Cevennen und Pyrenäen 2006
Spätsommer in den Bergen…
Vorbemerkung:
Der August war in hiesigen Breiten viel zu nass und alles andere als sommerlich. Was muntert einen da besser auf als eine schöne Tour in den sonnigen Süden zum Ende der Saison? Die östlichen Pyrenäen stehen auf meiner Wunschliste ziemlich weit oben, denn dafür hatte mir auf der letzten Pyrenäentour die Zeit nicht mehr gereicht.
Doch wie komme ich dort ohne größere Komplikationen hin und welche Streckenführung bietet sich an? Die erste Frage kann ich mit einigen Tricks klären: Der Fahrradbus von Natours fährt regelmäßig in Richtung Provence. Von dort ist es zwar noch ein Stück bis in die Pyrenäen, aber das ist landschaftlich nicht uninteressant!
Für die Rücktour wähle ich den Fahrradbus von Sausewind, der fährt drei Wochen später von der katalanischen Küste wieder zurück in den kühlen Norden. Das passt ganz gut.
Kopfzerbrechen bereitet mir allerdings die Überquerung des Pyrenäenhauptkammes zwischen Frankreich und Spanien. Die Anzahl der mit dem Rad befahrbaren Pässe ist dürftig. Es gibt grundsätzlich nur wenige Übergänge, und davon sind die meisten für den Autoverkehr optimiert. Teilweise wird der Hauptkamm sogar von einem langen Tunnel unterquert - und Tunnelfahrten mit dem Rad sind auf stark befahrenen Straßen alles andere als ein Vergnügen.
Mangels geeigneter Alternativen peile ich in der Planung den ziemlich weit westlich liegenden Col du Pourtalet an, bin mir aber nicht ganz sicher, ob mir dafür die Zeit reichen wird.
Auf jeden Fall freue ich mich auf einsame Bergsträßchen, grandiose Landschaften und hoffentlich reichlich Sonne.
Freitag, 01.09. Busfahrt Oldenburg - Mornas:
Heute geht's los. Bis zum Mittag räume ich im Büro noch meinen Schreibtisch auf und regele letzte Angelegenheiten. Bei wunderbarem Wetter bringt mich Gela nach Osnabrück zum Treffpunkt.
Der Natours-Bus beginnt am Nachmittag seine lange Fahrt auf altbekannter Strecke. Nach den obligatorischen Stopps in Dortmund, Köln und Trier, wo weitere Radler zusteigen, ist der Bus nicht ganz voll, was sich angenehm auf den Sitzkomfort auswirkt.
Das Rad ist sicher auf dem Anhänger verstaut, so dass ich sorgenfrei durch die Nacht der südfranzösischen Sonne entgegen schaukele. Ich döse einen unruhigen Schlaf und kann es kaum erwarten, endlich anzukommen und loszuradeln.
Samstag, 02.09. Mornas - Chamborigaud:
Der Bus kommt ziemlich flott voran. Im Morgengrauen passieren wir bereits Valence und erreichen gegen 8 Uhr die Autobahnraststätte bei Mornas. Von südfranzösischer Sonne ist dort allerdings nichts zu sehen, im Rhônetal hängt eine zähe Nebelschicht. An der Raststätte steige ich aus und verabschiede mich von der Truppe.
In aller Ruhe montiere ich das Rad und verstaue mein Gepäck. Etwas ungläubig und leicht fröstelnd steige ich auf's Rad, den Start hatte ich mir wärmer vorgestellt! Das Dörfchen Mornas dürfte den meisten, die auf der Route du Soleil in Richtung Provence gefahren sind, wohl schon einmal aufgefallen sein. Direkt neben der Autobahn ragt eine beeindruckende senkrechte Felswand über dem Dorf empor, die von einer Burgruine gekrönt ist - nachts sogar mit Beleuchtung!
Die ersten Kilometer radele ich auf der stark befahrenen Route Nationale das Rhônetal aufwärts, um zur Ardèchemündung zu gelangen. In Pont St. Esprit verlasse ich das Tal, hinter dem Städtchen wird es auf der Straße zunehmend ruhiger. Der Nebel löst sich zunehmend auf, die Straße steigt langsam aber stetig an, und ich erreiche eine angenehme Betriebstemperatur. Über Pierrebrune radele ich parallel zur Ardècheschlucht in Richtung Barjac. Der Höhenzug, den ich dabei überquere, wird geprägt von der mit Fels durchsetzten Garrigue - landschaftlich sehr anregend!
Oberhalb von Barjac kann ich am westlichen Horizont bereits die Cevennen erkennen, die am Mt. Lozère Höhen bis zu 1700 m erreichen. Mittlerweile meldet sich nach 50 km der Hunger, und ich mache am Dorfplatz in Barjac eine späte Frühstückspause.
Durch hügeliges landwirtschaftlich genutztes Gelände nähere ich mich dem Fuß der Cevennen. Über die verkehrsarme D 255 erreiche ich bald St. Ambroix, wo die Hügel höher werden und die Landwirtschaft immer mehr dem Wald weicht. Bis Bessèges folge ich dem Fluss Cèze. Die Straße ist hier leider stark ausgebaut und nicht allzu erlebnisreich. Der Verkehr hält sich zum Glück in Grenzen.
In Bessèges ist heute die Hauptstraße festlich geschmückt, viele Einwohner sind hier auf den Beinen. Mit reichlich Getöse kommt bald ein langer Festumzug durch die Straßen gezogen. Eine Kakophonie aus Marschmusik, Evergreens und Samba begleitet den schrägen Aufmarsch.
Nachdem der Pulk vorbei ist, bin ich bald wieder mit dem Rad allein auf schmaler Straße. Hier tauche ich ein in die Cevennen und begleite den Fluss durch lichten Wald aufwärts. Schließlich erreiche ich das kleine Dorf Chamborigaud. Direkt neben der Brücke gibt es am Fluss einen schönen Campingplatz, an dem ich meine erste Etappe beende. Die lange Fahrt mit dem Bus sitzt mir noch in den Knochen, und ich krabbele nach dem Essen müde in den Schlafsack.
Sonntag, 03.09. Chamborigaud - Florac:
Nach einer ruhigen Nacht mit reichlich Schlaf fühle ich mich am Morgen ausgeruht und freue mich auf den ersten kleinen Pass. Außerdem bin ich am Abend mit Freunden in Florac verabredet, die ich auch schon eine Weile nicht mehr gesehen habe. Das Wetter ist prächtig, kein Wölkchen trübt den Himmel, die Temperaturen sind zum Radfahren perfekt.
Von Chamborigaud geht es zunächst ein paar Kilometer auf stärker befahrener Straße aufwärts bis Tavernoles. Dort verlasse ich die D 906 und biege ab auf ein schönes Bergsträßchen, welches sich an der Flanke der Montagne du Bougès kurvenreich durch Esskastanienwald immer weiter hinauf schlängelt.
Der erste Pass ist immer der härteste. So habe ich, trotz moderater Steigung, doch etwas zu knabbern auf den letzten Metern zum Col de la Croix de Berthel (1088 m). Die Rampe ist zum Schluss noch mit einem steileren Abschnitt garniert. Oben öffnet sich der Blick auf die umliegenden Berge, Wald dominiert die Nutzung, Siedlungen sind nur wenige erkennbar.
Oben am Pass meldet sich mein Magen und verlangt Brennstoff. So genieße ich in der wohltuenden Mittagswärme eine ausgedehnte Siesta. Welch wohltuender Unterschied zum letzten Mal vor nicht einmal einem Jahr, als ich im kalten Nebel mit eisigen Füssen schlotternd hier oben stand.
Heute habe ich es nicht mehr weit. Bis Florac sind es nur noch 30 herrliche Kilometer bergab durch das Tal des oberen Tarn. Ich rolle gemächlich abwärts und mache in Le Pont-de-Montvert noch eine kleine Pause. Ein paar Cafés und Sitzbänke laden am Ufer des Tarn zum Verweilen ein.
Nach einem kurzen Gegenanstieg rolle ich weiter abwärts. Auf halber Strecke rastet am Straßenrand ein Motorradfahrer, der mir verdächtig bekannt vorkommt. In der Tat, es ist Philippe, den ich eigentlich erst am Abend in Florac treffen wollte. Noch während wir uns über das spontane Wiedersehen freuen, gibt's gleich die nächste Überraschung. Wenige Minuten später kommt ein Radler schwitzend den Berg hinauf gesaust, und das ist Rudi, den wir eigentlich auch erst am Abend treffen wollten. Die Welt ist klein, und wir haben mächtig Spaß! Rudi dreht noch eine kleine Feierabendrunde zum Pass hinauf, nach dem er den Tag im Auto verbracht hatte. Wir tauschen kurz die Neuigkeiten aus und verabreden uns dann für den Abend, bevor jeder wieder seines Weges zieht.
Unten, am Zeltplatz in Florac, treffe ich schließlich auch Annette, die Vierte im Bunde, die es heute vorgezogen hatte, einen geruhsamen Nachmittag im Tal zu verbringen. Nach kurzer Begrüßung folgen erst einmal die unvermeidlichen Abendrituale wie Zelt aufbauen, Gepäck einräumen und duschen.
Heute ist Sonntag, die Läden sind geschlossen und das Futter ist alle. So entschließen wir uns, die örtliche Gastronomie um ein paar Kalorien zu erleichtern. Draußen vor einer Dorfkneipe genießen wir bei einigen kalten Bieren und viel Erzählen einen der wunderbaren südfranzösischen Spätsommerabende unter den Sternen.
Montag, 04.09. Florac:
Heute schlafen wir lange aus, wir haben noch keinen Plan für den Tag. Zunächst müssen wir den Futternachschub für's Frühstück organisieren. Im örtlichen Supermarkt gibt's die nötigen Zutaten.
Beim Frühstück überlegen wir, was wir hier gemeinsam unternehmen können. Wir passen nicht alle auf Philippe's Motorrad, und genügend Fahrräder für alle haben wir auch nicht. Philippe hat schließlich die nahe liegende Idee angesichts der beeindruckenden Felskulisse oberhalb von Florac, eine Wanderung dort hinauf zu unternehmen.
Die notwendigen Infos und eine Wanderkarte haben wir schnell beim Chef des Campingplatzes organisiert. Pünktlich zur Mittagshitze machen wir uns auf den Weg. Jetzt rächt sich, dass wir am Morgen so lange rumgetrödelt haben. Der Anstieg aus dem Tal ist steil und schweißtreibend. Mit zunehmender Höhe wird der Ausblick in die Täler des Tarn und des Tarnon sowie über die umliegenden Berge immer beeindruckender. Während am Steilhang ein kleinflächiges Mosaik aus Wäldchen, Feldgehölzen und Wiesen das Bild prägt, ändert sich das Landschaftsbild oben auf der kargen Hochfläche des Causse Méjean vollständig.
