Dordogne und Pyrenäen

 

Auf den Spuren der Tour de France

 

Vorbemerkung:

 

Der Sommer naht. Damit steigt bei mir unweigerlich das Bedürfnis endlich wieder mit dem Rad auf Tour zu gehen. Zunächst steht Südschweden auf dem Programm. Dieser Plan muss jedoch wegen unpassender Konkurrenztermine verschoben werden.

 

Maria’s Anruf vom Reiseunternehmen Natours offenbart aber schon bald ein äußerst viel versprechendes Alternativreiseziel: die Dordogne! Natours hätte gerne neue Fotos für’s Archiv, und solche Gefälligkeiten machen Spaß. Natours wird mit einer Truppe urlaubsreifer Zeitgenossen zum radeln, paddeln und wandern an die Dordogne reisen. Ich kann ein paar Tage dabei sein und werde versuchen, etwas von der lieblichen Landschaft und von den Aktivitäten der Reisegruppe fotografisch in Szene zu setzen.

 

Und wenn ich schon mal im gelobten Radelland bin, reizt mich ein weiteres spannendes Ziel: die Pässe der Pyrenäen. Wie es der Zufall will, wird sich der Tross der Tour de France genau zu der Zeit durch die Berge wälzen. Das ist Grund genug, meine Tour so zu planen, dass ich die schnellen Jungs auch mal live erlebe.

 

Der geplante Reisetermin bereitet mir jedoch auch leichtes Stirnrunzeln. Mitten im Sommer, das heißt: halb Europa ist auf Reisen, die Strassen sind voll und die Temperaturen können durchaus schweißtreibend werden. Letztlich zerstreue ich meine Bedenken und die Tour kann losgehen…

   

 

Montag, 11.07. Busfahrt Oldenburg – Creysse:

 

Montagnachmittag geht’s los. Wie immer startet der Natours-Bus in Osnabrück. Die Räder werden im Anhänger so sicher transportiert wie rohe Eier. In Dortmund, Köln und Trier sammeln wir die übrigen Reisegäste ein, dann ist die Truppe vollzählig.

 

Im gemächlichen Reisetempo schaukeln wir unserem Ziel entgegen. Im Bus werden erste Kontakte geknüpft. Der eine oder die andere waren schon mal an der Dordogne, deren Erzählungen steigern die Vorfreude. Ein Teil der Bussitze wird für die Nacht zur Liegefläche umgebaut. Das Platzangebot in den „Betten“ ist jedoch eher etwas für Kleinwüchsige. Als zwei-Meter-Mann bevorzuge ich einen der geräumigeren Sitzplätze für die Nacht.

 

 

Dienstag, 12.07. Creysse:

 

Nach langer Fahrt erreichen wir morgens gegen 10 Uhr das Camp im Dordognedorf Creysse. Das Wetter ist bestens, sonnig und heiß. Cornelia, Köchin unserer Truppe, ist bereits vorher angereist und empfängt uns mit einem üppigen Frühstück. Das erste Baguette schmeckt immer am besten!

 

Da außer der „Feldküche“ noch nichts steht ist, heißt es nach dem Frühstück: Zelte aufbauen! Alle packen mit an, so dauert es nicht lange, bis die geräumigen Zelte mitsamt Matratzen, Stühlen und Tischen bereit stehen und bezogen werden können. Mittlerweile treibt uns die Mittagshitze den Schweiß aus den Poren. Abkühlung gibt’s gleich nebenan: das glasklare Wasser der Dordogne lockt. Der Campingplatz hat einen eigenen Zugang zum Fluss, hier lässt sich vortrefflich baden.

 

Da wir eine ganze „Flotte“ eigener Kanus zur Verfügung haben, klärt uns Dietmar, Chef der Truppe, gleich über die richtigen Paddeltechniken auf. Richtige Körperhaltung, Bogenschlag, an- und ablegen sollen zunächst mal als theoretische Grundlage reichen - die legendäre Eskimorolle ist eher etwas für Fortgeschrittene. Der beste Lehrmeister heißt: learnig by doing! Also schieben wir die Kanus ins klare Wasser und wagen eine erste kleine Tour. Der Fluss fließt träge und wir schaffen es, ein ganzes Stück gegen die Strömung flussaufwärts zu paddeln. Die Kulisse ist standesgemäß: Klarer kühler Fluss, dichte Ufervegetation, senkrechter Fels, aus der Ferne grüßt ein kleines Schlösschen von der Anhöhe, über allem wölbt sich der blaue Himmel – so schön kann Urlaub sein!

 

Der erste Tag verfliegt schnell, ankommen und genießen heißt die Devise des heutigen Tages. Damit das auch richtig klappt, hat Cornelia am Abend für uns in ihrer „Feldküche“ ein Mahl zubereitet, nach dem ich mir noch lange die Finger schlecke. Zwei, drei Gläschen Rotwein genehmige ich mir noch, dann bin ich reif für den Schlafsack…        

 

 

Mittwoch, 13.07. Creysse:

 

Am Morgen ist die lange Nachtfahrt vom Vortag vergessen, nun bin ich ganz hier angekommen. Die gestrige Schnuppertour mit dem Kanu hat Lust gemacht auf mehr. Beim gemeinsamen Frühstück entscheiden wir uns für eine Paddeltour auf dem Fluss.

 

Da wir nicht alle in den Kleinbus passen, radelt ein Teil der Truppe die etwa 15 Kilometer flussaufwärts bis Fiorac zum Startpunkt unserer Paddeltour. Die Strecke ist schön zu fahren, und ich erinnere mich an meine Tour vor zehn Jahren, wo ich diesen Teil Frankreichs bereits mit dem Rad besucht hatte.

 

Dietmar hat derweil den Rest der Truppe und die Boote zum vereinbarten Treffpunkt gebracht. Die Plätze in den Booten sind rasch verteilt, und wir finden uns bald alle in der Flussmitte treibend wieder. Die Dordogne macht’s uns wirklich leicht: Die Strömung zieht uns langsam aber stetig in die richtige Richtung, der Fluss ist breit und macht uns so das Manövrieren leicht. Die Sonne brennt, Wasser ist reichlich vorhanden, und so treiben wir mal paddelnd, mal schwimmend durch eine Bilderbuchlandschaft flussabwärts.

 

Im Laufe der Tour passieren wir einige kurze Gefällestrecken, wo das Wasser etwas kabbelig wird. Technisch anspruchsvolle Wildwasserstrecken sucht man hier aber vergebens, die Dordogne ist ein leichter „Familienfluss“. Dennoch schafft es eine Bootsbesatzung, ihr Kanu an einer solchen Gefällestrecke quer zur Strömung zu bringen. Das Ergebnis ist eine unfreiwillige halbe Eskimorolle - shit happens! Bei den herrschenden hochsommerlichen Temperaturen ist das aber nicht allzu dramatisch, die Klamotten trocknen schnell. Auf dem Fluss herrscht reger Verkehr, die Dordogne ist hier fest in Paddlerhand.

 

An schönen Kiesbänken halten wir an und machen Badepause. An zahlreichen Stellen im Fluss blüht jetzt der flutende Hahnenfuss und belegt die Wasseroberfläche mit seinem weiß-gelben Schimmer. Am späten Nachmittag erreichen wir nach einem erholsamen Paddeltag wieder unser Camp.

 

Die Infrastruktur im kleinen Dorf Creysse ist nur sehr rudimentär. Die nächsten Einkaufsmöglichkeiten bietet die Kleinstadt Martel, und dahin sind es fünf Kilometer stetig bergauf! Nachdem die Hitze des Tages etwas nachgelassen hat radeln Mareike und ich dort hinauf und erledigen einige notwendige Einkäufe. Die anschließende Talfahrt zurück nach Creysse an diesem Sommerabend ist Genuss pur. Zum Abschluss des Tages hat Cornelia am Camp bereits ein köstliches Menü für alle gezaubert – ein echtes „Komfortcamp“ eben!      

 

 

Donnerstag, 14.07. Creysse – Hopital St. Jean – Creysse:

 

14. Juli – heute ist Frankreich’s Nationalfeiertag. Wir zeigen uns als Allemannen erstmal unbeeindruckt davon und beschließen, die nähere Umgebung mit den Rädern zu erkunden. Das ist von der Logistik her nicht ganz ohne: 23 Radler und ein Großteil Leihfahrräder müssen erstmal kompatibel gemacht werden.

