit Rad schieben nicht möglich, die Baustelle wird bewacht. So muss ich mein Rad in den Zug verfrachten und ein paar Kilometer von Scarborough bis Coalcliff mit der Bahn zurücklegen, um die Baustelle zu passieren. Das ist gar nicht mal so schlecht, denn ab Coalcliff habe ich die einzige Strasse in Richtung Sydney fast für mich allein. Stanwell Park ist die letzte Ortschaft bevor die Strasse von der Küste steil hinauf führt in den Royal National Park, Australien’s ältestem Nationalpark. Dort oben in Otford nutzen zahlreiche Drachenflieger den gleichmässigen Aufwind vor der Küstenflanke und kurven schwerelos durch die Lüfte. Es folgt ein würdiger Abschluss meiner diesjährigen Australientour. Eine schöne einsame Waldpiste schlängelt sich lange durch den Nationalpark, garniert mit einigen anstrengenden Höhenmetern. Am Abend erreiche ich in Sutherland die Vororte von Sydney. Den Rest der Strecke quer durch die Stadt spare ich mir und setze mich stattdessen mitsamt Rad in die S-Bahn. Eine Stunde später bin ich zurück bei meinen Freunden in Ashfield. Bei einigen kalten Bieren erzählen wir uns lange über die Erlebnisse der vergangenen Wochen. 27.03. – 29.03. Sydney: Es folgen drei entspannte Tage mit meinen Freunden in Sydney. Ich geniesse die letzten Tage unter der australischen Sonne, bevor ich wieder zurück muss in den tristen Winter Norddeutschlands. Viel Zeit verbringe ich mit den Kindern mit rumalbern im Gartenpool. Dann braucht mein Rad ein paar „Streicheleinheiten“ für die zuverlässigen Dienste während der anstrengenden Tour. Putzen, ölen, auseinanderschrauben und schliesslich gut verpacken erfordern etwas Zeit. Den letzten Tag verbringe ich in der Stadt, besuche dort den botanischen Garten, das Opernhaus sowie die Rocks und kaufe ein paar Mitbringsel ein. Im warmen Licht des späten Nachmittages habe ich letzte Gelegenheit für eine kleine Fotosession im Herzen Sydneys. Abends gibt es mit Natasha, Jake und den Mädels unser fast schon traditionelles Abschiedsessen: eine Wanne voller köstlicher Tiger Prawns! Wir stopfen die leckeren Riesenkrabben in unsere Bäuche bis wir nicht mehr können. 30.03. – 31.03. Sydney – Seoul – Oldenburg: Meine Zeit downunder ist mal wieder um, schade! Der Abschied aus diesem wunderbaren Land und von meinen Freunden fällt mir wie immer schwer. Natasha bringt mich in der Frühe mitsamt gut verpacktem Rad zum Flughafen. Wegen der Umstellung von Sommer- auf Winterzeit hat es eine unplanmässige Vorverlegung meines Fluges um genau die eine Stunde gegeben. Das hätte auch in die Hose gehen können! Ich checke als einer der letzten Passagiere ein, dann geht es auch gleich los. Der Flug verläuft ruhig, im Bordkino läuft Schrott aus Hollywood und koreanische Actionfilme, da ist das Musikprogramm schon spannender. Irgendwann ist auch dieser Flug zu Ende, und ich lande am Abend in Südkorea. Hier habe ich eine Nacht Aufenthalt, worüber ich nicht traurig bin. So eine entspannende Reiseunterbrechung ist bei diesen Flugdistanzen sehr angenehm. In Seoul ist es allerdings empfindlich kalt. Die Fahrt vom hypermodernen Flughafen Incheon mit dem Bus in die Stadt Seoul dauert ewig lang. Von der Insel Incheon führt die Strasse über eine lange Brücke durch ausgedehnte Wattgebiete an den Stadtrand. Dann folgt eine endlose und gesichtslose komprimierte Betonwüste. Dichteste Bebauung, sehr viel Verkehr, kein Baum, kein Strauch. Wir schleichen von einem Verkehrsstau zum nächsten. Unser Ziel, das Novotel Ambassador Doksan, liegt immer noch eine Ewigkeit von der Innenstadt entfernt an einer zehnspurigen Strasse. Einen entspannenden Abendspaziergang muss ich daher auf andere Plätze dieser Welt verschieben. Trotz