Hier oben geht ein angenehmer Wind, die Hochfläche ist nahezu gehölzfrei. Nur wenige Dornbüsche beleben die kargen Karstäcker und extensiven Schafweiden. Wir wandern an der Hangkante der Hochfläche entlang und haben immer den prächtigen Blick auf Berge und Tal vor Augen.
Aus großer Distanz sehen wir, dass in der Nähe einer Feldgehölzgruppe gelegentlich einer der vielen Geier, die hier leben, landet oder startet. Unsere Vermutung, dass dort ein Kadaver liegt, bestätigt sich bald. Als wir dem Luderplatz zu nahe kommen, ergreifen etwa 40 voll gefressene Geier die Flucht. Damit die schweren Vögel überhaupt in die Luft kommen, müssen sie wie ein Flugzeug gegen den Wind starten - und das ist genau die Richtung, aus der wir kommen. Das beeindruckende Schauspiel ist schnell vorüber, und wir haben ein etwas schlechtes Gewissen, weil wir die selten gewordenen Großvögel beim Mittagsmahl gestört haben.
Der Weg verläuft weiter über die schattenlose Hochfläche. Nach einigen Kilometern windet sich ein schmaler Pfad durch die Hangflanke abwärts. Dem folgen wir und erreichen nach einem steilen Abstieg schließlich das Tarnontal. Dort lockt oberhalb eines kleinen Wehres eine schöne Badegumpe im Fluss. Nach dem schweißtreibenden Tag ist das jetzt genau das richtige - raus aus den Klamotten und rein ins kühle Nass. Schöner kann eine Wanderung kaum enden.
Wir beschließen den Abend auf dem Zeltplatz mit Essen, Trinken und Erzählen.
Dienstag, 05.09. Florac - Mt. Aigoual - Florac:
Annette und Rudi müssen heute weiter, Philippe und ich aber wollen lieber noch einen Tag in dieser spannenden Gegend bleiben. Das Wetter ist nach wie vor traumhaft, und mich zieht es hinauf zum Mt. Aigoual, dem Wetterberg der Cevennen. Zweimal war ich schon mit dem Rad dort oben, jedes Mal war das Wetter furchtbar. Heute scheint der Tag zu sein, an dem der Berg einiges wieder gut machen kann.
Nach dem Frühstück radle ich mit wenig Tagesgepäck am Fluss Tarnon talaufwärts. Ohne meinen Hausstand komme ich flott voran. Rechts begleitet mich die steile Erosionskante der Hochfläche des Causse Méjean, links die waldreichen Cevennenberge. Auf der Straße gibt es nur sehr wenig Verkehr, so dass das radeln hier ein Hochgenuss ist. Die letzten Kilometer im oberen Tal des Tarnon verlaufen schattenreich den Flusswindungen.
Ab Rousses wird es schließlich etwas anspruchsvoller. Mitten in der Mittagshitze gilt es nun die ersten nennenswerten Höhenmeter zu erklimmen. Die Straße verläuft oberhalb der Schluchten des Bergbaches Tapoul. Obwohl die Steigung nicht allzu heftig ist, läuft mir der Schweiß in der Mittagshitze in Strömen aus allen Poren. Da beneide ich die neoprengekleideten Adrenalinjunkies, die mit Kletterausrüstung in der Schlucht verschwinden, um kraxelnd, springend und schwimmend dem turbulenten Bach abwärts zu folgen.
Mich zieht es weiter aufwärts. In Cabrillac erreiche ich die Hauptstraße, auf der es nun nicht mehr weit bis zum Gipfel des Mt. Aigoual ist. Die letzten Kilometer sind allerdings stark ausgebaut und zum aufwärts radeln lange nicht mehr so spannend wie der Streckenabschnitt entlang des Tarnon und Tapoul.
Etwa drei Stunden nach meinem Start in Florac erreiche ich das weitläufige Gipfelplateau. Es ist sehr schön, hier oben einmal den unendlich weiten blauen Himmel zu erleben, wo mir sonst immer heftiger Regen oder Schnee um die Nase blies. Rund um die Wetterwarte ist wie erwartet natürlich mehr los. Zahlreiche Ausflügler nutzen den herrlichen Tag für einen Ausflug hier hinauf. Die meisten kommen allerdings auf der gut ausgebauten Straße von Süden hier hoch und beeinträchtigen daher meine Radtour kaum.
Philippe ist mit seinem Motorrad auch schon lange oben und wartet am Gipfel auf mich. Wir machen eine ausgedehnte Mittagspause, gönnen uns einen Café und genießen die herrliche Aussicht.
Das Schönste am Bergfahren ist aber nach wie vor die anschließende Belohnung: die rauschende Fahrt hinab ins Tal! Und die klappt hier ganz besonders gut: 550 Höhenmeter geht es auf sehr gut ausgebauter Straße ohne zu bremsen in weiten Kurven hinab zum Col de Perjuret, das ist fast wie fliegen.
Die Aussicht auf die niedriger gelegenen Hochflächen von Causse Méjean und Causse Noir sind beeindruckend. So beeindruckend, dass ich mich am Col de Perjuret auf ein Experiment mit offenem Ausgang einlasse. In der Michelinkarte ist ein Wanderweg quer über den Causse Méjean eingezeichnet. Zwischen Villeneuve und la Fajole gibt's nur einen nicht näher klassifizierten gestrichelten Pfad. Niemand ist hier zu sehen, den ich nach dem Weg fragen könnte. Meine Neugier siegt, hier oben ist es allemal interessanter als denselben Weg zurückzufahren.
Obwohl es schon spät ist, fahre ich ein Stück aufwärts, um auf die Hochfläche zu gelangen. Ich passiere die bizarre Felslandschaft des Chaos de Nimes le Vieux und erreiche den Weiler Villeneuve, der gottverlassen und teilweise verfallen am Rand der Hochfläche liegt. Hier ist Schluss mit Asphalt. Mitten im Dorf zieht ein steiler Fahrweg mit grobem Schotter den Hang hinauf. Der Schotter ist zu grob zum fahren, so schiebe ich einige hundert Meter, bis ich oben angelangt bin.
Die Szenerie ist ergreifend. Eine menschenleere Hochfläche mit kargen Äckern und Weiden erstreckt sich vor mir, hinter mir das tief eingeschnittene Flusstal mit skurrilen Felsformationen, jenseits des Tales die waldreichen Berge um den Mt. Aigoual.
Ab hier geht es auf einem rauen Fahrweg voran, mit den dicken 26 Zoll Reifen ist das aber machbar. Der Fahrweg verläuft einige Kilometer durch hügeliges Terrain, passiert dabei einige steinige Äcker, kleinere Wäldchen und weites Weideland. Schließlich führt der immer rauer werdende Weg auf eine kleine Passhöhe hinauf. Von dort oben kann ich in der Ferne die Hofanlage La Fajole sehen, wo ich wieder aus Asphalt treffen dürfte.
Aber der Weg dorthin entpuppt sich als schwierig. Aus dem Fahrweg wird ein steiler ruppiger Pfad, der sich schließlich im Dornengestrüpp verliert. Das Intermezzo endet, in dem ich das Rad auf die Schultern hebe, einige Zäune und Äcker überquere und schließlich doch noch einen fahrbaren Weg finde, der mich wieder in die Zivilisation bringt.
Bei der Aktion ist nun doch mehr Zeit draufgegangen als geplant. Ich muss mich mächtig sputen, wenn ich noch vor Ladenschluss angemessenen Kaloriennachschub in Florac bekommen möchte. Auf der Straße ist zum Glück überhaupt nichts mehr los, so dass ich in atemberaubendem Tempo die steile Steige nach Florac runtersause und tatsächlich gerade noch in den Supermarkt hineingelassen werde, bevor der Chef die Tür verschließt.
Philippe wartet schon mit sorgenvoller Miene am Campinglatz, da er mich viel früher erwartet hatte. Wir verbringen den Abend am Zelt und haben viel zu erzählen.
Mittwoch, 06.09. Florac - Le Rozier:
Nach zwei Tagen in Florac's Umgebung zieht es mich weiter. Philippe hat noch ein paar Tage Zeit, und wir verabreden uns für den Abend in Le Rozier am Ende der Tarnschlucht 70 km talabwärts. Die Strecke durch die Tarnschlucht ist mir wohl vertraut. Heute freue ich mich auf eine Genussfahrt bei wenig Verkehr und bestem Wetter.
Die Straße folgt dem tief in die Hochflächen eingeschnittenen und in zahlreichen Windungen verlaufenden Tarn. An den steilen Hängen dominiert der Wald. Unten auf dem Fluss sind einige Paddler zu sehen, die aber mit dem derzeit niedrigen Wasserstand ihre Schwierigkeiten haben, die Boote setzen häufig auf dem kiesigen Untergrund auf.
In St. Enimie kreuzt die D 986 die Tarnschlucht. Das historische Ambiente des Städtchens lockt einige Besucher her, hier ist demzufolge etwas mehr los. Der weitere Weg den Tarn abwärts wird nach wie vor geprägt durch steile Talflanken, beeindruckende Felsformationen und den glitzernden Fluss.
In La Malène mache ich im Schatten an der Brücke eine ausgedehnte Mittagspause. Hier ist am frühen Nachmittag reger Betrieb. Es floriert ein munterer Bootsbetrieb auf dem breiter werdenden Tarn. Flache Kähne, die einst zum Warentransport auf dem Tarn genutzt wurden, sind mittlerweile umgebaut zum Personentransport.
Im halbstündigen Rhythmus werden Busladungen mit Passagieren in die Kähne verfrachtet und auf die Reise flussabwärts geschickt. Routinierte Kamikazepiloten bringen die Kähne nach erfolgreicher Talfahrt in halsbrecherischen Fahrmanövern auf der Straße in Anhängern wieder zum Ausgangspunkt La Malène zurück, wo bereits die nächsten Passagiere warten. Ab hier ist ein gewisser Respekt auf der Piste vor den Hasardeuren angeraten.
Das Tarntal wird unterhalb von La Malène an einigen Stellen eng und von steilen Felsen begleitet. Auf der Straße ist nun spürbar mehr Verkehr als am Vormittag. Bis Le Rozier, meinem heutigen Ziel, ist es nicht mehr weit. Der beschauliche Ort liegt an der Mündung des Jonte in den Tarn. Hoch am Himmel kreisen die Geier, die über den zahlreichen Felswänden ohne Flügelschlag in den Aufwinden schweben.
Philippe wartet schon an einem der Campingplätze, mit dem Motorrad war er natürlich schneller als ich. Während am Nachmittag in Le Rozier noch reger Betrieb herrschte, ist es am Abend sehr ruhig. Bei Bier und Nudeln lassen wir den Tag ausklingen.
Donnerstag, 07.09. Le Rozier - Millau - Le Rozier:
Le Rozier ist ein weiterer angenehmer Standort im Tarntal für eine schöne Tagestour in das Umland. Philippe hat es auch nicht eilig, daher bleiben wir einen weitern Tag am Tarn.