 

Nach langem Geschraube und viel Justiererei kommen wir schließlich auf die Piste. Es dauert nicht lange, da haben wir bereits den ersten Plattfuss. Nach dem ersten Zwangsstopp nähert sich die hochmotivierte Truppe der ersten nennenswerten Steigung. Bei mittäglichen Temperaturen jenseits der 30°C-Marke kommt der Kreislauf schnell in Wallungen, der Schweiß fließt in Strömen.

 

Diese erste Hürde ist jedoch kein ernstes Hindernis, und wir erreichen schließlich das Städtchen Martel. Hier sind die Feierlichkeiten zur Grande Nation bereits in vollem Gange. Schmissige Marschmusik und die örtliche Trachtenkapelle sorgen für ein angemessenes Ambiente. Wir lassen es locker angehen, machen ausgiebig Pause in Martel und erfreuen uns in dem gemütlichen Ort. 

 

Die weitere Tour führt uns auf wenig befahrener Nebenstrecke im hügeligen Gelände durch lichten Wald bis nach Hopital St. Jean. Ein Verein kümmert sich dort um eine alte Ölmühle, die restauriert wurde und bei Bedarf in Betrieb ist. Die zahlreichen Walnüsse, die in der Umgebung geerntet werden, werden dort gemahlen und zu aromatischem Öl verarbeitet.  

 

Der Rückweg führt uns über Cuzance-Baladon zurück nach St. Sozy ins Dordognetal. Die Wege sind wenig befahren und zum Radfahren bestens geeignet. Mareike, Katharina und ich legen einen Zahn zu und kommen, im Windschatten fahrend, schnell zurück zum Fluss.

 

Zum Abschluss dieses heißen Tages gönnen wir uns ein erfrischendes Bad im Fluss. 

 

 

Freitag, 15.07. Creysse – Cahors:

 

Ich habe in den vergangenen Tagen genügend Fotos gemacht, so dass ich heute guten Gewissens abreisen kann. Nach dem gemeinsamen Frühstück verabschiede ich mich von der Truppe. Es ist noch nicht zu heiß. Nach wenigen Kilometern verlasse ich das Tal der Dordogne südwärts. Auf menschenleerer Piste radele ich hinauf auf die Hochfläche. Gegen Mittag erreiche ich den spektakulär in einem steilen Tal gelegenen Pilgerort Rocamadur mit seinem großen Kloster.

 

Der weitere Weg bis Labastide-Murat wird anstrengend: Die schmale Piste windet sich steil durch karges und zerklüftetes Land. Die Mittagshitze lässt den Schweiß strömen. Hinter Labastide-Murat ändert sich die Landschaft. Durch ein waldreiches Tal führt mich die Strasse lange abwärts, bis ich schließlich das Tal des Lot erreiche.

 

Die letzten Kilometer bis zur Stadt Cahors sind nicht so spannend, das Tal ist hier weit und die Strasse ist stärker befahren. Am Nachmittag erreiche ich Cahors und beschließe hier zu bleiben. Für den ersten Tag bin ich heute genug geradelt.

 

Ich mache ein paar Besorgungen in der schönen Stadt und baue mein Zelt auf dem örtlichen Campingplatz auf. Der Tag geht heiß zu Ende, der Abend bleibt schweißtreibend.     

 

 

Samstag, 16.07. Cahors – Astafford:

 

Nach einer warmen Nacht stehe ich früh auf und radele bald los. Bevor ich jedoch Cahors verlasse, mache ich einen kurzen Abstecher zur Pont Valentreau, der wohl berühmtesten Stadtbrücke über den Lot mit ihren charakteristischen Türmen.

 

Die Ausfallstrasse nach Süden führt durch ausgedehnte Gewerbegebiete und ist auch wegen des starken Verkehres nicht sehr reizvoll. Das ändert sich jedoch am Ortsausgang. Dort schlängelt sich eine schmale Strasse aus dem Tal empor bis Labastide-Marnhac. Ab hier folge ich eine ganze Weile dem Tal des Leudon. Über Lauzerte gelange ich in das Tal der Séoune. Sonnenblumenfelder, Mais- und Tabakanbau sowie kleine Höfe prägen diesen beschaulichen Abschnitt.

 

Ich erreiche am Nachmittag Agen im Garonnetal. Mittlerweile ist es wieder sehr heiß geworden, und ich fülle meine Wassertanks wieder auf. Leider gibt’s hier keinen Campingplatz. Der nächste befindet sich 20 Kilometer südlich in Astaffort. Da ich heute unbedingt eine Dusche brauche, fahre ich weiter. Auf flacher Strecke erreiche ich bald die kleine Stadt. Der Campingplatz liegt am Bach neben dem Sportplatz und ist sehr schlicht. Die Dusche funktioniert und das ist heute die Hauptsache. Ich bin ziemlich groggy und verkrieche mich früh ins Zelt.  

 

 

Sonntag, 17.07. Astaffort – Marciac:

 

Ich verlasse Astaffort in der Frühe. Das Land ist hügelig, der Weg führt mich durch abgeerntete Weizen- und Sonnenblumenfelder. Gegen Mittag erreiche ich ein verschlafenes Städtchen mit dem irreführenden Namen Condom. Wer oder was hier verhütet werden soll oder wie der Flecken zu seinem Namen kam, ist mir während meines Aufenthaltes aber verborgen geblieben.

 

Nach kurzer Pause und einigen leckeren Schweinereien aus der Bäckerei geht die Reise weiter. Hinter Condom wird das Gelände allerdings anspruchsvoller. Hier scheint es keinen ebenen Meter zu geben. Die Anstiege sind kurz aber heftig. Die Gegend wirkt etwas rückständig, die Höfe und kleinen Weiler haben offenbar schon bessere Zeiten gesehen, die Bausubstanz ist nicht die beste.

 

Zum Abschluss des Radeltages werde ich mit einer flotten Abfahrt von Mascaras nach Marciac belohnt. Marciac hat einen schön gelegenen Campingplatz, auf dem ich für die Nacht mein Zelt aufbaue. Dieser Teil Frankreichs liegt abseits der Urlauberströme. Obwohl wir uns in der Hauptreisezeit befinden, ist es hier ursprünglich und ruhig geblieben.   

 

 

Montag, 18.07. Marciac – Pau/Lescar:

 

Heute ist es nicht mehr allzu weit bis Pau. Die Strecke ist schön und nicht ganz so anstrengend wie die vom Vortag. Das Gelände bleibt bewegt. In den Tallagen dominieren Mais- und Weizenanbau, auf den Höhen dagegen kleinere Wälder.

 

Kurz vor Pau treffe ich auf die ersten Vorboten der diesjährigen Tour de France. Heute hat die „Tour“ Ruhetag, und der ganze Zirkus rastet in Pau. Auf gerader Strecke kommt mir im flotten Tempo ein Begleitfahrzeug der Tour de France mit Warnblinklicht entgegen. An der hinteren Stossstange „klebt“ im Windschatten des Fahrzeuges ein offenbar ziemlich gut trainierter Radler. Da hätte ich mit meinem voll beladenen „Trecker“ wohl nicht den Hauch einer Chance dran zu bleiben. Kurze Zeit später kommt mir das gesamte Team „Gerolsteiner“ auf Trainingsfahrt entgegen – von wegen Ruhetag!

 

Ich erreiche schließlich Pau am Fuße der Pyrenäen. Hier steht alles im Zeichen der Tour de France. Überall in der Stadt trifft man auf die zahlreichen Begleitfahrzeuge der Tour. Mittlerweile hat sich der Himmel allerdings bedrohlich zugezogen. Als ich am aussichtsreichen Boulevard de Pyrenées ankomme, öffnet der Himmel seine Schleusen und lässt ein ergiebiges Sommergewitter auf Stadt niederprasseln. Ich orientiere mich und besorge mir in der Tourist Information die nötigen Unterlagen für den genauen Streckenverlauf der morgigen Tour de France-Etappe.