der widrigen Umgebung ist das Hotel nicht schlecht. Essen und Zimmer sind Klasse, so speise ich ausgiebig und beschränke meinen Abendspaziergang auf das gegenüber liegende nonstop geöffnete Shopping-Center. Mit den koreanischen Schriftzeichen kann ich allerdings herzlich wenig anfangen. Die Auswahl der Waren entspricht auch nicht unbedingt meinem Geschmack. Daher gönne ich mir lieber einen Wellness-Abend in meiner Badewanne… Nach der ruhigen Nacht geht es für mich am späten Vormittag weiter Richtung Frankfurt. Ich bin froh, hier nicht länger bleiben zu müssen, wo die Menschen wie die Sardinen in der Büchse leben, und ich freue mich dann doch auf Allemania. Deutschland empfängt mich überraschenderweise mit Sonne und milden Temperaturen, da ist selbst die Rückkehr aus Australien angenehm… Zusammenfassung Im Winter 2004 verlasse ich Deutschland, um im Sommer der südlichen Hemisphäre Neuseeland’s Nordinsel mit dem Fahrrad zu entdecken. Nach dem langen Flug folge ich von Auckland aus dem Pacific Coast Highway an der Küste entlang am Ostkap vorbei zur Hawke Bay. Nicht immer ganz ideale Bedingungen erschweren mir die Tour. Neben der teilweise sehr anstrengenden Topographie mit vielen Höhenmetern macht mir vor allem das Wetter zu schaffen. Obwohl die Nordinsel als die gemäßigtere der beiden Inseln gilt, ist es in diesem Ausnahmejahr oft kühl und windig. Heftige Niederschläge durchnässen mich wiederholt. Das Verkehrsnetz ist nur grobmaschig angelegt, mangels geeigneter Nebenstrecken radele ich nicht selten auf den Highways. Wegen der zahlreichen Holztransporter auf den Highways ist dies nicht immer angenehm. Ruhiger wird dagegen erst der Küstenabschnitt um das Ostkap. Hier leben viele Maori, die Strasse verläuft am Ostkap entlang einer teilweise schönen Küste. Insgesamt gesehen ist die Landschaft auf der Nordinsel jedoch aber häufig unspektakulär: hügeliges Weideland, ausgedehnte Forstmonokulturen und Kahlschläge bestimmen das Bild. Die Abstände zwischen den Ortschaften sind verglichen mit europäischen Verhältnissen sehr groß, die Versorgung mit Wasser und Nahrung sollte daher mit dem nötigen Weitblick bedacht werden, ist aber grundsätzlich kein großes Problem. Die Städte sind oft geprägt von einer funktionalen und sterilen Struktur – schachbrettartiger Grundriss, breite Strassen und anonyme Shopping Center bestimmen das Bild. Ausnahmen stellen die schönen Städte Napier und natürlich Auckland dar. Bedingt durch das für meine Verhältnisse zu schlechte Wetter beende ich meinen Neuseelandaufenthalt früher als geplant und reise nach drei Wochen schon ab in Richtung Australien. Hier erwarten mich in Sydney meine Freunde Jake, Natasha und ihre beiden Mädels, sowie deutlich wärmere Temperaturen. Ich plane spontan eine Rundtour durch New South Wales mit dem Rad und erlebe diesen Teil Australiens aus Sattelperspektive neu. Nach anfänglichem Regen stabilisiert sich das Wetter schnell und ich habe endlich meine Radtour unter der Sonne des Südens. Die Distanzen sind groß. Ich bin mittlerweile gut fit und fahre über die Blauen Berge in die Ebenen am Rande des Outback. In den australischen Alpen genieße ich die einsamen Strassen in der tollen Kulisse des Kosciusko Nationalparkes. Der Weg zurück nach Sydney folgt von Bega aus entlang der Küste nach Norden. Nationalparke und schöne Strände machen diesen Abschnitt interessant. Leider verleidet mir auf dem Princess Highway zunehmend starker Verkehr das Radfahren. Nach drei Wochen bin ich wieder zurück in Sydney und verbringe dort einige Tage mit meinen Freunden, bevor ich über Südkorea wieder zurückfliege in den deutschen Frühling... Copyright: Oliver Lange, Oldenburg (2004)