Am frühen Morgen ist es diesig und leicht bewölkt. Davon lasse ich mich aber nicht beeindrucken, sondern starte gleich nach dem Frühstück hinauf in Richtung Causse Noir. Hinter dem Zwillingsort von Le Rozier, Peyrelau, auf der anderen Seite des Jonte, zieht die Straße mit gleichmäßiger und relativ harmloser Steigung durch Weiden und Wald aufwärts. Die Strecke ist sehr schön, hier ist nicht viel Verkehr, und es gibt einige tolle Aussichtspunkte in das Jontetal.
Rund 500 Höhenmeter über dem Jonte erreiche ich die Hochfläche des Causse Noir. Der Causse Noir sieht völlig anders aus als der benachbarte Causse Méjean: die Hochfläche ist geprägt von ausgedehnten lichten Kiefernwälder, die mit einigen kargen Weiden durchsetzt sind. Die Topografie ist auffallend bewegt, ständig führt die Straße in vielen Windungen auf und ab. Nach einigen Kilometern erreiche ich am Südrand des Causse das Felsenmeer Chaos de Montpellier-le-Vieux. Diese bizarre Felsszenerie ist allerdings touristisch intensiv erschlossen. Es gibt ein Kassenhäuschen mit deftigen Eintrittspreisen, eine Rundfahrtstrecke und für die Fußfaulen sogar eine Bimmelbahn, mit der man unter fachkundiger Führung die besonderen Attraktionen des Felsenmeeres abgrast.
Mir steht heute nicht der Sinn nach soviel Trubel, ich will radeln und habe noch einige Kilometer vor mir. Also mache ich kehrt und bleibe einige Kilometer oben auf der Hochfläche, bevor ich oberhalb von Millau den westlichen Rand des Causse Noir erreiche.
Gespannt und neugierig schweift mein Blick in die diesige Ferne, und am Horizont wird die atemberaubende Hängebrücke hoch über dem Tarntal erkennbar. Die bislang höchste Brücke der Welt verläuft in einer Höhe von atemberaubenden 270 m über dem Tarn und verbindet, vereinfacht gesagt, Paris mit dem Mittelmeer.
Brücken in eindrucksvollen Naturlandschaften beäuge ich in der Regel eher mit Argwohn als mit Euphorie. Diese Brücke schafft es aber, mir ihren nicht zu leugnenden ästhetischen Reiz zu vermitteln. Architektonisch setzt dieses Bauwerk zweifellos einen sehr markanten Akzent, mal ganz abgesehen von der damit gewonnenen Verkehrsentlastung in der Stadt Millau - gut gemacht Mr. Foster!
Ich bin oben, Millau liegt unten. Das heißt, es erwartet mich eine rauschende Abfahrt! Mit nur wenig Tagesgepäck kann ich es richtig laufen lassen. Viel zu schnell bin ich unten nahe der Mündung des Dourbie in den Tarn angelangt. In die Stadt zu gehen habe ich keine Lust, stattdessen biege ich gleich links ab und folge dem Dourbie flussaufwärts.
Bereits wenige Kilometer hinter Millau wird es wieder ruhiger auf der Straße. Radeln ist ein Genuss: der Fluss ist glasklar, Wald und Felsen säumen die Hänge des Tales, die Steigung ist kaum wahrnehmbar. So komme ich flott voran. Rund 20 km später zweigt eine kleine Straße nach links ab, die wieder hinauf auf den Causse Noir führt. Diese Bergstraße habe ich ganz für mich allein. Bei angenehmer Steigung von höchstens 6 % erreiche ich nach einigen Kurven wenig später wieder die Hochfläche.
Im kleinen verschlafenen Dorf Revens gönne ich mir auf einer Bank neben der Kirche im Schatten eine lange Mittagspause. Danach ist meine Packtasche leer gefuttert. Bis Lanuéjols geht es auf der kargen Hochfläche ohne große Höhenunterschiede flott voran. Im Ort gibt es überraschenderweise einen kurzen aber steilen Anstieg, der mein Blut noch mal in Wallungen bringt.
Hier oben lässt sich sehr schön die geologische Grenze zwischen der kargen Karsthochfläche der Causses und der waldreichen bergigen Landschaft der benachbarten Cevennen wahrnehmen. Bis Meyrueis ist es nun nicht mehr weit. Eine flotte Abfahrt bringt mich schnell hinab in den beschaulichen Ort am Jonte.
Die Tour durch das Tal des Jonte abwärts geht locker vonstatten, das Gefälle ist nicht steil. Kurz vor dem Aussichtspunkt zur Beobachtung der zahlreichen Geier steigt die Straße sogar noch einmal aufwärts. Ansonsten hat das Tal mit seinen wald- und felsreichen Hängen eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Tarntal.
Der Himmel hat sich zwischenzeitlich ziemlich zugezogen. Kurz nach meiner Rückkehr zum Campingplatz bringt ein Wärmegewitter angenehme Frischluft ins Tal.
Freitag, 08.09. Le Rozier - Trebas:
Ab heute läuft mein Reiseprogramm solo weiter, Philippe muss wieder zurück nach Montelimar. Er ist früh auf den Beinen, wir verabschieden uns in der Hoffnung, uns bald wieder zu sehen.
Bei mir dauert es noch eine Weile, bis ich meinen weit verteilten Hausstand gut verpackt ans Rad bringen und starten kann. Ab Le Rozier gibt es beiderseits des Tarn eine Straße bis Millau. Ich wähle die verkehrsärmere linke Flussseite und komme bei bestem Wetter flussabwärts mit leichtem Gefälle zügig nach Millau. Ausgedehnte Kirschplantagen begleiten das linke Flussufer, leider liegt die Erntezeit schon einige Wochen zurück.
In Millau halte ich mich nicht lange auf, sondern radle zügig durch die Stadt, denn ich habe heute noch einige Kilometer vor mir. Ein Stück hinter der Stadt fahre ich im Tarntal unter dem gigantischen Autobahnviadukt durch, den ich am Vortag bereits aus der Ferne vom Causse Noir bewundert hatte. Die kühn elegante Stahlbetonkonstruktion hebt sich kontrastreich von dem blitzblauen Himmel ab, und ich mache zahlreiche Fotos.
Der weitere Streckenverlauf den Tarn abwärts hat einen gänzlich anderen Charakter als in der spektakulären Schlucht zwischen Florac und Le Rozier. Die den Fluss begleitenden Hänge sind nun lange nicht mehr so steil und hoch, Felsen gibt's hier nicht. Stattdessen ist der Fluss an zahlreichen Stellen aufgestaut und wird zur Energiegewinnung genutzt. Der Fluss sieht nun eher aus wie ein lang gestreckter See.
Die Gegend ist einsam, Siedlungen gibt's nur wenige, dementsprechend ruhig geht es auf der Straße zu. Allerdings wechselt die Straße mehrfach die Flussseite und klettert dabei mehrfach auf die begleitenden Höhen, was sich für eine Flusstour als überraschend schweißtreibend erweist. Trotz der Anstrengungen ist die Tour wegen der einsamen Straßen und teilweise schönen Ausblicke von den Höhen sehr schön.
In Brousse-le-Chateau erreiche ich letztlich wieder den Tarn. Das mittelalterliche Dorf glänzt mit einem wunderschönen historischen Ortsbild mit Natursteinhäusern, einer schönen alten Brücke und dem Schloss. Die Infrastruktur entlang der Strecke ist allerdings ansonsten eher spartanisch: Cafés, Campingplätze, Einkaufsmöglichkeiten für Proviant oder Wasserstellen sind selten. Da bin ich über meine Vorratshaltung in der Packtasche doch froh!
Erst in Trebas erreiche ich einen Ort, wo ich Proviant bekomme und auf einem Campingplatz direkt am Fluss mein Zelt aufschlagen kann.
Samstag, 09.09. Trebas - Mazamet:
Nach einer ruhigen Nacht ist am Morgen alles nass vom Tau. Ich stehe früh auf, denn heute stehen einige Höhenmeter auf dem Programm. Das Wetter ist nach wie vor sehr gut.
Auf der anderen Seite des Tarn führt die Straße hinter dem Ort Villeneuve-sur-Tarn lang und stetig auf einsamer Straße hinauf auf die Hochfläche. Wald und Weideland wechseln sich auf dem Weg hinauf nach Alban ab. Auf dem flachen Hochplateau genieße ich kurz den Blick in die Ferne, bevor die Straße bald wieder durch eine ebenso einsame Waldstraße abtaucht, ein Bachtal quert, um dann abermals auf das nächste Hochplateau hinauf zu klettern. Dieser Rhythmus bestimmt den heutigen Tag.
Die schöne landschaftliche Szenerie beflügelt meinen Tritt. An den Hängen dominiert Wald mit kühlendem Schatten die einsame Straße, auf den Hochflächen liegen kleine Orte inmitten landwirtschaftlich genutzter Flächen.
Am frühen Nachmittag erreiche ich das kleine Städtchen Vabre, wo ich meine ausgedehnte Mittagspause mache. Der Nachmittag geht gerade so weiter wie der Vormittag begonnen hat. Nachdem ich eine weitere Hochfläche überquert habe, erreiche ich am Fluss Agout das Städtchen Brassac mit seinem Schlösschen. Hier finde ich erstmals seit meinem morgendlichen Aufbruch einen Laden, wo ich etwas Proviant einkaufen kann.
Den Abschluss des Radeltages bildet ein erneuter Anstieg auf eine Höhe von über 800 m. Die Straße ist nach wie vor verkehrsarm und daher sehr angenehm zu radeln. Zu guter letzt kann ich von den Höhen des Hoch-Languedoc eine 20 km lange Abfahrt mit nur mäßigem Gefälle durch Wald genießen. Das heißt, ich kann das Rad ohne zu bremsen einfach laufen lassen und entspannt von Kurve zu Kurve tanzen.
Unten im Tal des Thoré hat mich dann die Zivilisation wieder. Mazamet am Fuße der Montagne Noir hat schon richtiges Stadtformat mit einem entsprechenden Verkehrsaufkommen. Die Versorgungslage ist gut. Mein erster Gang führt mich in den Supermarkt, wo ich meine Vorräte aufstocke. Spät erreiche ich den Campingplatz. Es sind nur wenige Gäste hier, so dass ich reichlich Platz zur Auswahl habe. Mein Abendessen bereite ich schließlich im Schein der Taschenlampe zu, es ist doch verdammt spät geworden.
Sonntag, 10.09. Mazamet - Mirepoix:
Die Nacht war warm und windig. Meine Wäsche ist am Morgen ausnahmsweise knochentrocken. Auf die Bäckerzunft ist auch am Sonntagmorgen Verlass. Mit einer Tüte frischer Backwaren verlasse ich Mazamet in der Frühe. Auf halber Hanghöhe führt ein schönes aussichtsreiches Sträßchen westwärts. Ich passiere einige verschlafene Dörfer und begegne einer größeren Truppe Rennradler.