 

Der Campingplatz in der Stadt ist leider ausgebucht. In Lescar, einem Vorort von Pau, soll es aber noch Platz auf dem dortigen Campingplatz geben. Der Weg dorthin ist allerdings wenig erbaulich. Aus der Stadt führt die stark befahrene Ausfallstrasse durch endlose Gewerbegebiete vorbei an üppig dimensionierten Shoppingcentern, der Tribut an die automobile Gesellschaft.

 

Der Platz liegt schön am Ufer der Gave de Pau. Auch dieser Platz ist gut belegt, viele Gäste sind wegen der Tour de France gekommen. Das Wetter sieht allerdings nicht sehr vertrauenerweckend aus. Diverse Regenschauern gehen im Laufe des späten Nachmittages nieder.  

 

 

Dienstag, 19.07. Lescar – Pau – Lescar:

 

Heute ist „Tour de France“ Tag! Eine Bergetappe steht auf dem Programm. Von der Nachbarstadt Mourenx führt die heutige Etappe hinauf in die Pyrenäen und am Nachmittag wieder zurück nach Pau. Ich habe also genug Zeit, um mir in der Stadt einen geeigneten Punkt zu suchen, von wo ich das Renngeschehen verfolgen kann.

 

Die Vorbereitungen zur Herrichtung  der letzten drei Kilometer durch die

Innenstadt laufen bereits auf Hochtouren. Überall werden die Absperrungen und Werbebanderolen angebracht.

 

Am Place de Verdun, dem heutigen Zieleinlauf, sind Heerscharen von Tourbegleitern damit beschäftigt, das Rahmenprogramm und den Endspurt vorzubereiten. Das Ganze erinnert mich eher an eine riesige Kirmes als an ein Radrennen. Die Materialschlacht ist beeindruckend, der Platz ist überfüllt mit Lastwagen, Bussen und Transportern aller Art. Mobile Büros für die Rennleitung und eine mobile Tribüne sind am Zieleinlauf errichtet. Musik dröhnt aus Partytrucks, aufdringliche Werbebotschaften sind allgegenwärtig. Über allem steht ein Großbildschirm, auf dem später die Tour live präsentiert werden wird.

 

Das Wetter ist prächtig, die Stimmung gut, die Stadt steht jetzt ganz im Zeichen der Tour. Ab Mittag geht in der Stadt gar nichts mehr – die Polizei riegelt alles ab für das Peloton und die offizielle Werbekarawane, die ab 15.30 Uhr erwartet werden. Unterhalb des Casinos suche ich mir an der letzten Steigung vor dem  Ziel einen guten Platz. Hier ist das Licht zum Fotografieren gut und ich hoffe, dass die Jungs wegen der Steigung vielleicht nicht ganz so schnell vorbei rauschen.

 

Wie angekündigt, rollt gegen 15.30 Uhr eine nicht enden wollende Werbekarawane heran. Aggressive Animation mit dröhnender und aufpeitschender Musik soll das Volk in Wallung bringen. Werbeslogans aus Megaphonen hämmern unaufhörlich auf mein armes Hirn ein. Garniert wird der Zirkus mit fantasievoll gestalteten Fahrzeugen. Leicht bekleidete junge Mädels katapultieren Werbegeschenke aus den Fahrzeugen ins Volk: Käppis, Sonnenhüte Tücher, Schlüsselanhänger, Gummibärchen, Getränke, das Repertoire ist unerschöpflich. Die Jäger und Sammler unter den Besuchern stürzen sich auf alles, was angeflogen kommt. Das alles erinnert mich eher an Karneval in Köln als an die Tour de France.

 

Derart aufgeheizt dauert es nicht mehr lange, bis die Werbekarawane durchgefahren ist. Aus der Ferne sich langsam nähernde Hubschrauber kündigen die ersten Radler an. Kurz darauf sind sie da! In einem Affenzahn saust eine Karawane aus Begleitmotorrädern, Versorgungsfahrzeugen und, siehe da, mitten drin auch noch vier flotte Radlern heran. Viele drängen sich auf die Strasse, in der Hoffnung, ein tolles Foto von der Spitzengruppe machen zu können. So schnell die Jungs gekommen sind, so schnell sind sie auch wieder weg. Ich habe die ganze Szenerie kaum real registriert, sondern habe den kurzen Moment, wie viele andere wohl auch, ausschließlich durch den Sucher meiner Kamera wahrgenommen. Daher kann ich gar nicht sagen, wer denn überhaupt in der Spitzengruppe dabei war.

 

Es folgen ein paar spannungsgeladene Minuten, dann rauscht bereits das Hauptfeld heran. Unter dem anfeuernden Gejohle hunderter Zuschauer jagen die armen Kerle am Ende ihrer Kräfte im Abgasnebel der Begleitfahrzeuge den letzten Anstieg hinauf. Jeder Zuschauer will so nah wie möglich ran ans Geschehen, und die Gasse wird für die schnell fahrenden Radler und Fahrzeuge verdammt eng! Erst später bei der Auswertung der Fotos habe ich realisiert, dass die beiden Favoriten Lance Armstrong und Jan Ullrich im Hauptfeld dabei waren.

 

Es folgen in kurzen Abständen noch einige weitere Radlertrupps, nach etwa 20 Minuten ist der Spuk vorbei. Mittlerweile dürfte am Zieleinlauf die Siegerehrung bereits im vollen Gange sein. Wie das Rennen ausgegangen ist, bekomme ich hier aber nicht mit. Ich bahne mir mit dem Rad einen Weg durch die Massen, um zum Zieleinlauf zu gelangen. Als ich sehr viel später schließlich dort ankomme, verlässt Lance Armstrong bereits im gelben Trikot winkend den Platz.

 

Der Zirkus ist vorbei, aber es wird noch einige Stunden dauern, bis sich der Ausnahmezustand in der Stadt wieder normalisiert. Am Place de Verdun übernehmen jetzt die Techniker und Arbeiter das Regiment. Zieleinlauf, Tribünen, Übertragungscontainer, Partytrucks und Kamerawagen müssen innerhalb kürzester Zeit zusammengebaut und verladen werden, damit am Ziel der morgigen Etappe alles rechtzeitig aufgebaut ist und funktioniert.

 

Der Tag hat Spaß gemacht, Fahrradurlaub einmal anders!

 

 

Mittwoch, 20.07. Lescar/Pau – Col d’ Aubisque – Col du Soulor – Arrens Marsous:

 

Heute geht’s weiter für mich, aber auch für den Tross der Tour de France. Den Start in Pau will ich mir noch ansehen, bevor ich hinauffahre in die Pyrenäen. Die Innenstadt ist bereits am Morgen wieder großflächig abgesperrt. Ich komme zufälligerweise am Hotel des T-online Teams vorbei, als Ulle, Vino und all die anderen Kollegen das Haus verlassen, um zum Start zu fahren. Ich mische mich unter die Fans und Autogrammjäger und mache ein paar Fotos von der Szenerie. So nah kommt man als Zuschauer sonst wohl kaum an die schnellen Jungs und ihre ebenso schnellen Flitzer ran. Während alle auf das T-online Team konzentriert sind, radelt nebenan lässig winkend Lance Armstrong mit seinem Discovery-Team auf dem Weg zum Startpunkt vorbei.

 

Ich suche mir einen guten Platz an der Ausfallstrasse. Eingebettet in eine umfangreiche Karawane aus Teambussen, Begleitfahrzeugen und Polizei- und Kameramotorräder rollt gegen 11.30 Uhr das vereinte Peloton im moderaten Tempo vorbei. Packende Zweikämpfe sind zu dieser frühen Stunde natürlich noch nicht zu erwarten. Der Spuk ist schnell vorbei.

 

Ich mache mein Rad fertig und versuche, aus der Stadt heraus zu kommen. Das ist nicht ganz einfach, da ich natürlich heute nicht der einzige bin! Irgendwann habe ich die Stadtgrenzen jedoch hinter mir gelassen. Ein strammer Nordwind treibt mich bei bestem Wetter geradezu hinauf in die Pyrenäen. Ich komme zügig voran und erreiche am frühen Nachmittag bereits den Ort Laruns am Fuße des Col d’ Aubisque. Soll ich oder soll ich nicht?

