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Freitag, 15.09. St. Beat - Sort:

Irgendwann in der Nacht muss der Regen aufgehört haben. Als ich am Morgen aus dem Fenster blicke, sieht der Himmel zwar immer noch sehr ungemütlich aus, aber es ist zumindest trocken von oben. Meine durchweichten Klamotten sind in der Nacht auch weitgehend abgetrocknet, so dass sich meine Laune bessert. In mir keimt die Hoffnung auf, dass es heute vielleicht möglich sein sollte rüber zu radeln nach Spanien. Ein Versuch ist es allemal wert. Das heißt, dass ich zunächst versuchen werde die spanische Grenze in rund 15 Kilometern Entfernung zu erreichen. Von dort gibt es notfalls den Bus, mit dem ich weiter fahren könnte, falls es wieder anfangen sollte zu regnen.

Draußen ist alles noch nass und entsprechend kühl. Zaghaft und mit einem mulmigen Gefühl verlasse ich St. Beat auf der Route Nationale gen Südosten. Zum Glück gibt es hier nicht soviel Verkehr wie befürchtet. Ich komme zügig auf der Straße voran, die mit schwacher Steigung der reichlich Wasser führenden Garonne flussaufwärts folgt. Die spanische Grenze habe ich bald trockenen Fußes erreicht, das Wetter scheint vorerst zu halten.

Die spanischen Orte nahe der Grenze sind geprägt von Tankstellen und Läden, in denen es bestimmte Waren billiger zu kaufen gibt als im nahen Nachbarland Frankreich. Da ich keinen Schnaps oder billige Zigaretten benötige, radele ich ohne Pause weiter und erreiche im Val d'Aran schon bald mit Vielha die erste größere spanische Ortschaft. Hier dominiert im Winter offenbar der Skitourismus, wie sich anhand der Infrastruktur mit Hotels, Restaurants, und einer regen Bautätigkeit unschwer ablesen lässt. In Vielha mache ich kurz Pause, um danach die lange Auffahrt zum höchsten Punkt meiner Tour, dem Port de la Bonaigua zu wagen. Von oben scheint es trocken zu bleiben.

Das Tal ist wie auch bereits Vielha vom Skizirkus der unangenehmen Art geprägt. Die Ortschaften sind mittlerweile alle aus ihren historischen Fugen geraten. Hotels in öder Einheitsarchitektur prägen das Bild, auch wenn die Architekten bisweilen versucht haben, den trostlosen Eindruck durch die Verwendung von Satteldächern oder regionaltypischen Baustoffen zu kaschieren. Die Größe und Dominanz der massiven Baukörper allein ist schon eine Beleidigung für mein Auge.

Ausbaustandard und Trassenverlauf der Straße passen da gut ins Gesamtbild und sind für die Bewältigung gewaltiger Fahrzeugmassen zur Wintersaison konzipiert. Überdies ist gut die Hälfte des Straßenabschnittes bis Baqueira eine Grossbaustelle. Verkehr gibt es hier überraschend reichlich. Autos und Motorräder rasen mit hoher Geschwindigkeit das Hochtal hinauf und hinab.

Der letzte und damit höchste Ort im Tal, Baqueira, ist gerade dabei seine Siedlungsfläche locker zu verdoppeln. Hier pflegt angeblich der spanische König mit seinem Gefolge regelmäßig seinen Winterurlaub zu verbringen. Und in seinem Glanze sonnen sich der Jetset und die Paparazzi ja bekanntlich besonders gern. Nur schade, dass ein derartiger Rummel immer gleich verheerende Folgen für das Stadt- und das Landschaftsbild haben muss.

Dieses Tal und seine Siedlungsstruktur öden mich ziemlich an und ich radele zügig weiter, um zum Pass hinauf zu gelangen. Hinter Baqueira lässt der Verkehr zum Glück stark nach. Der weitere Straßenverlauf ist zunächst noch bei maximal 7 % Steigung wie eine Rennstrecke ausgebaut, den Motorradfahrern gefällt das anscheinend. Die letzten Kilometer zum Pass hinauf haben dann endlich wieder vertraute Dimensionen. Die dann wieder schmale Straße windet sich in zahlreichen Kurven weiter aufwärts. Wie lange wird es wohl noch dauern, bis die Bagger auch diesen Rest einer echten Passstraße glatt gebügelt haben?

Hier oben kommt wieder echtes Bergfeeling auf. Die Passhöhe ist schon erkennbar, als von Südwesten die erste Schauerstaffel des heutigen Tages naht - ausgerechnet hier oben, das kann ja heiter werden! Es ist mittlerweile auf über 2000 m Höhe ziemlich kalt, der eisige Wind verheißt nichts Gutes. Noch bevor ich die Passhöhe des Port de la Bonaigua (2072 m) erreicht habe, erwischt mich der Schneeregenschauer. Unter einem zugigen Dach suche ich Schutz vor dem waagerecht niedergehenden Schneeregen und wechsele meine nass geschwitzten Klamotten gegen warme trockene Kleidung.

Ich halte mich nicht lange auf sondern starte, bevor ich völlig auskühle, die Abfahrt. Mit klammen Fingern rolle ich zunächst noch auf kurvenreicher Strecke abwärts. Die Kälte beißt. Weiter unten ist die Straße wieder wie eine Autobahn ausgebaut, und ich kann das Rad ungebremst mit hoher Geschwindigkeit rollen lassen. Die Abfahrt dauert endlos lange, mit abnehmender Höhe wird es aber auch spürbar wärmer, und die Wolken werden weniger.

Als ich den Talgrund erreicht habe, scheint sogar die Sonne wieder, das motiviert! Ziemlich ausgekühlt radele ich noch einige Kilometer in voller Wintermontur weiter, um wieder auf Betriebstemperatur zu kommen. In La Guingueta lege ich am See eine Pause ein, ziehe meine Winterklamotten aus und lege mich in die wärmende Sonne. Das ist ein unglaubliches Gefühl nach dem üblen Wetter der vergangenen Tage!

Der Rest der heutigen Tour verläuft fast wie von selbst. Durch das enge Tal des La Noguera führt die Straße stetig weiter abwärts. Dieser Flussabschnitt erfreut sich bei Wildwasserfreunden einer großen Beliebtheit. Nach einem langen Tag auf dem Rad erreiche ich Sort, kaufe Proviant und bereite auf dem Zeltplatz mein Nachtlager. Hier ist nicht mehr viel los, außer mir sind nur wenige Übernachtungsgäste auf dem schattigen Platz.

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