Nach etwa 10 Kilometern erreiche ich die D 56, die direkt hinauf führt in die Montagne Noir. Die Steigung ist locker zu radeln. Dichter Wald begleitet meinen Weg aufwärts. Im Schatten der Bäume bleibt es angenehm kühl. Bedingt durch den dichten Wald gibt es leider keinen einzigen Aussichtspunkt, der mir den Blick in die Ebene ermöglichen würde. Es gibt zwar erfreulich wenig Verkehr, aber mangels motivierender Ausblicke zieht sich der Weg zäh in die Höhe. Kurz vor dem Pass bläst mir zudem ein starker Wind entgegen, der noch mal eine gewisse Konzentration erfordert.
Hinter dem Scheitelpunkt verläuft die Straße einige Kilometer auf der Höhe der Montagne Noir und passiert dabei ein paar kleine Dörfer. Die Abfahrt auf der Südflanke des Höhenzuges verläuft wie bereits die Auffahrt durch schönen dichten Laubwald. Mit der Aussicht muss ich daher noch ein paar Kilometer warten. Stattdessen genieße ich eine ungebremste kurvenreiche Abfahrt bei mäßigem Gefälle. Erst kurz vor St. Denis öffnet sich der Wald und gibt den Blick frei auf das im Hitzedunst vor den Pyrenäen liegende Midi.
Mitten in Saissac finde ich endlich einen tollen Aussichtspunkt, wo ich mir oberhalb der Katharerfestung eine ausgedehnte Mittagspause genehmige. Wegen dem Dunst lassen sich die Pyrenäen und die Silhouette der im Tal liegenden Stadt Carcassonne nur schemenhaft erahnen.
Nachdem ich meinen Kalorienbedarf gedeckt habe, freue ich mich auf einige weitere hundert Höhenmeter abwärts. Mit abnehmender Höhe bläst mir der Fahrtwind immer heißer ins Gesicht.
In der weiten Senke des Midi mildert ein starker Ostwind die Hitze ein wenig. Die landschaftliche Szenerie ist hier, von wenigen Ausnahmen einmal abgesehen, wenig anregend. Es dominiert eine intensive Landwirtschaft. Das Midi ist von zahlreichen Verkehrsadern durchzogen, das Verkehrsaufkommen demzufolge deutlich höher als in den Montagne Noir.
Eine reizvolle Ausnahme bildet der beschauliche Canal du Midi, wo eine prächtige Platanenallee Schutz vor der Hitze bietet.
Die Strecke hinter Bram ist zum Radeln ziemlich öde. Die Straße ist breit ausgebaut und schnurgerade, die Autos rasen. Ich bleibe trotzdem auf dieser eher unangenehmen Piste, da ich auf diese Weise am schnellsten das Midi durchqueren kann.
Vor Fanjeaux wird es überraschend ernst: der Ort liegt oben auf einem Bergsporn, die alte Nebenstraße führt auf direktem Wege schnurgerade dort hinauf. Das heißt, die etwa drei Kilometer lange Rampe führt wie eine immer steiler werdende Parabel direkt ins Ortszentrum hinauf. Mal abgesehen von dem etwa 18 % steilen Schlussabschnitt ist der Anstieg bei 33°C eher ein mentales Problem. Ich versuche mich auf das Vorderrad zu konzentrieren und möglichst nicht den Zielpunkt zu fixieren, der überhaupt nicht näher zu kommen scheint.
Irgendwann erreiche ich schwitzend den Ort. Nach einer kurzen Verschnaufpause fahre ich gleich auf der autobahnähnlichen Piste weiter Richtung Mirepoix. Der starke Ostwind treibt mich jetzt in flottem Tempo meinem Tagesziel entgegen. Hinter einer Anhöhe tauchen zum ersten Mal deutlich wahrnehmbar die Pyrenäen am Horizont auf. Das motiviert!
Ich erreiche Mirepoix und schlage auf dem Campingplatz mein Nachtlager auf. Außer mir nächtigt hier noch ein anderes Camperehepaar, sonst ist nichts los. Auf dem benachbarten Sportgelände findet eine Wohltätigkeitsveranstaltung statt. Mit spanischem Flamencopop im Ohr döse ich spät am Abend zufrieden ein.
Montag, 11.09. Mirepoix - Tarascon:
In der Nacht lässt der starke Ostwind irgendwann nach. Da ich am Vorabend schon früh im Zelt verschwunden bin, bin ich bereits um 6 Uhr ausgeschlafen. "Der frühe Vogel fängt den Wurm", gemäß diesem Motto packe ich noch im Dunkeln meine Sachen zusammen und bin entsprechend zeitig auf der Piste.
Nach drei verkehrsreichen Kilometern auf der D 119 biege ich ab und gelange in eine andere Welt. Hinter Besset empfängt mich eine hügelige Landschaft: Wald, Wiesen und kleine Dörfer wechseln sich ab. Die am Morgen noch bedrohlich wirkenden Wolken haben sich mittlerweile vollständig aufgelöst. Radeln ist die reine Wonne.
Nach Überquerung eines kleinen Passes erreiche ich am späten Vormittag die am Fluss Ariège gelegene Stadt Foix. Die Burg thront markant auf einem Hügel über der Altstadt. Der am Rand der Altstadt gelegene zentrale Platz lädt im Schatten der Platanen zum Verweilen ein. Nach längerer Rast mache ich mich wieder auf den Weg flussaufwärts Richtung Tarascon. Die stark befahrene Route Nationale hoch in Richtung Andorra wurde am Ostufer des Ariège neu gebaut, so dass ich verkehrsarm und entspannt auf der alten Straße am Westufer radeln kann.
Ein kleines aber steiles Intermezzo treibt mir vor Amplaing noch einmal den Schweiß auf die Stirn, als die Straße für einige Kilometer vom Ariègetal abschwenkt.
Am frühen Nachmittag erreiche ich Tarascon und baue mein Zelt auf dem komfortablen Campingplatz auf. Mein erster Gang führt mich in den tollen Pool der Anlage, wo sich die Hitze gut aushalten lässt.
Am Himmel türmen sich Gewitterwolken auf, und es beginnt zu grummeln. Ich schaffe es gerade noch im Trockenen Proviant einzukaufen, bevor es am Abend zu regnen beginnt. Der Regen ist lang anhaltend, so dass ich mir einen überdachten Platz auf der Terrasse einer nicht bewohnten Hütte suche, um mir mein Abendessen zu bereiten. Erst spät am Abend hört der Regen wieder auf.
Dienstag, 12.09. Tarascon - Seix:
In aller Frühe werde ich wach, der Himmel ist sternenklar. Es ist allerdings ziemlich kühl geworden und alles ist nass. Die Sonne wird erst spät hinter den hohen Bergen empor steigen und alles wieder trocknen. Darauf möchte ich nicht warten, daher packe ich die nassen Klamotten zusammen und starte früh.
Nach einem kurzen Intermezzo auf der Route Nationale biege ich ab auf die wenig befahrene Nebenstraße, die hinauf führt zum Col de Port. Der erste Teil der Passrampe ist nicht ganz ohne, über mehrere Kilometer steigt die Straße mit 7-8% Steigung an. Dabei wird mir schnell warm, obwohl das Wetter wegen der vielen Wolken über den Bergen nicht mehr so gut ist wie an den Vortagen. Im Schatten ist es noch frisch, aber die Luftfeuchtigkeit ist hoch, und mir läuft der Schweiß in Strömen aus den Poren.
Auf den letzten Kilometern hinauf zur Passhöhe lässt die Steigung auf harmlose 3-4% nach. Vom Col de Port (1250 m) reicht der Blick weit zurück ins Ariége-Tal und die dahinter liegenden Bergketten der Pyrenäen, die sich jetzt wegen dem diesigen Licht sehr schön in der Tiefe staffeln. Hier oben mache ich eine lange Pause.
Eine verträumt wiederkäuende Kuh hat den Anschluss an ihre Herde verloren. Als sie bemerkt, dass ihre Kolleginnen schon weiter gezogen sind, galoppiert sie im gestreckten Galopp den steilen Hang hinab, um wieder zur Herde aufzuschließen. Hoppla, das ist wohl etwas zu flott, die arme Kuh rutscht auf dem feuchten Gras aus und rutscht ziemlich verdutzt auf dem Bauch viele Meter die steile Wiese abwärts. Diese unfreiwillige akrobatische Einlage erheitert mein Gemüt.
Ähnlich lustig geht es gleich darauf weiter, als der imposante Bulle der Herde mitten auf der Straße stehen bleibt und offenbar wenig Motivation verspürt weiter zu gehen. Ein schicker Mercedes-Sportwagen mit Yuppi und Blondchen steht unvermittelt dem imposanten Bullen Auge in Auge gegenüber. Den Bullen scheint das überhaupt nicht zu beeindrucken, er rührt sich keinen Zentimeter vom Fleck. Schließlich müssen Yuppi und Blondchen das Hindernis in weitem Bogen umfahren. Allerlei Kurzweil erlebe ich hier oben.
Bald folgt jedoch der schönste, aber leider auch der kürzeste Teil bei Passfahrten, die Abfahrt! Kurvenreich führt die Straße durch Wald viel zu schnell nach Massat hinab. Ich halte mich dort nicht lange auf, sondern zweige am Ortsausgang gleich auf die schmale Straße zum Saraillé Pass hinauf.
Das war eine gute Idee, denn die Straße ist vom Feinsten. Der Weg ist so gut wie nicht befahren und führt kurvenreich in stetem auf und ab durch Wald, Obstwiesen und vorbei an kleinen Weilern in Richtung Pass hinauf. Der Col de Saraillé (942 m) selbst steckt im Wald, so dass ich von dort keine Aussicht habe.
Die anschließende Abfahrt führt mich noch einige Kilometer durch den Wald, bevor ich oberhalb des Ortes Cominac eine almartige Landschaft mit ausgedehnten Wiesen erreiche. Im Hintergrund ragen die Pyrenäen hoch empor.
Die Abfahrt von Cominac ins Tal nach Oust ist lang und steil und dazu sehr kurvenreich, so dass ich viel bremsen muss. Früh am Tag erreiche ich mein heutiges Etappenziel Seix.
Für einen weiteren Pass ist es mir schon zu spät, daher bleibe ich hier auf dem Campingplatz. Es ist allerdings nicht mehr viel los in Seix. Ich lungere im beschaulichen Dorf herum und besorge etwas Proviant für den Abend. Beim abendlichen Kochen beginnt es leider wieder zu regnen. Auf dem Campingplatz gibt es jetzt aber zahlreiche überdachte Sitzplätze von Dauercampern, die im Moment nicht bewohnt sind. Folglich kann ich doch bequem im Trockenen kochen und essen.
Mittwoch, 13.09. Seix - St. Beat:
Heute ist "Passtag", drei Bergetappen stehen auf dem Programm. Wegen den zahlreichen zu erwartenden Höhenmetern und dem nicht mehr ganz so stabilen Wetter stehe ich früh auf. Noch im Dunkeln baue ich das Zelt ab und packe alles zusammen.