 

Es ist noch früh am Tag, gestern hatte ich quasi Ruhetag, und ich fühle mich fit. Daher entscheide ich nach kurzer Einschätzung der Lage, hinauf zu fahren auf den Pass. Die Westrampe ist mein erster ernster Berg auf dieser Tour. Der Anstieg zieht sich lange hin. Ab dem Skiort Gourette wird es außerdem noch ein bisschen steiler, so dass ich ganz schön knabbern muss, um hoch zu kommen. Ich erreiche schließlich etwas ermüdet nach über drei Stunden die Passhöhe in einer Höhe von 1709 m.

 

Es ist schon spät, und ich halte mich nicht allzu lange am Pass auf. Es wartet noch ein weiterer kleiner Pass auf mich! Nach einer Abfahrt von 400 Höhenmetern folgt ein moderater Anstieg von etwa 150 Höhenmetern zum Col du Soulor. Die Aussicht auf den 2700 m hohen Grand Gabizos in der Abendsonne ist beeindruckend. Die Abfahrt hinab ins Tal nach Arrens Marsous läuft flott. Spät um halb acht erreiche ich das Dorf, wo ich gerade noch rechtzeitig vor Ladenschluss etwas zu essen und zu trinken einkaufen kann. Der Campingplatz liegt am Rande des Dorfes auf einer großen Wiese und ist eher einer von der einfachen Kategorie. Die Dusche funktioniert, und das ist das Wichtigste.         

 

 

Donnerstag, 21.07. Arrens Marsous – Gavarnie:

 

Hier in den Bergen sind die derzeitigen Nachttemperaturen angenehm frisch. Am Morgen sind Zelt und Rad vom Tau benetzt. Da ich nichts mehr zu futtern habe, verlasse ich den Ort zeitig ohne Frühstück. Durch ein schönes Tal geht es lange abwärts, bis ich Argelès-Gazost unweit des Wallfahrtortes Lourdes erreiche. Mittlerweile hat die Sonne gut eingeheizt.

 

Im Ort fülle ich meinen Proviant auf und treffe den Schweizer Dimitri. Er ist auf dem Weg zur Hochzeitsfeier seines Bruders in Portugal, auch ein guter Grund für eine spannende Radtour! Wir machen am Brunnen gemeinsam eine lange Pause und haben viel zu erzählen. Solche Begegnungen sind das Salz in der Suppe einer Radtour! Schließlich trennen sich unsere Wege wieder.

 

Mein heutiges Etappenziel heißt Gavarnie und liegt am Ende dieses Tales mindestens 1000 m höher. Der Weg dorthinauf ist relativ stark befahren, die Steigung ist aber moderat. Ich lasse mir Zeit und genieße die Bergwelt. Am Nachmittag erreiche ich das Bergdorf Gavarnie und bin zunächst irritiert. Gavarnie ist ein von Touristen sehr stark frequentierter Ort. Das liegt natürlich nicht zuletzt an dem eindrucksvollen „Felszirkus“ am Ende des Hochtales. Im Ort ist jedenfalls alles auf die Bedürfnisse der Gäste eingerichtet. Große Besucherparkplätze, Touristinformation, Andenkenläden und Restaurants bestimmen das Ortsbild.

 

Am Ende des Dorfes gibt es einen einfachen Campingplatz. Die Dusche hier ist zwar rattenkalt, aber zum säubern reicht’s. Der geniale Ausblick auf den Cirque de Gavarnie entschädigt. Einkaufsmöglichkeiten im Dorf gibt’s zwar auch eingeschränkt, aber alles in einer gehobenen Preiskategorie.

 

Sobald die Sonne hinter den Bergen verschwindet, wird’s spürbar kühler in der Höhe. Daher verziehe ich mich bald ins Zelt.  

 

 

Freitag, 22.07. Gavarnie – Baréges:

 

Der frühe Vogel fängt den Wurm! Getreu dem chinesischen Motto mache ich mich zu einer Zeit auf die Socken, wo sonst noch alle schlafen oder frühstücken. Das Tal liegt noch im Schatten, und ich wandere das breite Tal aufwärts in Richtung Felszirkus. Der Weg ist breit und ziemlich ausgelatscht, tagsüber scheint hier einiges los zu sein.

 

Ich erreiche bald durch den lichten Wald das Hotel de Cirque, welches strategisch günstig genau am Ausgang des Felszirkus platziert ist. Das dürfte für die meisten Besucher das erstrebenswerte Ziel ihres Spaziergangs sein. Von der Aussichtsterrasse des Restaurants hat man das gesamte Felsrund direkt vor Augen.

 

Mich zieht es weiter hinauf zum Wasserfall. Nach kurzer Kletterei auf steilem Geröllfeld erreiche ich den Fuß des über 400 m hohen Wasserfalles und werde dort von der zerstäubenden Gischt benetzt. Hier ist die Welt bzw. Frankreich für den ambitionierten Wanderer zu Ende. Wer von hier noch weiter nach Spanien will, der muss klettern. Einige eindrucksvolle Steilwände müssten durchklettert werden, um zum über 3200 m hohen Grenzgrat zu gelangen.

 

Als ich nach Gavarnie zurückgehen möchte, kommen mir bereits die ersten wandernden Tagesgäste entgegen. Ich verlasse daher in der Nähe des Hotel de Cirque den Talgrund und steige links einen steilen Pfad entlang der Steilflanke hinauf. Oben werde ich fast erschlagen von weiten Wiesen, auf denen flächendeckend blaue Iris blühen. Der Weg schlängelt sich hoch am Hang zurück nach Gavarnie, passiert einen schönen Wasserfall und bietet gute Ausblicke auf das Tal.

 

Mittags bin ich zurück am Camp, baue das Zelt ab und packe meine Sachen für die Weiterreise zusammen. Der erste Teil der heutigen Etappe verläuft 20 angenehme Kilometer talabwärts bis Luz-St-Sauveur. Hier besorge ich mir Proviant und vergewissere mich, dass es in Baréges einen Campingplatz gibt.

 

Der Weg hinauf nach Baréges ist der erste Teil der Westrampe zum Tour de France Klassiker Col du Tourmalet. Bei 7–8 % Steigung arbeite ich mich schon mal die ersten 500 Höhenmeter aufwärts und habe dadurch bereits einen komfortablen Grundstock für die schwere Etappe des morgigen Tages. Der Campingplatz in Baréges liegt am Bach auf mehreren Ebenen, hat reichlich Schattenbäume und Sitzgelegenheiten.   

 

 

Samstag, 23.07. Baréges – Col du Tourmalet – Col d’ Aspin – Avajan:

 

Es dauert heute etwas länger bis ich auf die Piste komme, meine am Vortag gewaschene Kleidung ist nicht richtig trocken geworden und braucht noch etwas Sonne. Heute steht der höchste Punkt meiner diesjährigen Radtour, der Col du Tourmalet, auf dem Programm, und das erfordert schon einen gewissen Respekt.

 

Mental gut vorbereitet kurbele ich mich langsam aber stetig aufwärts. Kurz hinter Baréges erwartet mich gleich ein erstes steiles Teilstück. Mit zunehmender Höhe wird der Wald lichter und Wiesen dominieren das Hochtal.

 

Unterwegs werde ich von zahlreichen Hobbyrennradlern überholt. Im Gefolge der Tour de France hat es natürlich viele Radbegeisterte in die Region gelockt, die sich jetzt an den Klassikern austoben. Der 2115 m hohe Col du Tourmalet gehört zweifellos dazu. Die Steigung liegt zwischen 6 und 9 % und ist daher durchaus machbar. Erst auf den letzten beiden Kilometern bis zum Pass wird’s ernst. Aus 9 werden zunächst 10 % bis die letzten 200 Meter noch mal kräftig anziehen.

 

Ich bin noch zu sehr mit meinem persönlichen Kampf mit dem Berg beschäftigt, dass ich erst gar nicht merke, die unscheinbare Passhöhe erreicht zu haben. Das Wetter ist prächtig, selbst in dieser Höhe ist es jetzt schön warm. Mit mir freuen sich zahlreiche andere Radler, diesen anspruchsvollen Pass hinauf geradelt zu sein. Der Riese vom Tourmalet, eine überlebensgroße Radlerskulptur, wird zum beliebten Hintergrund für das obligatorische Erinnerungsfoto vom Pass.

 

Ich bleibe eine ganze Weile hier oben und erfreue mich an der Hochgebirgsszenerie. Die anschließende Abfahrt macht Laune. Die Strasse ist gut asphaltiert, die Kurvenradien weit, so dass ich das Rad gut laufen lassen kann. Der einzige Wermutstropfen unterwegs ist das Retortendorf La Mongie, eine französische „Skiurlaubsfabrik“ der übleren Kategorie. Auf meinem Weg abwärts bin ich da zum Glück schnell durch und erreiche am frühen Nachmittag das kleine Dorf Ste-Marie-de-Campan im Adour-Tal.

 

Es ist noch früh am Tag und der nächste nicht ganz so hohe Pass lockt. Nach einer kurzen Pause radle ich talaufwärts in Richtung Col d’ Aspin weiter. Die Westrampe zum Pass hat einen völlig anderen Charakter als der Col du Tourmalet. Die Strasse schlängelt sich bei moderater Steigung zwischen 7 und  9% durch dichten Wald aufwärts. Ich komme zügig voran und erreiche am späten Nachmittag die Passhöhe in einer Höhe von 1489 m.

 

Als ich verschwitzt vom Rad steige, empfängt mich Applaus und Gejohle. Es dauert eine ganze Weile bis ich begreife, dass der Applaus mir gilt! Eine Truppe junger Franzosen lässt es sich gut gehen und erfreut sich auf der Passhöhe an einem üppigen Picknick. Sie erzählen mir, dass sie mich beim Anstieg mit dem Auto überholt hatten und sich nicht vorstellen konnten, wie man mit so einem voll beladenen Rad auf den Pass hoch kommen kann. Nun, ich bin angekommen und das wurde anerkennend gewürdigt. Ich habe mich zu der netten Truppe dazu gesellt, ausgiebig mit gepicknickt und wir haben viel erzählt.

 

Die anschließende lange Abfahrt ins Tal hinab nach Arreau macht richtig Laune. Auf schmaler Strasse geht es in vielen Kurven durch eine gehölzreiche Wiesenlandschaft abwärts. Vom Horizont grüßt majestätisch der Hauptkamm der Pyrenäen.

 

In Arreau besorge ich mir Proviant und radele das Tal hinauf bis Avajan. Hier finde ich einen weitläufigen Campingplatz am kleinen See, wo ich für die Nacht mein Zelt aufschlage.     

 

 

Sonntag, 24.07. Avajan – Col de Peyresourde – St. Beat:

 

Heute lasse ich es langsam angehen. Die Sonne kommt erst spät über die hohen Berge gekrochen, und es dauert eine Weile, bis mein frisch gewaschenes Trikot trocken genug ist.

 

Gut ausgeruht geht es dann sogleich an den Anstieg zum Col de Peyresourde auf 1569 m Höhe. Das Wetter ist prächtig, der Schweiß fließt bald in Strömen. Die Aussicht auf die Berge ist fast während des gesamten rund 8 % Anstieges hervorragend, der Verkehr hält sich in Grenzen.

 

Kurz vor der Passhöhe werde ich von Roel eingeholt. Bislang haben die Rennradler in Folge der Tour de France das Geschehen am Berg dominiert. Roel aber ist der erste voll beladende Reiseradler, den ich hier auf meiner Tour treffe. Der gemeinsam erkämpfte Pass eint. Wir machen zusammen Pause, erzählen von unseren bisherigen Tourerlebnissen und berauschen uns anschließend an einer langen kurvenreichen Abfahrt.

 

Die Mittagstemperaturen sind mittlerweile ganz ordentlich. Je tiefer wir kommen, umso eher haben wir das Gefühl, in einen Backofen hinein zu fahren. Wir erreichen Bagnères-de-Luchon, wo uns die Hitze ein mittägliches Koma beschert. Wir hängen recht motivationslos im Schatten der großen Platanen.

 

Unser heutiges Etappenziel heißt St. Beat und liegt im Tal der oberen Garonne. Roel will über den kleinen Pass Port du Portillon und dann mit einem kurzen Abstecher über spanisches Territorium nach St. Beat fahren. Mir ist das heute zu heiß, und der bequeme Weg talabwärts nach St. Beat lockt mich mehr. Daher trennen sich hier unsere Wege bereits wieder.

 

Die Strecke talabwärts ist fahrtechnisch nicht besonders prickelnd. Die Strasse ist breit ausgebaut, und es herrscht reger Verkehr. Außerdem bläst wie an den meisten Nachmittagen ein starker Nordwind das Tal hinauf, so dass ich selbst bergab ordentlich zu strampeln habe.

 

Am frühen Nachmittag erreiche ich St. Beat. Das Städtchen liegt idyllisch an einer Engstelle des Garonnetales und wird von Felsen umrahmt. Kurioserweise sind die beiden Campingplätze des Ortes heute rappelvoll. Ich finde aber mit meinem kleinen Zelt noch eine winzige schattige Ecke für die Nacht. Den Rest des heißen Nachmittages treibe ich mich im Ort herum, fotografiere und relaxe am Ufer der Garonne. Von Roel ist aber nichts zu sehen. Wer weiß, wo der nach seinem Spanienabstecher abgeblieben ist?

 

 

Montag, 25.07. St. Beat – Col de Menté – Col de Portet d’ Aspet – Castillon en Couserans:

 

Nach einer ungewöhnlich warmen Nacht ist am Morgen von den Bergen nichts mehr zu sehen. Die dicken Wolken hängen bis tief in das Tal herab. Heute stehen wieder zwei kleinere Pässe auf meinem Tourprogramm. Ob das angesichts des seltsamen Wetters allerdings gut wird, bezweifele ich. Jammern nützt nichts – der Berg ruft!

 

Gleich hinter dem Ortsausgang geht es stramm aufwärts. Die Auffahrt zum Col de Menté ist durchgängig mit 9 – 10 % Steigung ziemlich steil. Die Strasse ist kaum befahren, in steilen Kurven geht es höher und höher, bis ich irgendwann in den Wolken verschwinde und gar nichts mehr sehe. Die Berge sind vom Nebel verschluckt. Millionen kleiner Wassertropfen kondensieren auf meiner Brille. Nach einer Weile bin ich völlig durchnässt.

 

Den Abschluss der Westrampe zum 1349m hohen Pass bildet ein Serpentinenpaket, welches kein Ende nehmen will. Im Blindflug schraube ich mich immer höher, ohne zu wissen, wo ich überhaupt genau bin. Plötzlich bin ich oben! Wegen der dicken Suppe ist aber erwartungsgemäß überhaupt nichts von der Bergwelt zu sehen. So bleibt mir nichts anderes übrig, als meine nassen Klamotten zu wechseln und nach einer kurzen Pause die Abfahrt zu starten.

 

Die Abfahrt ist anspruchsvoll und sehr schön. In engen Kurven windet sich das schmale Sträßchen durch einige kleine Weiler steil abwärts. Zitat aus meinem Tagebuch: „Wenn’s irgendwo einen Arsch der Welt gibt, könnte der hier sein.“ Nach kurzer steiler Abfahrt erreiche ich die Abzweigung zum nächsten Pass, dem Col de Portet d’ Aspet.

 

Hier geht es mindestens genauso steil weiter wie zuvor am Col de Menté. Dazu geht ein leichter Nieselregen nieder. Das zuvor am Pass trocken angezogene Trikot ist innerhalb kürzester Zeit wieder völlig durchnässt. Wieder schraube ich mich im Blindflug durch dichten Wald steil aufwärts bis ich schließlich die Passhöhe auf 1069 m Höhe erreiche. Ich muss erneut meine nassen Klamotten wechseln. Eine überdachte Wasserstelle drängt sich für eine Rast geradezu auf. Während ich meine Siesta mache, trudelt unerwartet Roel mit seinem Rad hier oben ein. Er ist ebenfalls auf dem Weg von St. Beat nach Osten. Während wir ausgiebig unsere Erlebnisse vom Vortag austauschen, kommt plötzlich die Sonne zaghaft durch die Wolkenschleier. Nach der langen Rast sind meine Klamotten fast wieder trocken, und die Abfahrt kann starten. Mit gemächlichem Gefälle geht es lange auf guter Piste abwärts. Wir folgen dem lang gezogenen Tal und erreichen Castillon-en-Couserans. Hier trennen sich unsere Wege wieder. Ich möchte morgen noch zwei kleine Bergpässe fahren und bleibe daher in Castillon. Am Nachmittag besorge ich mir Proviant und baue mein Zelt auf dem weitläufigen Zeltplatz am Bach auf. Während es in den Bergen dicht bewölkt ist und unentwegt grummelt, habe ich hier jetzt reichlich Sonne.