Als ich damit fast fertig bin, beginnt es zu regnen - kein guter Start in den Tag! Den überdachten Sitzplatz kenne ich ja noch vom Vorabend, folglich kann ich zumindest noch im Trockenen frühstücken. Nach zwei Stunden hört der Regen dann doch auf, so dass ich um 9 Uhr den Start meiner heutigen Etappe riskiere.
Im Gegensatz zu den vergangenen beiden Wochen ist es nun aber leider deutlich kühler geworden. Langsam arbeitete ich mich die Passstraße zum Col de la Core (1395 m) hinauf. Wolken hängen vor den Bergen und wabern durch die Täler. Die Straße ist nass, es sieht trübe aus, aber zum Glück gibt es keinen Verkehr heute.
Als die Passhöhe in greifbare Nähe rückt, zieht von Südosten ein bedrohlich wirkendes Regengebiet heran. Den letzten Kilometer muss ich mich sputen, um noch im Trockenen zum Pass zu gelangen. Oben empfängt mich stürmischer kalter Wind. Angesichts der ungemütlichen Rahmenbedingungen und der nahenden Schauerfront verzichte ich auf eine Pause und ziehe mir nur schnell warme trockene Klamotten an.
Die anschließende Abfahrt vom Pass gleicht einer Flucht vor dem Regen. Trotzdem macht die Abfahrt ungeheuren Spaß. Kein Auto ist weit und breit zu sehen, die Straße ist glatt asphaltiert. Ich brauche nicht viel bremsen und schwinge in Ideallinie von Kurve zu Kurve. Durch die flotte Abfahrt komme ich trockenen Fußes hinunter nach Castillon-en-Couserans.
Dort gönne ich mir eine kleine Verschnaufpause. Beim Bäcker besorge ich mir ein paar kalorienhaltige Köstlichkeiten. Lange halte ich mich aber nicht auf, denn ich habe noch zwei weitere Pässe vor mir.
Die Anfahrt zum nächsten Pass, dem Col de Portet d´Aspet, verläuft zunächst langsam ansteigend durch das Bonigaue Tal bis St. Lary. Im Tal sind Äpfel und Birnen reif, die Vitaminversorgung ist gesichert. Hinter St. Lary zieht die Steigung stark an. Konkrete Angaben fehlen, die gefühlte Steigung beträgt etwa 9 - 10 %. Auf meinem Weg aufwärts muss ich oft anhalten, da mir der reichlich fließende Schweiß in den Augen die Sicht behindert. Schließlich habe ich auch die zweite Passhöhe des heutigen Tages, den Col de Portet d´Aspet (1069 m) erreicht.
Hier oben futtere ich die letzten Reste meines Proviants. Der Himmel ist zwar zugezogen, aber es bleibt trocken, so dass ich hoffen kann, mein heutiges Etappenziel St. Beat auch noch erreichen zu können. Die Passabfahrt über die Nordwestrampe gehört zu den steileren Varianten. Die Straße führt auf einer langen Gefällstrecke durch Wald mit bis zu 17 % stramm abwärts.
Während ich immer wieder bremsend vorsichtig abwärts fahre, kommt mir ein Trupp schwitzender und keuchender Rennradler entgegen. Es fällt mir schwer zu glauben, dass ich genau diese Steigung vor gerade einmal einem Jahr voll beladen hinaufgefahren bin.
Am Ende der Gefällestrecke zweigt die letzte Passrampe für heute ab, die mich zum Col de Menthé (1349 m) hinauf bringt. Bis Couledoux führt die Straße zunächst nur leicht ansteigend aufwärts. Danach aber windet sich die Straße in endlosen Serpentinen immer höher hinauf. Endlich kommt auch mal wieder die Sonne durch die Wolken. Die Rampe führt durch eine besiedelte und überwiegend strukturreiche Bergwiesenlandschaft. Beim dritten Pass heute werden nun langsam meine Beine träge, und ich kämpfe mich im kleinsten Gang Schritt für Schritt nach oben.
Kurz nach fünf erreiche ich die Passhöhe, die aber wiederum im Wald liegt, so dass ich keine Aussicht habe. Die öffnet sich erst einige hundert Meter unterhalb des Passes und gibt den Blick frei auf die Felswand oberhalb von St. Beat und auf den Pyrenäenhauptkamm. Der Asphalt an der Westrampe des Col de Menthé ist perfekt, die Kurven herrlich. So genieße ich in flotter Fahrt die letzte Abfahrt des Tages, die mich direkt hinunter bringt nach St. Beat. Hier kaufe ich Proviant und schlage mein Zelt auf dem Campingplatz am Ufer der Garonne auf.
Abends treffe ich eine Radlerin, die heute aus Spanien herüber gekommen ist und von grauenhaftem Dauerregen sowie von Überschwemmungen auf der Südseite der Pyrenäen berichtet. Bei meinem abendlichen Spaziergang durch das beschauliche Städtchen beginnt es auch schon zu tröpfeln. Am Himmel über dem Pyrenäenhauptkamm zucken die Blitze. Das sind keine rosigen Perspektiven für den nächsten Pass, der der höchste meiner diesjährigen Radreise werden soll.
Donnerstag, 14.09. St. Beat:
In der Nacht ist offenbar das Tief aus dem Norden auf das umfangreiche Tiefdruckgebiet Nordspaniens getroffen. Das Ergebnis ist ein nicht mehr endender Dauerregen. Der Morgen zeigt sich dementsprechend trostlos, alles ist grau in grau, von den Bergen ist nichts zu sehen.
Mir ist schnell klar, dass das heute nicht der Tag ist, um über den 2072 m hohen Port de Bonaigua nach Katalonien hinüber zu radeln. Also lege ich mich noch eine Runde in den Schlafsack und döse bei dem notorischen Rauschen des Regens noch lange weiter. Der Campingplatz hat einen recht komfortablen Aufenthaltsraum, den ich für das Frühstück in Anspruch nehme. Angesichts der widrigen Bedingungen entscheide mich für einen Ruhetag in St. Beat und hoffe, dass die Welt morgen besser aussieht.
Ein hoch motivierter Jungspund aus England mit einem etwas knapp kalkulierten Terminkalender will heute unbedingt rüber über den Pass. Im Sommerdress und mit Minimalausrüstung radelt er tatsächlich raus in den Dauerregen. Kopfschüttelnd blicke ich hinter ihm her und sehe ihn vor meinem geistigen Auge klatschnass und frierend hoch obenauf über 2000 m Höhe fluchen. Den Kampf muss anscheinend jeder Radler einmal selber durchstehen. Ich hoffe nur, dass es ihm nicht gleich schon zu Beginn seiner noch jungen Radlerkarriere die Lust an der besten Art zu reisen so gründlich verdirbt, dass er zukünftig das Auto bevorzugt.
Zeit zum grübeln habe ich heute genug. Außer einem kurzen Gang in den Ort, um Proviant zu besorgen, wage ich mich nicht vor die Tür. Bei Tee und Keksen brüte ich über den Karten und entwerfe Plan B für den Fall, dass sich das Wetter in absehbarer Zeit nicht mehr bessern sollte. Alternativen gibt's schon, aber das würde bedeuten, entweder mit dem Bus die Flucht nach Spanien anzutreten oder mit der Bahn zum französischen Mittelmeer. Beide Varianten behagen mit nicht so sehr, sind aber für den Notfall erwägenswerte Alternativen.
Währenddessen regnet es unaufhörlich weiter, riesige Pfützen verwandeln den Campingplatz in eine Seenplatte. Etwas besorgt wage ich am Nachmittag einen Blick in mein Zelt, um ernüchtert festzustellen, dass das Wasser schon seit geraumer Zeit von unten durch den Boden drückt und die Isoliermatte mittlerweile völlig durchnässt hat - auch das noch! Nun ist handeln angesagt.
Ich frage vorsichtig bei der Chefin des Platzes an, ob ich angesichts der Wetterlage die kommende Nacht im Aufenthaltsraum verbringen könnte. Ohne lange zu zögern gibt sie mir sofort grünes Licht. Im strömenden Regen packe ich die durchnässten Klamotten zusammen, baue das Zelt ab und verfrachte das triefende Zeug in den Aufenthaltsraum. Hier spanne ich alles, was ich an Schnüren finden kann, kreuz und quer durch den Raum. Das reicht, um Zelt, Isoliermatte und alles was sonst noch nass geworden ist, aufzuhängen. Nach kurzer Zeit hat sich unter den Klamotten auf dem Steinboden eine umfangreiche Pfütze gebildet. Trotz des seit mittlerweile 24 Stunden anhaltenden Regens habe ich jetzt zumindest eine Sorge weniger. Nach dem Abendessen baue ich mir hier ein komfortables und vor allem trockenes Nachtlager und hoffe auf bessere Zeiten.
Freitag, 15.09. St. Beat - Sort:
Irgendwann in der Nacht muss der Regen aufgehört haben. Als ich am Morgen aus dem Fenster blicke, sieht der Himmel zwar immer noch sehr ungemütlich aus, aber es ist zumindest trocken von oben. Meine durchweichten Klamotten sind in der Nacht auch weitgehend abgetrocknet, so dass sich meine Laune bessert. In mir keimt die Hoffnung auf, dass es heute vielleicht möglich sein sollte rüber zu radeln nach Spanien. Ein Versuch ist es allemal wert. Das heißt, dass ich zunächst versuchen werde die spanische Grenze in rund 15 Kilometern Entfernung zu erreichen. Von dort gibt es notfalls den Bus, mit dem ich weiter fahren könnte, falls es wieder anfangen sollte zu regnen.
Draußen ist alles noch nass und entsprechend kühl. Zaghaft und mit einem mulmigen Gefühl verlasse ich St. Beat auf der Route Nationale gen Südosten. Zum Glück gibt es hier nicht soviel Verkehr wie befürchtet. Ich komme zügig auf der Straße voran, die mit schwacher Steigung der reichlich Wasser führenden Garonne flussaufwärts folgt. Die spanische Grenze habe ich bald trockenen Fußes erreicht, das Wetter scheint vorerst zu halten.
Die spanischen Orte nahe der Grenze sind geprägt von Tankstellen und Läden, in denen es bestimmte Waren billiger zu kaufen gibt als im nahen Nachbarland Frankreich. Da ich keinen Schnaps oder billige Zigaretten benötige, radele ich ohne Pause weiter und erreiche im Val d'Aran schon bald mit Vielha die erste größere spanische Ortschaft. Hier dominiert im Winter offenbar der Skitourismus, wie sich anhand der Infrastruktur mit Hotels, Restaurants, und einer regen Bautätigkeit unschwer ablesen lässt. In Vielha mache ich kurz Pause, um danach die lange Auffahrt zum höchsten Punkt meiner Tour, dem Port de la Bonaigua zu wagen. Von oben scheint es trocken zu bleiben.