 

Über dem Dorf erhebt sich ein Kalvarienberg mit einer kleinen Kirche. Da die Aussicht von dort oben gut zu sein scheint, unternehme ich einen Abendspaziergang dort hinauf. Mit meiner Flasche Wein im Gepäck stelle ich fest, dass in der kleinen Kirche gerade ein Gitarrenkonzert stattfindet - das passt gut!

 

Ich geselle mich spontan zu den Zuhörern und erfreue mich an einem stilistisch sehr vielfältigen Abend, angefangen bei Klassik spannen die Musiker den Bogen über moderne Musik bis hin zu Piazolla’s Tangomusik. Die schlichte Atmosphäre des kleinen Kirchleins, die Unverkrampftheit der Zuhörer und die tolle Musik hinterlassen bei mir einen prägenden Eindruck. Erst spät komme ich heute zum Zelt zurück.   

 

 

Dienstag, 26.07. Castillon en Couserans – Col de la Core – Col de Latrape – Aulus les Bains:

 

Am Morgen bin ich nicht ganz ausgeschlafen und etwas unorganisiert. Es wird etwas später, bis ich wieder auf dem Rad sitze und den nächsten Pass anpeile. Der Weg zum 1395 m hohen Col de la Core folgt zunächst lange dem Tal und hat zwischendurch ein paar strammere Anstiege. Im Talschluss wird die Strasse etwas steiler und zieht sich in weiten Kurven erst durch Wald, dann durch Weideland am Hang dem Scheitelpunkt entgegen.

 

Gegen Mittag erreiche ich die Passhöhe. Selbst hier oben auf dem Pass ist es jetzt heiß, meine verschwitzten Klamotten sind im Nu von der Sonne getrocknet. Die Aussicht auf die südlich gelegenen Berge ist toll. Bei der anschließenden Abfahrt tritt wieder der Backofeneffekt ein – mit abnehmender Höhe bläst mir der Fahrtwind wie aus einem Föhn entgegen. Unten im Dorf Seix lähmt die Mittagshitze die Aktivitäten. Es ist Siesta, nur wenige Besucher lümmeln sich träge im Schatten von Bäumen und Sonnenschirmen herum.

 

Für mich geht es daher weiter, ein kleiner Pass trennt mich noch vom heutigen Etappenziel Aulus. Der Weg folgt zunächst dem Bach durch ein waldreiches enges Tal. Am Ende des Valée d’ Ustou folgt ein 8 % Anstieg hinauf zum Col de Latrape. Die Mittagshitze treibt mir allen Schweiß aus den Poren. Ständig läuft mir die ätzende Brühe in die Augen und nimmt mir die Sicht. Die Hürde habe ich aber bald genommen, und ich erreiche den kleinen Pass.

 

Nach kurzer Rast brauche ich nur noch abwärts fahren, um zum Etappenziel zu gelangen. Leider wurde die Strasse neu geteert, die gesamte steile Abfahrt ist mit einer dicken Splittschicht überzogen und zwingt mich zum langsam fahren.

 

Der Kurort Aulus hat offenbar auch schon bessere Zeiten gesehen. An den Hotels nagt der Zahn der Zeit, Dorf und Infrastruktur empfinde ich eher als belanglos. Es gibt einen Campingplatz und einen Laden, das reicht mir für den heutigen Tag. Das Bächlein, welches durch den Campingplatz fließt, hat herrlich kaltes Wasser und eignet sich bei der heutigen Hitze wunderbar, um das Bier auf angenehme Trinktemperatur herunter zu kühlen.

 

 

Mittwoch, 27.07. Aulus les Bains – Col d’ Agnès – Port de Lers – Ax les Thermes:

 

In der Nacht hat es sich angenehm abgekühlt. Nach dem ich das Dorf am Morgen verlasse, wird es auf dem Weg zum Col d’ Agnès auch gleich ernst. Bei einer Steigung bis über 10 % kommt das Blut gleich in Wallung. Zum Glück führt ein Großteil der Strecke durch Wald, so dass ich lange im Schatten radeln kann. Als ich die 1000m Höhenmarke hinter mir lasse, weht zudem ein herrlich frischer Wind. Die Bedingungen sind jetzt perfekt, zudem garniert mit zunehmender Höhe eine interessante Felslandschaft meinen Weg.

 

Ich erreiche den 1570 m hohen Col d’ Agnès. Hier oben wird aus dem frischen Lüftchen ein strammer Wind. Unter dem blauen Himmel genieße ich die Aussicht auf den Hauptkamm der Pyrenäen und entdecke höchst erfreut etwas abseits der Strasse einige Orchideen. Nach kurzer Rast rausche ich in weiten Kurven durch eine liebliche Berglandschaft ein Stück abwärts zum Stausee Etang de Lers.

 

Dieser Abschnitt gefällt mir besonders gut. Die Hochweiden sind garniert mit Felsen, Farn und Stechpalmen, über allem thronen die Felsgipfel der Pyrenäen. Die schmale wenig befahren Strasse windet sich aufwärts zum Pass Port de Lers auf 1517 m Höhe. Große Kuhherden grasen hier auf den Hochweiden.

 

Nach kurzer Rast folgt eine lange Abfahrt hinunter in das Tal der Ariège. Unten im Tal lähmt mich die Hitze. Ab Tarascon-s-Ariège habe ich leider keine Alternative, und ich muss auf der Route Nationale bis nach Ax-les-Thermes fahren. Dieser 26 Kilometer lange Abschnitt macht überhaupt keinen Spaß. Das ist die Hauptstrasse hinauf nach Andorra, die Piste ist autobahnähnlich ausgebaut, und die Hitze steht im Talgrund.

 

Eher lustlos spule ich die Kilometer runter und erreiche den Kurort Ax. Die Hauptverkehrsader ruiniert auch diesen Ort, der offenbar schon bessere Zeiten gesehen hat. Eine Umgehungsstrasse soll 2007 fertig gestellt sein. Das Thermometer zeigt am späten Nachmittag immer noch 37°C. Eine erwähnenswerte Einkaufsmöglichkeit hat der Ort nicht, und ich muss zurückradeln nach Savignac. Zu allem Überfluss werde ich am örtlichen Campingplatz mit 15 € für mein Minizelt auch noch ordentlich abgezockt. Ax bleibt für mich in vielerlei Hinsicht negativ behaftet.   

 

 

Donnerstag, 28.07. Ax les Thermes – Port de Pailhères – Quillan:

 

Die Nacht war sehr warm. Da ich davon ausgehe, dass das Thermometer auch tagsüber wieder in rekordverdächtige Höhen klettert, breche ich früh auf. Ein ofenwarmes Baguette liefert die Grundlage für den zweithöchsten Pass der Tour, den 2001 m hohen Port de Pailhères. Zunächst muss ich wieder die zwei Kilometer auf der stark befahrenen Route Nationale bis Ax fahren. Im Ort zweigt aber gleich die Passstrasse ab.

 

Auf waldreicher Strecke steigt die Strasse mit viel angenehmem Schatten nur mäßig an. Mit mir fahren einige Radler los, die kaum Gepäck dabei haben und eher wie Gelegenheitsfahrer aussehen. Deren Outfit hat einen rustikalen Charme.

 

Ich erreiche Ascou-La Forge. Im Bereich des Dorfes verläuft die Strasse sogar ein gutes Stück auf ebener Strecke. Am Ende dieses lang gezogenen Hochtales wird es dann ernst. An der Talstation des Skigebietes Ascou ist die Strasse wegen der erforderlichen Winterparkplätze breit wie die Startbahn eines internationalen Flughafens. Garniert wird diese Asphaltwüste mit einer 10-prozentigen Steigung und einer mittlerweile schonungslos einheizenden Sonne.

 

Hier hält ein abenteuerliches Gespann aus Kleinbus und Transportanhänger und spuckt den Rest der mir schon zuvor aufgefallenen Gelegenheitsradler aus. Die hoch motivierten Pedalritter sind aus Tschechien angereist und konzentrieren sich für Ihre Passüberquerung auf den wesentlichen Abschnitt, auf das letzte Serpentinenpaket der Westrampe. Allzu gut ist die Truppe nicht trainiert, aber das scheint niemanden zu stören, die Stimmung ist gut und solange man in Bewegung bleibt, kommt man auch irgendwann oben an.

 

Die Steigung ist mit knapp 10 % gerade noch gut zu fahren, die Beine beginnen aber mit zunehmender Höhe auch bei mir lahm zu werden. An einem Quellhorizont direkt neben der Strasse blühen zahlreiche Orchideen in dem kargen Gestein. Die Passhöhe ist eigentlich gar keine richtige Passhöhe, sondern eher ein kleiner Pyrenäengipfel. Kurz vor dem Gipfel wird die Strasse flacher, eine kleine Ansammlung von Ferienhäusern beschert den Bewohnern eine angenehme Sommerfrische und einen prächtigen Ausblick auf die Berge.

 

Zusammen mit mir erreichen auch meine tschechischen Mitstreiter laut johlend die Passhöhe. Die Freude über die von der Talstation bis hierher erfolgreich absolvierten 500 Höhenmeter ist bei der Truppe groß. Man feiert sich gegenseitig und fotografiert sich immer wiederholend auf den letzten Metern vor dem Gipfel.   

 

Das Wetter ist fantastisch, der Wind erfrischt und die Aussicht ist hervorragend. Für heute habe ich den entscheidenden Teil der Etappe absolviert. Ab hier geht es rund 100 Kilometer nur noch bergab durch das Aude-Tal bis nach Carcassonne. Ich gönne mir daher eine lange Mittagspause und räkele mich in der herrlichen Bergsonne.

 

Die anschließende Abfahrt über die Ostrampe ist anspruchsvoll. In engen Kehren führt die Strasse steil abwärts, der Asphalt ist noch garniert mit den Anfeuerungsparolen für die Helden der Tour de France. Mit abnehmender Höhe steigt das Backofenklima. In den Dörfern ist jetzt Siesta. Ich erreiche das eng eingeschnittene Tal der oberen Aude. Die Strasse schlängelt sich am Grunde des mit Wald und Felsen garnierten Tales stetig weiter abwärts. Das Aude-Tal um Axat wirkt wie eine Düse für den Nordwind. Orkanartige Böen machen mir bei Temperaturen um die 30°C die Weiterfahrt nicht gerade leicht.

 

Das Wildwasser der Aude hat sich im Bereich der engen Klamm zu einem Eldorado für Wassersportler entwickelt. Zahlreiche Gummiboote und neoprenbewehrte Schwimmer mit Schwimmbrettern lassen sich durch die Wellen abwärts treiben – eine Mordsgaudi!

 

Ich erreiche am frühen Nachmittag mein heutiges Etappenziel Quillan. Die Hitze lähmt meine Aktivitäten, und ich ziehe mich auf dem Zeltplatz in den Schatten zurück. Am Abend mache ich einen Rundgang durch das beschauliche Städtchen. Hier findet derzeit ein Folklorefestival statt. Die dargebotene Musik von der Trachtenkapelle ist aber nicht so recht nach meinem Geschmack, und ich beschließe den Abend mit ein paar lauwarmen Bierchen am Zelt.

 

 

Freitag, 29.07. Quillan – Carcassonne:

 

In der Nacht ist das Klima stickig geblieben. Der Morgen sieht seltsam trübe aus, die Wolken hängen tief ins Tal herab und es ist sehr schwül. Meine heutige Etappe ist harmlos, es sind nur noch 50 Kilometer talabwärts bis nach Carcassonne. Der landschaftliche Reiz des oberen Audetales ist allerdings dahin, das Tal ist weit und wird von flachen Hügeln begrenzt, die Strasse ist breit ausgebaut und wird stark befahren.

 

Kurz bevor ich Limoux erreiche, beginnt es zu regnen. Ich flüchte gerade noch rechtzeitig unter die Arkaden am Marktplatz, dann geht ein ergiebiges Sommergewitter nieder und durchnässt die auf dem Markt feilgebotene Ware. Nach einer halben Stunde ist der Spuk aber vorbei, und ich setze meine Tour auf glänzend nasser Strasse am Ostufer der Aude fort. Hier herrscht kaum noch Verkehr, und ich komme zügig nach Carcassonne. Gegen Mittag bin ich am Campingplatz und baue mein Zelt dort auf. Der Platz ist riesig groß und zu meiner Überraschung ist es dort nicht allzu voll.

 

Am Nachmittag unternehme ich eine erste Erkundung in einer der bekanntesten Altstädte des Mittelmeerraumes. Dort ist allerdings so viel los, dass ich schnell wieder das Weite suche. Stattdessen erkunde ich die „Neustadt“ von Carcassonne. Die gefällt mir aber nicht besonders gut. Die Straßenzüge sind schachbrettartig angelegt, großzügige Plätze zum „lustwandeln“ wie z.B. in Arles oder Avignon gibt es hier leider nicht.

 

Während ich mir abends am Zelt mein Essen bereite, kommt ein verschwitzt aussehender Radler angefahren: es ist Roel! Wir freuen uns über das unerwartete Treffen und verbringen den Rest des Abends bei einigen Bieren zusammen. Die Kommunikation wird zu vorgerückter Stunde in der Kneipe des Campingplatzes zunehmend schwieriger: der Fernseher und die Stereoanlage lärmen um die Wette und versuchen sich gegenseitig zu übertönen.

 

Ansonsten halten sich hier auffällig viele Reiseradler auf, mehr jedenfalls als ich in den vergangenen Wochen zusammen gesehen habe. Das scheint auch am Canal du Midi zu liegen, der gerade in jüngster Vergangenheit stark für diese Zwecke beworben wurde.

 

 

Samstag, 30.07. Carcassonne:

 

Aus den Erfahrungen des Vortages habe ich gelernt. Gemäß dem altbekannten Motto „Der frühe Vogel fängt den Wurm…“ mache ich mich zeitig auf die Socken und radele zur Altstadt hinauf. Das klappt bestens, um acht Uhr ist hier noch nicht viel los. So habe ich eine Weile Gelegenheit, mir ungestört und genau die Struktur des historischen Stadtbildes anzusehen.

 

Die zweireihige Befestigungsanlage der Stadt ist vollständig erhalten und hat den kriegerischen Auseinandersetzungen zu Zeiten der Katharer widerstanden. Die kleinen Läden und Restaurants sind zu hundert Prozent auf die Bedürfnisse der vielen tausend Besucher zugeschnitten, die diese Stadt zu einer der meistbesuchten Südfrankreichs machen. Um neun Uhr öffnen die Läden und Cafés, und die ersten größeren Besuchergruppen strömen in die Altstadtgassen. Das ist die Zeit für mich zu gehen.

 

Den Rest des Tages verbringe ich ziellos zeitweise in der Neustadt oder am Schwimmbecken des Zeltplatzes. Das Wetter ist zu meiner Freude sehr angenehm geworden, das heftige Gewitter vom Vortag hat die stickige Hitze vertrieben.

 

Zum Abend steige ich noch einmal auf’s Rad und fahre zur Audebrücke. Dort habe ich einen guten Ausblick auf die Befestigungsanlagen der Altstadt und nutze die schöne Mischlichtsituation für ein paar Fotos.

 

 

Sonntag, 31.07. Carcassonne – Villeneuve:

 

Heute steht die Etappe entlang des Canal du Midi auf meinem Tourprogramm. Die Dame in der Tourist-Info sprach von einer Distanz von etwa 70 Kilometern bis Béziers. Ich mache mich frohen Mutes auf die Socken, denn am Kanal brauche ich keine Berge zu erwarten. Heute am Sonntag komme ich schnell durch die Stadt.