Das Tal ist wie auch bereits Vielha vom Skizirkus der unangenehmen Art geprägt. Die Ortschaften sind mittlerweile alle aus ihren historischen Fugen geraten. Hotels in öder Einheitsarchitektur prägen das Bild, auch wenn die Architekten bisweilen versucht haben, den trostlosen Eindruck durch die Verwendung von Satteldächern oder regionaltypischen Baustoffen zu kaschieren. Die Größe und Dominanz der massiven Baukörper allein ist schon eine Beleidigung für mein Auge.
Ausbaustandard und Trassenverlauf der Straße passen da gut ins Gesamtbild und sind für die Bewältigung gewaltiger Fahrzeugmassen zur Wintersaison konzipiert. Überdies ist gut die Hälfte des Straßenabschnittes bis Baqueira eine Grossbaustelle. Verkehr gibt es hier überraschend reichlich. Autos und Motorräder rasen mit hoher Geschwindigkeit das Hochtal hinauf und hinab.
Der letzte und damit höchste Ort im Tal, Baqueira, ist gerade dabei seine Siedlungsfläche locker zu verdoppeln. Hier pflegt angeblich der spanische König mit seinem Gefolge regelmäßig seinen Winterurlaub zu verbringen. Und in seinem Glanze sonnen sich der Jetset und die Paparazzi ja bekanntlich besonders gern. Nur schade, dass ein derartiger Rummel immer gleich verheerende Folgen für das Stadt- und das Landschaftsbild haben muss.
Dieses Tal und seine Siedlungsstruktur öden mich ziemlich an und ich radele zügig weiter, um zum Pass hinauf zu gelangen. Hinter Baqueira lässt der Verkehr zum Glück stark nach. Der weitere Straßenverlauf ist zunächst noch bei maximal 7 % Steigung wie eine Rennstrecke ausgebaut, den Motorradfahrern gefällt das anscheinend. Die letzten Kilometer zum Pass hinauf haben dann endlich wieder vertraute Dimensionen. Die dann wieder schmale Straße windet sich in zahlreichen Kurven weiter aufwärts. Wie lange wird es wohl noch dauern, bis die Bagger auch diesen Rest einer echten Passstraße glatt gebügelt haben?
Hier oben kommt wieder echtes Bergfeeling auf. Die Passhöhe ist schon erkennbar, als von Südwesten die erste Schauerstaffel des heutigen Tages naht - ausgerechnet hier oben, das kann ja heiter werden! Es ist mittlerweile auf über 2000 m Höhe ziemlich kalt, der eisige Wind verheißt nichts Gutes. Noch bevor ich die Passhöhe des Port de la Bonaigua (2072 m) erreicht habe, erwischt mich der Schneeregenschauer. Unter einem zugigen Dach suche ich Schutz vor dem waagerecht niedergehenden Schneeregen und wechsele meine nass geschwitzten Klamotten gegen warme trockene Kleidung.
Ich halte mich nicht lange auf sondern starte, bevor ich völlig auskühle, die Abfahrt. Mit klammen Fingern rolle ich zunächst noch auf kurvenreicher Strecke abwärts. Die Kälte beißt. Weiter unten ist die Straße wieder wie eine Autobahn ausgebaut, und ich kann das Rad ungebremst mit hoher Geschwindigkeit rollen lassen. Die Abfahrt dauert endlos lange, mit abnehmender Höhe wird es aber auch spürbar wärmer, und die Wolken werden weniger.
Als ich den Talgrund erreicht habe, scheint sogar die Sonne wieder, das motiviert! Ziemlich ausgekühlt radele ich noch einige Kilometer in voller Wintermontur weiter, um wieder auf Betriebstemperatur zu kommen. In La Guingueta lege ich am See eine Pause ein, ziehe meine Winterklamotten aus und lege mich in die wärmende Sonne. Das ist ein unglaubliches Gefühl nach dem üblen Wetter der vergangenen Tage!
Der Rest der heutigen Tour verläuft fast wie von selbst. Durch das enge Tal des La Noguera führt die Straße stetig weiter abwärts. Dieser Flussabschnitt erfreut sich bei Wildwasserfreunden einer großen Beliebtheit. Nach einem langen Tag auf dem Rad erreiche ich Sort, kaufe Proviant und bereite auf dem Zeltplatz mein Nachtlager. Hier ist nicht mehr viel los, außer mir sind nur wenige Übernachtungsgäste auf dem schattigen Platz.
Samstag, 16.09. Sort - La Seu d' Urgell:
Die Nacht war ruhig und der Morgen begrüßt mich mit dem vertrauten zaghaften Tröpfeln auf dem Zeltdach. Das hatte ich so nicht eingeplant! Bevor wieder alles nass wird, packe ich schnell die Sachen zusammen und ziehe mich zum Frühstück auf die überdachte Terrasse eines zurzeit nicht belegten Bungalows zurück.
Gegen 10 Uhr scheint es sich zunächst ausgeregnet zu haben, und ich wage den Start zum nächsten Pass. Zunächst besorge ich mir im Ort einige Brötchen für die Tour. Vor der in ganz Spanien legendären Lotteriebude von Sort steht eine lange Menschenschlange, die bis weit auf die Straße reicht. Hier wurden auffällig viele Lose verkauft, die den Käufern ansehnliche Gewinne bescherten. Das spricht sich schnell rum, nun stehen die Kunden Schlange auf der Suche nach dem großen Glück. Sogar ein Fernsehteam ist heute vor Ort und filmt den ungewöhnlichen Menschenauflauf.
Ob das Team auch Lose kauft, kann ich nicht mehr sehen, denn für mich geht es nun aufwärts. Am Himmel sieht es so aus, als würde es bald zu regnen beginnen. Bei mageren 13°C fällt es mir schwer zu glauben ich sei in Spanien. Die Straße in Richtung Coll del Cantó ist leider auch stark ausgebaut und zieht mit einer kontinuierlichen Steigung von etwa 7 % hinauf nach Vilamur, dem ersten Dorf im Hochtal.
Hier lässt die Steigung etwas nach und bis Llagunes geht es mit nur wenigen Höhenmetern weiter voran. Der Verkehr ist auffällig stark, die Lotteriebude in Sort scheint eine der Ursachen dafür zu sein. Insbesondere die Fraktion der Motorradfahrer macht sich leider mal wieder durch Lärm, überhöhtes Tempo und riskante Fahrweise wenig Freunde auf der Piste.
Gegen Mittag erreiche ich die Passhöhe des Coll del Cantó (1725 m). Hier ist es zum Glück nicht ganz so kalt wie am Vortag. Der Blick reicht weit vom Pass bis hin zur Serra de Cadi mit ihrem markanten Kalkrücken. Da sich der Himmel von Nordwesten verfinstert, ziehe ich es vor, die Abfahrt ins Tal des El Segre zu beginnen.
Die ersten Kilometer abwärts haben nur wenig Gefälle, an einer Talquerung gibt es sogar eine kurze heftige Gegensteigung. Die letzten Kilometer der Abfahrt führen dagegen steil und kurvenreich in das Tal hinab. Unten ist es angenehm warm. Bis La Seu d'Urgell muss ich allerdings drei Kilometer auf der stark befahrenen Nationalstraße fahren.
In La Seu werde ich sogleich mit einer für Reisende ziemlich lästigen Eigenart der Spanier konfrontiert: es ist Siesta, alles ist dicht! La Seu hat eine schöne kleine Altstadt mit historischer Bausubstanz. Auf einem mit Platanen beschirmten Platz suche ich mir eine Bank und mache ebenfalls eine ausgedehnte Siesta.
Als die Geschäfte wieder öffnen, besorge ich mir Proviant für den Abend und den kommenden Tag. Leider hat der einst in La Seu existierende Campingplatz offenbar bereits vor einigen Jahren seinen Betrieb eingestellt. Das Gelände sieht aus wie eine vom Urwald zurück eroberte Tempelanlage.
Aber der nächste Campingplatz ist nicht weit, auf dem Weg in die Stadt bin ich schon dort vorbei gefahren. In drei Kilometer Entfernung gibt es direkt neben der lauten Nationalstraße einen komfortablen Platz, auf dem ich absteige.
Sonntag, 17.09. La Seu d' Urgell - Gombrèn:
Entgegen meinen Befürchtungen ließ der Verkehr in der Nacht auf der benachbarten Straße doch deutlich nach, so dass der Lärmpegel erträglich war. Um sechs Uhr bimmelt der Wecker, am Himmel funkeln die Sterne - ein gutes Zeichen!
Heute habe ich ein strammes Programm auf der Tagesordnung: die Serra de Cadi ruft! In der Frühe ist es noch kühl aber auch sehr ruhig auf der Straße. Ich radele durch die noch schlafende Stadt, passiere das Gelände der olympischen Kanuwettbewerbe und verlasse das Tal auf einer langsam ansteigenden Nebenstraße. Dabei wird mir zunehmend warm. Die stärker werdende Sonne und die steiler werdende Straße leisten ihren eigenen Beitrag dazu.
Nachdem ich einige Dörfer passiert habe, erreiche ich den Wald. In vielen Kurven führt das Sträßchen durch eine verschachtelte und topographisch undurchsichtige Landschaft stetig aufwärts. Verkehr gibt es hier kaum. Kurz bevor ich die Anhöhe erreiche, komme ich an einen Aussichtspunkt, der seinesgleichen sucht. In einem beeindruckenden 270 ° Panorama reicht der Blick über das Tal von La Seu über Andorra bis zum gesamten östlichen Pyrenäenkamm am Horizont. Ich genieße lange die Aussicht und mache viele Fotos. Das Wetter hat sich stabilisiert, der Himmel zeigt sich von seiner freundlichen Seite.
Kurz nachdem ich die Höhe erreicht habe, passiere ich das kleine Bergdorf Araén. Ich überquere den nach Westen abfallenden Rücken der Serra de Cadi und werde mit einem weiteren atemberaubenden Panorama konfrontiert: hoch über dem Tal des Riu de Lavansa schwenkt der Blick über die südlich anschließende Bergkette im weiten Bogen bis zur Gipfelregion der Serra de Cadi. Eingebettet in diese grandiose Landschaft liegt an markanter Stelle das Dorf Fórnols.
Es folgt die Abfahrt in das Tal des Riu de Lavansa und der anschließende erneute Anstieg flussaufwärts durch das enge und steile Tal bis Tuixen. Hier zweige ich ab und fahre das einsame Seitental weiter steil aufwärts, bis ich das auf einem Hügel inmitten des Tales hoch thronende Dorf Josa del Cadi erreiche. Die Kulisse der grandiosen Berglandschaft und die spektakuläre Lage des Dorfes beeindrucken mich.
Auf einer Wiese unterhalb der kleinen Eremitage am Hang mache ich eine ausgedehnte Pause und freue mich, dass es selbst hier oben in einer Höhe von 1430 m angenehm warm in der Sonne ist.
Die Straße verläuft oberhalb von Josa weiter durch ein Trockental aufwärts und zieht sich schließlich in Serpentinen steil bis zum Pass Coll de Josa (1630 m) hinauf. Bei der Abfahrt nach Gósol taucht im Osten der markante Felsgipfel der Pedraforca auf.
In Gósol herrscht nach der Ruhe des bisherigen Tages ein verhältnismäßig reger Verkehr. Von Gósol umfahre ich die Pedraforca entlang ihrer Südflanke und überquere dabei einen weiteren kleinen namenlosen Pass. Zu meiner Verwunderung zieht die Straße hinter Saldes noch einmal für etwa fünf Kilometer leicht aufwärts, bevor sie endlich in steilen engen Kurven ins Tal des El Lobregat hinabführt.
Die letzten Kilometer zu meinem geplanten Etappenziel La Pobla de Lillet verlaufen fast ohne Steigung flussaufwärts. Der in der Karte dargestellte Campingplatz liegt leider nicht im Ort, sondern an der Straße, wo ich etwa eine halbe Stunde zuvor entlang gefahren bin. Zurückfahren habe ich jetzt keine Lust mehr.
Obwohl es schon spät geworden ist, lege ich noch einmal einen Zahn zu, um einen weiteren Pass zu überqueren. Die Straße ist teilweise rau und führt in vielen engen Kurven durch Kiefernwald auf und ab dem Pass entgegen.
In der tief stehenden Abendsonne erreiche ich den Coll de Merolla (1090 m). Die letzte Abfahrt des heutigen Tages macht Laune: viele Kurven, mäßiges Gefälle und kein Verkehr sorgen für eine entspannte Talfahrt. Kurz hinter Gombrèn gibt es einen Campingplatz, den ich ohne zu zögern ansteuere. Zeltaufbau und Kochen findet heute mal wegen der fortgeschrittenen Zeit im Licht der Taschenlampe statt.
Montag, 18.09. Gombrèn - Banyoles:
Die Nacht war herrlich ruhig. Gut ausgeruht stehe ich in aller Frühe auf und frühstücke die kläglichen Reste aus meiner Packtasche. Ich sitze bald auf dem Rad und rolle zur Einstimmung in den Tag zunächst einige Kilometer abwärts bis ich die Stadt Ripoll erreiche.
Ripoll ist ein geschäftiger Fleck. Bei der Durchfahrt habe ich einige Schwierigkeiten, den richtigen "Ausgang" nach Vallfogona zu finden. Nachdem ich den richtigen Weg entdeckt habe, geht es auch sogleich wieder aufwärts. Der Verkehr ist erfreulich schwach, die liebliche Hügellandschaft aus Siedlungen, Weiden und Wald motiviert meinen Tritt.
Hinter Vallfogona de Ripollès zieht die Steigung noch einmal etwas an und bringt mich hinauf zum Coll de Canes (1120 m). Kurz vor der Passhöhe kann ich weit im Westen noch ein letztes Mal den markanten zweigeteilten Gipfel der in der Morgensonne strahlenden Pedraforca wahrnehmen. Auf der Ostseite des Passes bekommt die Landschaft einen ganz anderen Charakter. Die Hügelketten laufen immer flacher in Richtung Küstenebene aus, das Meer ist nicht mehr weit.
Es folgt eine lange rauschende Abfahrt bis hinunter nach Olot, der Stadt im Naturpark der Garrotxa Vulkane. Unten im Tal ist es jetzt schon angenehm warm. Der Hunger treibt mich in den erstbesten Supermarkt, und das ist ein mir nicht unbekannter Lebensmitteldiscounter mit vier Buchstaben. Olot hat schon richtiges Stadtformat und weist eine schöne Altstadt auf. Hier suche ich mir einen ruhigen Platz und mache eine späte Frühstückspause.
Mit Beginn der Siesta verlasse ich Olot wieder. Leider bin ich nicht der einzige, zahlreiche Autos verlassen ebenfalls mit mir die Stadt, so dass der Weg auf die Höhen des Vulkanparks von unangenehm heftigem Verkehr begleitet wird. Bis Sta. Pau ist die Straße zudem breit ausgebaut, der Reiz des Radelns hält sich trotz interessanter Landschaft in Grenzen. Erst hinter Sta. Pau wird es interessanter. Ab dort führt eine schmale Straße mit wenig Verkehr auf und ab durch Wald bis Banyoles.
Es ist erst früher Nachmittag als ich den schön gelegenen See des Städtchens erreiche. Dort treffe ich einen weiteren Reiseradler, mit dem ich mich lange unterhalte. Meine Motivation, heute noch viel weiter zu fahren, ist gebremst, zumal ich nicht weiß, ob es in Girona überhaupt einen Campinglatz gibt. Banyoles gefällt mir außerdem von Lage und Stadtbild sehr gut, so dass ich entscheide, hier zu bleiben und meinen Ausflug nach Girona als Tagestour von hier aus plane.
Der Campinglatz liegt auf der anderen Seite des Sees und ist komfortabel, auch wenn die meisten Einrichtungen wie Swimmingpool, Bar und Laden bereits saisonbedingt geschlossen sind. Auf der Suche nach einem Supermarkt radle ich anschließend etwas ziellos durch die Stadt und stolpere unvorbereitet auf die traumhaft schöne arkadengesäumte Rambla der Stadt. Generell fällt mir auf, dass hier auffällig viele junge Familien und viele Kinder das Stadtbild prägen. Die demographische Struktur scheint hier ausgewogener zu sein als in der Heimat, was wiederum auf einen gesunden Wohlstand schließen lässt.
Das Meer ist nicht mehr fern, meine Tour nähert sich ihrem Ende. Etwas wehmütig bereite ich am Zelt mein Abendessen und freue mich auf einige entspannte Tage zum Abschluss.
Dienstag, 19.09. Banyoles - Girona - Banyoles:
Mitten in der Nacht beschließt der Hahn des Campingplatzes in offensichtlicher Unkenntnis der wahren Zeit den Morgen hartnäckig und geräuschvoll anzukündigen. Als es partout nicht hell werden will, sieht er seinen Irrtum anscheinend irgendwann ein und hält endlich den Schnabel.
Heute steht die Stadtbesichtigung von Girona auf dem Programm. Der Weg dorthin ist nicht allzu weit, daher starte ich den Tag gemächlich und frühstücke ausgiebig. Der Haken an der Sache ist, dass es leider keine kleine Nebenstraße nach Girona gibt, sondern nur die autobahnartig ausgebaute C 66. Aber immerhin ist dort das radeln erlaubt!
Ein komisches Gefühl ist es dennoch, besonders an den Aus- und Einfahrten sowie an dem Autobahnkreuz komme ich mir zwischen den Lastwagen etwas verloren vor. Der Rückenwind bläst mich aber mit nur wenig Tagesgepäck flott voran. Als ich das Tal des Ter erreiche, kann ich endlich auf den letzten Kilometern eine weniger befahrene Zufahrtstraße entlang des Ostufers in die Stadt nutzen.
Es dauert eine ganze Weile, bis ich die Grundstruktur der Stadt begriffen habe. Am Ostufer des Ter konzentrieren sich die engen Gassen der Altstadt am steilen Hang unterhalb der Kathedrale. Am Westufer des Ter liegt dagegen der großzügige modernere Teil der Stadt mit seinen großen Plätzen und Fußgängerzonen. Direkt am Flussufer bildet eine vielgestaltige pastellfarbene Fassadenfront den beiderseitigen Rahmen des Gewässers. Beide Seiten des Flusses werden durch mehrere Fußgängerbrücken miteinander vernetzt, so dass der Ter keine wirkliche Trennung der Stadt bewirkt.
Ich verbringe den Tag zusammen mit vielen anderen Touristen in der Stadt, laufe umher und genieße die Ausstrahlung der schönen Stadt. Am Nachmittag glaube ich genug gesehen zu haben und schwinge mich wieder auf mein Rad, um zurück nach Banyoles zu fahren.
Der Rückweg dauet etwas länger als der Hinweg, da es erstens tendenziell leicht aufwärts geht und ich außerdem jetzt den Wind von vorne abbekomme. Ich bin froh, dass ich den unangenehmen Streckenabschnitt über den Highway unbeschadet überstanden habe und bereite mir am Zelt ein köstliches Abendessen.
Mittwoch, 20.09. Banyoles - Figueres - Sant Pere Pescador:
Die Nacht ist lebhaft und spannend. Die Katzen randalieren die halbe Nacht lautstark umher. Als sich das Katzengejammer schließlich seinem Ende nähert, beschließt der hauseigene Hahn gegen halb drei vehement den noch recht fernen Morgen anzukündigen.
Trotz des nächtlichen Spektakels krabbele ich früh aus dem Schlafsack, denn ich habe heute ein umfangreiches Programm. Die heutige Etappe soll mich zum Zielpunkt meiner Reise, an die Costa Brava bringen. Ich bin mir allerdings noch nicht ganz sicher, ob ich das gut finden soll. Zum einen geht eine schöne Radtour zu Ende, zum anderen genießt der Küstenabschnitt ja nicht unbedingt den besten Ruf.
Der Morgen ist noch feucht und etwas neblig, doch die Sonne gewinnt bald die Oberhand. Kurz hinter Banyoles verlasse ich die stark befahrene Hauptstraße und radle zu meiner Überraschung auf einer verkehrsarmen und schönen Straße in Richtung Orriols. Die Straße führt ständig auf und ab, Wald, Landwirtschaft und kleine Dörfer prägen diesen Abschnitt.
Erst nachdem ich die Autobahn gequert habe, hat die Straße wieder einen autobahnähnlichen Ausbaustandard, um die Touristenmassen komplikationslos an den Teutonengrill zu spülen. Dafür geht es jetzt flott der Küste entgegen. Die Straße ist ab hier in auffälliger Weise mit Prostituierten gesäumt, die auf Kundschaft warten - der Wirtschaftsfaktor Tourismus lässt grüßen!
Gegen Mittag erreiche ich den Vier-Sterne-Campingplatz an der Küste. Die Ausstattung zählt zweifellos zu der gehobenen Kategorie, die Preise allerdings auch. Die Anlage ist fest in deutscher und holländischer Hand. Mein Zelt habe ich schnell errichtet und das Gepäck darin verstaut.
Anschließend mache ich mich mit leichtem Gepäck auf nach Figueres, um dem Teatre Museu Dali einen Besuch abzustatten. Landschaftlich ist diese Gegend wenig anregend: topfebenes Schwemmland, intensiver Obstanbau und gesichtslose Touristenorte behagen mir wenig. Dafür schiebt mich strammer Rückenwind zügig auf der Schnellstraße nach Figueres.
Das Dali-Museum finde ich schnell, die schräge Architektur ist nicht zu übersehen und liegt am Rand der Altstadt. Das Haus ist allerdings ziemlich voll mit Besuchergruppen. Die Ausstellungsräume sind teilweise eng, so dass das Betrachten der Bilder und Installationen kaum ungestört möglich ist. Erst etwas später am Nachmittag entspannt sich die Besucherintensität etwas. Besonders gefallen mir die optischen Täuschungen, mit denen der Meister hier seinen genialen Schabernack treibt. Ein anschließender Rundgang durch Figueres Altstadt beendet meinen Kurzbesuch hier.