 

Am historischen Wasserweg, der Atlantik und Mittelmeer verbindet, erwartet mich ein hervorragender Schotterweg. Hier gibt’s keine Autos, nur ein paar morgendliche Jogger und ganz viel Schatten unter dem Blätterdach der alten Platanen. Ab und zu begegnet mir ein Hausboot mit Urlaubern, der kräftige Rückenwind schiebt mich flott voran.

 

Leider endet dieser gut ausgebaute Teil des Weges nach etwa 20 Kilometern. Was dann folgt, ist ein holpriger, mit Wurzeln gespickter Singletrail, der stellenweise zugewachsen ist. Gegen Mittag erreiche ich ziemlich durchgerüttelt das Dorf Homps. Hier gibt es einen größeren Hafen für die vielen Hausboote sowie ein paar Läden und Cafés.

 

Nach einer kurzen Rast radle ich weiter. Die Wasserstrasse windet sich in vielen Schleifen gen Osten. Immer wieder sind Schleusen eingebaut, die für die Überwindung von Höhenunterschieden erforderlich sind. Durch die vielen Kanalschleifen zieht sich die Strecke immer weiter in die Länge. Die prognostizierten 70 km habe ich längst zurückgelegt, aber Béziers ist noch nicht in Reichweite.

 

Die Schotterpiste lässt ein zügiges Tempo auch nicht zu, so dass ich erst am Abend nach 110 staubigen Kilometern Bèziers erreiche. Ein Stück außerhalb der Stadt finde ich in Villeneuve direkt am Canal einen Campingplatz, der allerdings voll belegt ist. Ich muss mich mit einem schattenlosen Platz zufrieden geben und hoffe, dass die Sonne Erbarmen mit mir hat.

 

 

Montag, 01.08. Villeneuve – Béziers – Villeneuve:

 

Ich bin am Ziel meiner Tour angelangt und habe noch zwei Tage lang Gelegenheit, Béziers und Umgebung zu erkunden. Nun ist rumtrödeln angesagt - nach über 1200 Kilometern im bergigen Gelände darf ich mir das jetzt gönnen. Da ich nichts mehr zu futtern in den Packtaschen habe, frische ich zunächst mal meine Vorräte auf und frühstücke ausgiebig auf einer Bank am Canal.

 

Direkt am Canal führt ein gut asphaltierter Radweg in Richtung Mittelmeer. Der Weg lockt mich und ich radele die 10 Kilometer an die Küste. Was mich dort erwartet, ist allerdings eher ernüchternd: Die Infrastruktur ist für den gehobenen Massentourismus optimiert, die Küste ist vollständig zugebaut, endlose Ferienhaussiedlungen dominieren das Bild, der lange gerade schattenlose Sandstrand übt auf mich keinen Reiz aus. Nach einem kurzen Blick über die flachen Dünen kehre ich etwas enttäuscht um und verlasse das Mittelmeer schnell wieder.

 

Stattdessen radele ich am Canal zurück nach Béziers. Das Wetter ist allerdings nicht so toll heute, und es regnet ab und zu ein wenig. Die Stadt hat eine große zentrale Mittelachse. Wie in diesem Teil Frankreichs üblich, wird der große Platz von zahlreichen Platanen beschattet. Hier flaniert man gern und reichlich, zahlreiche Cafés laden zum verweilen ein. Ich treibe mich in der Stadt herum und gelange zu einem schönen Aussichtspunkt an einer kleinen Kirche hoch über dem Tal des Flusses Orb. Hier lungern auch zwei spanische Brüder herum, die auf Gitarre und Bongos einen Flamenco zaubern, der mir die Gehörgänge frei pustet und mein Blut in Wallungen bringt.

 

Am späten Nachmittag verlasse ich die Stadt und radele zurück zum Campingplatz nach Villeneuve. Ich schwimme eine Runde im Schwimmbecken des Platzes und bereite anschließend am Zelt mein Abendessen. Dabei beginnt ein lang anhaltender Regen, der mich ins Zelt treibt und dort verharren lässt. Ich genehmige mir in meinem mobilen Heim ein Fläschchen Wein und schlummere schließlich unter dem monotonen Tröpfeln auf dem Zeltdach ein.  

 

 

Dienstag, 02.08. Villeneuve – Béziers – Villeneuve:

 

Der Wein von gestern Abend war wohl doch nicht so toll, am Morgen brummt mein Schädel etwas. Immerhin hat der Regen aufgehört, und das Wetter sieht wieder ganz anständig aus. Heute ist mein letzter Tag in Frankreich, und ich beginne schon mal meine Klamotten zu sortieren. Am späten Abend fährt der Natours-Bus von hier zurück.

 

Nach dem Frühstück fahre ich ein letztes Mal mit dem Rad nach Béziers und lümmele mich in der Stadt herum. Unweit der Stadt hat der Canal du Midi einen großen Höhenunterschied zu überwinden. Hier sind in dichter Folge neun historische Schleusen eingerichtet, die zu festgelegten Zeiten die wartenden Schiffe entweder hinauf oder hinab befördern.

 

Ansonsten passiert heute nicht viel Spektakuläres. Am Nachmittag fahre ich zum Zelt zurück, reinige die Ausrüstung und packe alles zusammen. Zum Abschluss koche ich mir ein leckeres Mahl. Spät am Abend kommt der Bus, und es geht durch die Nacht zurück in heimatliche Gefilde.

 

 

Mittwoch, 03.08. Busfahrt Villeneuve – Oldenburg:

 

Nach langer Fahrt kommen wir am Nachmittag zurück nach Osnabrück. Von südfranzösischer Sommersonne sind wir plötzlich wieder Lichtjahre entfernt. Das Wetter ist grauenhaft im Norden. Ergiebiger Dauerregen verwandelt die Autobahn in eine Waschküche. Das sind nicht gerade die besten Bedingungen für eine motivierte Rückkehr in den Alltag. Aber wie sagt man: Nach der Tour ist vor der Tour…

 

 

Zusammenfassung:

 

Ausnahmsweise gehe ich im Hochsommer zur Hauptreisezeit auf Tour. Ich fahre mit Radreiseveranstalter Natours zur Dordogne, um dort mit der Reisegruppe während einiger Kanu- und Radtouren Fotos zu machen. Bei heißem Sommerwetter ist die Dordogne für solche Aktivitäten ein lohnendes Ziel, der familienfreundliche Paddelfluss und schöne Nebensträßchen eignen sich bestens.

 

Ich radele einige Tage später auf eigene Faust weiter nach Pau, wo zu der Zeit die Tour de France gastiert. Dort genieße ich zwei Tage lang das Spektakel mit Rennzirkus und Unterhaltung. Mein Weg führt mich hinauf in die Pyrenäen, wo ich immer in Nähe der spanischen Grenze die Pyrenäenpässe in Richtung Mittelmeer befahre. Einige dieser Tour de France-Klassiker sind jetzt unmittelbar nach der Tour gut von Rennradlern aller Nationalitäten besucht.

 

Die Pässe sind überwiegend gut befahrbar, die Steigungen übersteigen 10 % nur selten. Das Wetter ist prächtig, oben auf den Passhöhen herrschen angenehm sommerliche Temperaturen, während unten in den Tälern die Hitze teilweise lähmt. Die Infrastruktur ist bestens zum Radfahren geeignet, die Strassen sind gut und meistens nicht zu stark befahren. Campingplätze gibt es ebenso ausreichend wie gute Einkaufsmöglichkeiten.

 

Nach zwei Wochen verlasse ich die Pyrenäen und besuche im Midi die berühmte vollständig befestigte Altstadt von Carcassonne. Dieser touristische Höhepunkt ist jetzt zur Hauptreisezeit allerdings stark besucht, so dass man besser die frühen Morgenstunden für einen Besuch nutzt.

 

Die letzte Etappe führt mich auf teilweise schlechtem Schotterweg entlang des schönen und gut beschatteten Canal du Midi bis Béziers. Hier verbringe ich zwei abschließende Tage mit Besichtigungen in der reizvollen Stadt und mit einem kurzen Ausflug ans Mittelmeer. Der Natours-Bus bringt mich von Béziers nach drei Wochen wieder zurück in die Heimat.

 

 

 

Copyright: Oliver Lange, Oldenburg (2006)