Die Rückfahrt zum Strand dauert nun gegen den Wind etwas länger als die Tour hier her. Vor Einbruch der Dunkelheit bin ich wieder am Camp, kaufe mir im platzeigenen Supermarkt etwas zum Essen und beschließe den Abend zusammen mit zahlreichen nervigen Mücken.
Donnerstag, 21.09. Sant Pere Pescador - Cadaquès - Sant Pere Pescador:
Mein letzter Radeltag bricht an. An dem langweiligen Strand von Sant Pere Pescador hält mich nicht viel. Ich nutze den Tag, um die bergige Halbinsel zu erkunden, die sich nördlich an den Golf de Roses anschließt. Das Wetter ist gut, es ist nicht zu heiß und etwas windig.
Der Weg durch die Küstenebene bis Vilajuiga verläuft teilweise auf ruhigen Nebenstraßen. Ich komme mit nur wenig Tagesgepäck zügig voran. Hinter Vilajuiga zieht ein herrliches Bergsträßchen in vielen Kurven und mit tollen Ausblicken auf Bucht und Hinterland empor.
Unweit des 670 m hohen Sant Salvadores, des höchsten Berges der Halbinsel, liegt das Kloster Monestir de Sant Pere de Rodes. Von dem alten Gemäuer habe ich einen traumhaften Ausblick auf die nördlich angrenzende Côte Vermeille und dem ins Meer auslaufenden Pyrenäen-Hauptkamm. In der Höhe hat der Wind gut zugelegt und es wird frisch.
Das Rad lasse ich am Kloster stehen und steige einen steilen Pfad durch die dichte Garrigue zur Ruine auf dem Gipfel hinauf. Der Wind bläst mich am Gipfel fast um. Dafür ist der Ausblick auf den tief unten in einem weiten Bogen verlaufenden Golf de Roses beeindruckend.
Am Fuße des Sant Salvadore liegt auf dessen Nordseite das weiße Dorf El Port de la Selva. Es ist zwar etwas diesig heute, dennoch hat das Motiv durchaus Postkartenqualität: die weißen Häuser kontrastieren ebenso mit dem blauen Meer wie die weißen Wolken, die unter dem blauen Himmel dahin ziehen. Das kurvenreiche Band der Straße, welches hinabführt nach El Port, ist vom Gipfel gut erkennbar und steigert meine Vorfreude auf die Abfahrt. Die entpuppt sich dann auch als wahrer Leckerbissen, mit dem ich so nahe an der Costa Brava gar nicht gerechnet habe.
Als ich nach rauschender Abfahrt den Fischerort El Port de la Selva erreiche, sind allerdings schon die "Bürgersteige hochgeklappt", es ist Siesta. Der Fremdenverkehr und die Fischereiwirtschaft scheinen hier gleichermaßen strukturbestimmend zu sein. Die Lage des Ortes in der geschützten Bucht ist für den Hafenbetrieb natürlich gut.
Nach kurzer Rast am Hafen zieht es mich bald weiter, ich habe noch einige Kilometer vor mir. Ich verlasse den Küstenort und radele an der Talflanke aufwärts, bis ich auf der Höhe von etwa 250 m den Rücken der Halbinsel erreicht habe. Von hier führt die Straße mit mäßigem Gefälle direkt nach Cadaquès hinab. Cadaquès scheint beliebt bei Besuchern zu sein, wie der lebhafte Verkehr und die großen Parkplätze am Ortsrand signalisieren.
Die Fischerei scheint hier keine große Rolle mehr zu spielen, Strand und Promenade sind fest in der Hand des Tourismus. Dennoch hat der schön am Strand gelegene Ort Charme. Die weißen Häuser drängen sich dicht gedrängt am Hang um die Bucht. Auf dem Wasser dümpeln zahlreiche Boote auf den Wellen. In Cadaquès endet die in meiner Karte dargestellte Straße. Von hier soll laut Karte nur noch ein unbefestigter Weg um den südlichen Teil der Halbinsel herum führen.
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich mich auf den Versuch einlassen soll. Die Zeit ist schon fortgeschritten, die Angaben über die Wegeführung in den Karten sind wenig verlässlich. Sollte ich den Weg nicht finden, müsste ich den gesamten Weg zurückradeln, das würde dann sehr spät.
Am südlichen Ende des Ortes endet die Straße am Wasser, dort geht's nicht weiter. Ein steiler ruppiger Pfad führt kurvenreich den Hang hinauf. Ein verwitterter Radwegweiser lässt erahnen, dass dieser Weg nicht irgendwo im Nichts endet. Mangels alternativer Möglichkeiten versuche ich mein Glück mit diesem Weg.
Der Pfad ist zunächst ziemlich steil, der grobe Schotter macht den Anstieg zum Eiertanz. Tritt für Tritt gewinne ich an Höhe, bis ich etwa wieder die 200 m Höhenmarke erreiche. Hier oben bessert sich die Qualität des Weges und das Rad lässt sich wieder gut manövrieren. Der Ausblick reicht über die Bucht von Cadaquès bis zum nördlich gelegenen Cap de Creus.
Die nächsten Kilometer auf halber Hanghöhe sind etwas für Genießer. Hoch über dem Meer führt der Fahrweg ohne große Höhenunterschiede weiter um die Halbinsel herum. Auf der aussichtsreichen Strecke bin ich mutterseelenallein. Nach fünf Kilometern wird mir klar, warum hier sonst niemand fährt: Eine massive Schranke verhindert die Weiterfahrt für motorisierte Fahrzeuge.
Für das Fahrrad stellt die Schranke jedoch kein Hindernis dar. Nachdem ich das Rad hinüber gehoben habe, gelange ich an eine Wasserquelle. Das passt gut, denn meine Flasche ist fast leer. Nach einem kurzen Erfrischungsstopp führt der Fahrweg abwärts zu einer Bucht. Dort signalisieren mir ein paar Autos, dass der Weg Anschluss an das Straßennetz hat.
Der Weg bis zur Stadt Roses ist allerdings noch weit. Einige Buchten und Höhenrücken muss ich noch überqueren, bis ich wieder in der Zivilisation bin. Hier in der geschäftigen Stadt Roses kaufe ich Proviant ein und düse anschließend im flotten Tempo bei Rückenwind zurück nach Sant Pere.
Erst spät erreiche ich nach einem tollen Abschlusstag auf dem Rad den Zeltplatz. Zu meiner Überraschung hat dort Manni, der Koch von "Sausewind", zuviel Essen gekocht für seine Reisetruppe. Mit mir findet er einen dankbaren Abnehmer für seine kulinarischen Köstlichkeiten. Den Rest des fortgeschrittenen Abends verbringe ich mit einigen Mitgliedern der Reisetruppe und tausche Reiseerlebnisse aus.
Freitag und Samstag, 22.-23.09. Sant Pere Pescador - Oldenburg (Bus):
Heute ist Abreisetag. Das Wetter ist trübe und der Zeitpunkt für die Heimreise scheint richtig zu sein. Da ich jetzt viel Zeit habe, lasse ich die Packaktion meiner Ausrüstung langsam angehen. Außerdem muss ich warten, bis der Tau abgetrocknet ist.
Gegen Mittag bin ich soweit, dass ich mein Rad mitsamt Gepäck im "Sausewind"-Bus bzw. auf dem Anhänger verstauen kann. Das Packsystem für die Räder ist gut durchdacht. Jedes Rad bekommt im Anhänger einen stabilen gepolsterten Überzieher, Fixierstangen gewährleisten einen sicheren Transport.
Pünktlich mit einsetzendem Regen startet der Bus am Nachmittag zu seiner langen Reise zurück nach Alemania. Die Rückreise findet heute ausnahmsweise einmal unter umgekehrten Vorzeichen statt, denn Norddeutschland lockt mit unglaublichen 27° und reichlich Sonne.
Der Bus ist zum Glück nicht voll besetzt, so dass ich es halbwegs bequem habe und die lange Reise gut überstehe. Außerdem verwöhnt uns Truppenkoch Manni im Bus mit diversen Köstlichkeiten. Wir fahren die Nacht durch und erreichen im Morgengrauen Luxemburg.
24 Stunden nach der Abfahrt in Katalonien erreiche ich Oldenburg und freue mich, dass die Wetterprognose für die Heimat stimmt. Dennoch kann das Sonnenwetter die Tatsache nicht verhehlen, dass nun unweigerlich der trübere Teil des Jahres folgen wird.
Mein Trost: Nach der Tour ist vor der Tour…
Zusammenfassung:
Zum Ende der Saison gönne ich mir eine dreiwöchige Radtour in mediterrane Gefilde. Der Fahrradbus bringt mich zur Mündung der Ardèche ins Rhônetal. Von dort starte ich meine Radtour westwärts durch hügeliges Land in die Cevennen. Dieser faszinierende und dünn besiedelte Landstrich wird der erste Schwerpunkt meiner diesjährigen Radreise. Hier treffe ich mich mit Freunden und genieße fast eine Woche lang Wärme, einsame Bergsträßchen, tiefe Schluchten, den Mt. Aigoual und die Causses, die Karsthochflächen.
Mit dem Rad folge ich anschließend dem Flusslauf des sanfter werdenden Tarn. Ich überquere mit dem Haute Languedoc und den Montagne Noir die südlichen Ausläufer des Zentralmassives und erreiche nahe Carcassonne die betriebsame Senke des Midi. Hier herrschen immer noch hochsommerliche Bedingungen.
Durch die Vorberge der Pyrenäen gelange ich über schöne Passstraßen bis in das Tal der oberen Garonne. Hier macht der Sommer leider erst einmal Pause und ich sitze im Dauerregen fest. Mit etwas Glück erwische ich jedoch bald eine Regenlücke und verlasse Frankreich über den 2072 m hohen Port de la Bonaigua.
Katalonien ist insgesamt geschäftiger als die Cevennen, kleine Bergsträßchen sind rarer geworden, stattdessen glänzen hier viele Straßen mit einem EU-kompatiblen Ausbaustandard. Dennoch finde ich auch hier einige herrliche Streckenabschnitte, vor allem die Serra de Cadi verdient eine besondere Würdigung.
Ostwärts fahrend nähere ich mich bei niedriger werdenden Bergen der katalanischen Küste. Von der schönen Kleinstadt Banyoles unternehme ich eine Tagestour ins historische Girona.
Schließlich erreiche ich nach insgesamt drei Wochen den Golf de Roses und besuche von dort die Stadt Figueres mit seinem berühmten Dali Museum. Die letzte Tagestour mit dem Rad führt mich auf die bergige Halbinsel des Parc Natural de Cap de Creus mit seinen den weißen Küstendörfern.
Copyright: Oliver Lange, Oldenburg (2007)